Bad Münstereifel. Szenerie für ein Factory Outlet
Vier Jahre ist es her, da wurde die mittelalterlich geprägte Kleinstadt Bad Münstereifel zu Deutschlands erstem City-Outlet. Statt eines künstlich angelegten Shopping-Dorfes auf der grünen Wiese sollte damit erstmals ein historisch gewachsener, von einer Stadtmauer umschlossener Ortskern als Szenerie dienen.
Text: Helmenstein, Caroline, Aachen
Bad Münstereifel. Szenerie für ein Factory Outlet
Vier Jahre ist es her, da wurde die mittelalterlich geprägte Kleinstadt Bad Münstereifel zu Deutschlands erstem City-Outlet. Statt eines künstlich angelegten Shopping-Dorfes auf der grünen Wiese sollte damit erstmals ein historisch gewachsener, von einer Stadtmauer umschlossener Ortskern als Szenerie dienen.
Text: Helmenstein, Caroline, Aachen
Den Plan, die denkmalgeschützte Altstadt des im Niedergang begriffenen Kurortes in ein Factory-Outlet-Center umzuwandeln, fassten drei ortsansässige Investoren im Jahr 2011. Bürgermeister und Stadtrat nahmen die Idee begeistert auf. Bad Münstereifel war zu dieser Zeit hoch verschuldet, jeder zehnte Einwohner war abgewandert und zahlreiche Läden standen leer. Begonnen hatte die Abwärtsspirale 1996 mit einer Gesundheitsreform, durch die der zuvor florierende Kurbetrieb fast zum Erliegen kam. Immerhin seit Beginn des 20. Jahrhunderts bildete dieser die wirtschaftliche Grundlage des Eifelstädtchens, und noch Ende der 1980er Jahre bevölkerten zahlreiche Kurgäste den Kneippkurort, der seit 1967 offiziell das „Bad“ im Namen trägt. Mit den Veränderungen wusste die Stadt denn auch lange nicht umzugehen, bis das Investorentrio mit seiner Aufschwung verheißenden Vision auf den Plan trat.
Anthrazit
Das Modell scheint erfolgreich. Auch wochentags flanieren zahlreiche Kaufwillige durch die von Fachwerkhäusern gesäumten Straßen. Zwischen dem Orchheimer Tor im Süden und dem Werther Tor im Norden – beide Bestandteil der fast vollständig erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauer – erstreckt sich die Haupteinkaufsstraße hierbei über fast 700 Meter, begleitet von der sanft plätschernden Erft, die mitten durch den Ortskern fließt. Noch mischen sich hier typische Outlet-Geschäfte und alteingesessene Läden, ergänzt durch das Angebot der Gastronomen. Noch bildet das City-Outlet keine Monokultur. Zu hoffen ist, dass der Stadt diese Abwechslung erhalten bleibt, trägt sie doch wesentlich zu ihrer Attraktivität bei. Die Outlet-Geschäfte selbst sind einheitlich, aber unaufdringlich gekennzeichnet: Markisen, Blumenkübel, Nasenschilder – die wiederkehrende Farbe ist Anthrazit. Darauf, orangefarben, das kleine quadratische Outlet-Logo. Wie weitgehend das Outlet die Stadt einnimmt, fällt auf, so-bald man dies erkannt hat. Anthrazit auch die öffentliche Möblierung der Stadt: Sitzbänke, Mülleimer, Plakataufsteller und Wegweiser. Die Farbe fügt sich dezent in das Stadtbild ein, das ist zuzugeben. Vor allem mit dem Schiefergrau der Dächer harmoniert sie gut.
Die Privatisierung der Stadt
Erst möglich wurde die Realisierung des City-Outlets durch den Kauf zahlreicher Altstadtgebäude. Etwa 30 zum Teil denkmalgeschützte Häuser sind heute in der Hand der Investoren, die deren Erdgeschosse zu Geschäften des City-Outlets ausgebaut haben. Darunter auch das mit reichem Schnitzwerk versehene Windeckhaus aus dem 17. Jahrhundert, eines der sehenswertesten Fachwerkhäuser im Rheinland, dessen Geschäftsräume zurzeit aber nicht belegt sind.
Doch nicht alle zum Verkauf stehenden Häuser mit Ladenlokalen standen leer und das Vorgehen der Investoren sorgte für Kontroversen. Mietverträge wurden nach Auslaufen nicht verlängert. Einzelhändler mussten ihr Geschäft aufgeben. Bestehende, funktionierende Läden mussten ebenso schließen wie alteingesessene Wirtshäuser. Sogar auf den wohl bekanntesten Einwohner Bad Münstereifels, den Schlagersänger Heino, wirkten sich diese Entwicklungen aus. Pilgerten seine Anhänger seit der Eröffnung 1996 in „Heinos Rathaus-Café“, um dort ein Stück seiner legendären Haselnuss-Torte zu verspeisen, verließ der Künstler das gegenüber dem Rathaus gelegene verwinkelte Eckhaus 2012. Heute befindet sich dort der Puma-Store, darüber hat das Center Management seinen Sitz. Waren zuvor Heino und sein Café innerhalb der Stadtmauern die größte Attraktion, sind es heute die Outlet-Geschäfte, die Besucher anziehen. Das Café – nun fremdbetrieben als „Heino Café“ – ist mit dem Einzug des Outlets ins Kurhaus gezogen, 1929 an einem Hang außerhalb der Altstadt erbaut und von dieser durch den weitläufigen Kurgarten getrennt. Die Fans werden ihm aber auch dorthin folgen.
Streifzüge
Die lokalen Händler, die bestehen konnten, profitieren vom Outlet-Betrieb. Für viele wäre es ohne inzwischen wohl eng geworden. War die Besucherzahl zwischenzeitlich auf unter eine Million gesunken, zieht es nun wieder mehr als doppelt so viele Menschen in die Eifelstadt: jährlich etwa 2,5 Millionen. Neue Arbeitsplätze sind entstanden und auch die Gastronomie macht ihr Geschäft; zumindest tagsüber und zumindest entlang der Laufwege. Nach Ladenschluss aber leeren sich die Straßen und Ruhe kehrt ein. Nur die Einheimischen bleiben zurück, immerhin rund 4000 im historischen Ortskern. Auch über den Outlet-Läden wird gewohnt. Vorhänge, Topfpflanzen und Nippes beleben die Fenster.
Anfängliche Befürchtungen, die Stadt könnte unbewohnbar für die Einheimischen werden, haben sich nicht bestätigt. Tatsächlich verlaufen sich erstaunlich wenige Besucher in die Straßen abseits der Outlet-Achse und man ist in den schmalen Gassen fast alleine. Bei meinem Besuch scheinen einzig kinderreiche niederländische Familien den Abenteuergeist zu besitzen, die Stadt auf eigene Faust auch abseits der Besucherströme zu erkunden.
Dabei lädt die Stadt zur Erkundung ein und es lohnt, dieser Einladung nachzukommen. Streift man durch die verschlafenen Seitenstraßen, steht man unvermittelt vor einem sehr langen hölzernen Treppenaufgang und findet sich bald auf dem hochgelegenen begehbaren Wehrgang der Stadtmauer wieder. Hier eröffnet sich, von Vogelgezwitscher untermalt, der Blick über die Dächer der verwinkelten Stadt und entschädigt für den mühsamen Aufstieg.
Steinerne Großbauten ergänzen von oben betrachtet das Bild der Fachwerkstadt und zeugen von ihrer langen Geschichte, die bis ins 9. Jahrhundert zurückreicht, als hier durch die Reichsabtei Prüm das „Novum Monasterium in Eiflia“ – das „neue Kloster in der Eifel“ – gegründet wurde: Darunter die romanische Stiftskirche St. Chrysanthus und Daria aus dem 11. Jahrhundert, die über der Stadt thronende Ruine der Burganlage aus dem 13. Jahrhundert, die zeitgleich entstandene Stadtmauer mit ihren vier Stadttoren, das Rathaus aus dem 15. Jahrhundert und die Bauten der Jesuiten aus dem 17. Jahrhundert.
Die Suche nach der historischen Stadt
Doch wer die Folie, die sich mit dem City-Outlet über das historisch gewachsene Stadtbild gelegt hat, zurückschlagen und sich die Geschichte Bad Münstereifels erschließen möchte, findet kaum Hilfestellungen. Zwar wird an einigen Stellen der Stadt das heutige Straßenbild mit einer historischen Fotografie konfrontiert und weisen dezente Schilder an einzelnen Gebäuden auf ihre historische Bedeutung hin. Orientierungselemente und ein Leitsystem, das nicht primär die Führung der Outlet-Besucher zum Ziel hat, sucht man jedoch vergebens.
Jedem Besucher an die Hand gegeben wird hingegen der „Centerplan“, dessen Gestaltung die Investorensicht offenbart: die mittelalterlich geprägte Stadt als bloße Kulisse, die keiner weiteren Thematisierung bedarf. So stellt der Plan abgesehen von wenigen stark vereinfacht dargestellten Gebäuden keinerlei Bezug zu der Stadt her, deren „authentisches“ Erscheinungsbild sich das City-Outlet zunutze macht. Nicht einmal der charakteristische, den Ortskern einfassende Stadtmauerring ist dargestellt.
Den Investoren ist das kaum vorzuwerfen, unverständlich jedoch ist, dass die Stadt nicht offensiver die Chance ergreift, dem neuen Publikum das sehens- und erlebenswerte Kulturerbe zu vermitteln, das die Stadt auch abseits der Geschäfte attraktiv macht. Die Infotafeln sind vorhanden, die Wegweiser ebenso. Einfach umzusetzen wäre zudem ein gemeinsamer Faltplan, der Center- und Stadtplan vereint, so dass beide gleichermaßen profitieren.
Ohne Zweifel hat das City-Outlet die Stadt wieder belebt und zieht weiterhin neue Kunden an, doch ein Blick auf die Tourismus-Webseite TripAdvisor offenbart, dass vor allem das Ambiente des historisch gewachsenen Ortes und das durch die lokalen Geschäfte bereicherte Angebot die Besucher zum Wiederkommen bewegt. Vor diesem Hintergrund ist der Stadt zu wünschen, dass sie sich ihrer Qualitäten wieder stärker bewusst wird und dies zum Anlass nimmt, in Zukunft auch ihre über das Outlet hinausgehenden Interessen als aktiver, gleichberechtigter Akteur zu vertreten.
Erfolgsmodell?
Bad Münstereifel hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach neu erfunden. Zuletzt im 19. Jahrhundert, als sie – dem Stadtbild zum Vorteil – den Anschluss an die industrielle Entwicklung verpasst hatte. Damals machte sie sich den touristischen Aufbruch zunutze, die Mittelalterbegeisterung und Burgenromantik, dann das Interesse für die Kneippsche Heilmethode. Gut hundert Jahre währte der Erfolg als Tourismusort.
Ob das City-Outlet ebenso nachhaltig wirkt, wird erst die Zukunft zeigen. Vorerst laufen die Geschäfte gut. Eine Expansion ist geplant. Bereits mit seiner Eröffnung im August 2014 griff das Outlet über die Stadtmauer hinaus. Vor dem Orchheimer Tor – Auftakt zum City-Outlet im Süden der Kleinstadt – säumen seither gesichtslose Neubauten einen mit Fahnenmasten gespickten Platz – ehemals Handwerkerhof, jetzt „Sonnenplatz“. Wenn auch architektonisch zweifelhaft, erfüllt er seine Aufgabe, zentraler Anlaufpunkt für die Kunden zu sein, recht gut: Kommt man mit dem Auto an, ist er nicht zu übersehen.
Doch 10.000 Quadratmeter Verkaufsfläche – und damit fast 70 Prozent der innerstädtischen Ladenfläche – reichen offenbar nicht aus. Eine Erweiterung nach Süden ist auf dem Weg. Auf dem Gelände neben einer Seniorenwohnanlage sollen auf 1100 Quadratmetern weitere Outlet-Läden entstehen. Damit soll das City-Outlet auch für Firmen attraktiv werden, deren Raumbedarf mit der kleinmaßstäblichen Fachwerk-Architektur nicht übereinzubringen ist.
Sind diese Pläne noch mit dem Konzept „City-Outlet“ zu vereinbaren? Entsteht damit nicht eine Konkurrenz zwischen Innen und Außen? Und ist die Stadt nicht gerade dadurch in der Pflicht, der Expansion des Outlets vor den Mauern der Stadt innerhalb der Stadt neue Anziehungspunkte entgegenzusetzen? Das Experiment ist noch nicht zu Ende.
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