Bodenfrage ungelöst
Vielen Städten fehlt es an Wohnraum – doch auf welchem Grund können neue Wohnungen entstehen? Nadelöhr für die Notlage ist ein veraltetes Bodenrecht, das dringend einer Überarbeitung bedarf.
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Bodenfrage ungelöst
Vielen Städten fehlt es an Wohnraum – doch auf welchem Grund können neue Wohnungen entstehen? Nadelöhr für die Notlage ist ein veraltetes Bodenrecht, das dringend einer Überarbeitung bedarf.
Text: Geipel, Kaye, Berlin
Wem gehört die Stadt? In einem wütenden Essay hat der griechische Architekt Aristide Antonas vor kurzem die Enteignung seiner Stadt angeprangert. Das moderne Athen sei tatsächlich immer schon ein Palimpsest von vielen Einflüssen und damit ein europäisches Projekt gewesen. Athen gehöre allen. Doch im Zuge der Schuldenpolitik seien jetzt große Teile der Stadt in den Besitz Weniger gelangt. Das suggestive Bild dieser privaten Aneignung sind für Antonas nicht die verkauften Häuser selbst. Das Menetekel ist der privatisierte Boden der Stadt, der buchstäblich allen, die sich durch Athen bewegen, unter den Füßen weggezogen wird, mitsamt seinen archäologischen Schichten und seiner gemeinsamen Geschichte.
In Deutschland kann man, jedenfalls was die Bundesrepublik betrifft, in die 60er und 70er Jahre zurückblicken, um vergleichbar schrille Warnungen zu finden, die die Spekulation mit städtischem Grund ins Visier nehmen. Eine davon kam von Alexander Mitscherlich, der 1965 in seinem Pamphlet „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ die „Anstiftung zum Unfrieden“ forderte. Ohne Änderungen in der Eigentumsfrage, so Mitscherlich, würden die Anstrengungen für eine bessere Wohnqualität regelrecht verpuffen. 1967 stellte dann das Bundesverfassungsgericht klar: „Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern...“. Zu einer Abschöpfung des enormen Wertzuwachses der Grundstücke im Zuge der städtischen Verdichtung kam es aber nicht. Es gab keinen politischen Konsens und in den 80er Jahren verschwand die Bodenfrage im Zuge der neoliberalen Wende der Wohnungspolititk in der Versenkung. In den 90ern rekapitulierte ein Band der Bauwelt-Fundamente – „Boden: wem nützt er, wen stützt er?“ – die verlorenen Schlachten.
Inzwischen steht die Bodenfrage in den wachsenden Städten mit ihren explodierenden Grundstückspreisen längst ganz oben auf der Tagesordnung. Für die Städte und Kommunen, die wegen der zögerlichen Umsetzung beim Wohnungsbau an den Pranger gestellt werden, wird die Situa-tion Tag für Tag schwieriger. Die nötigen Hebel für die Bereitstellung von Grund und Boden von mehr Wohnungsbau sind ihnen aus der Hand genommen. Eines der beiden wichtigsten Instrumente wäre die bevorzugte und billige Bereitstellung öffentlicher Grundstücke für sozialen Wohnungsbau; das zweite Instrument wäre eine Grundsteuerreform, die die steigenden Gewinne abschöpft, für die Allgemeinheit nutzbar macht und das Spekulationskarussell unterbindet. Der Bund und die Länder sind am Zug. Doch trotz aller Bekenntnisse passiert nichts. Im Gegenteil, auf der Immobilienmesse Expo Real konnte man besichtigen, wie die bundeseigene BImA meistbietend ihre Grundstücke an private Investoren verkauft.
Fast alle wichtigen städtebaulichen Institutionen haben sich jetzt mit Vorschlägen zur Bodenfrage gemeldet. Um nur einige zu nennen: In München, der Stadt mit Deutschlands höchsten Immobilienpreisen, plädiert die ehemalige Stadtbaurätin Christiane Thalgott für ein neues Bodenrecht für bezahlbaren Wohnraum: Die öffentlichen Instanzen, also Bund, Länder und Gemeinden, sollten endlich kooperieren, um alle Grundstücke aus öffentlichem Besitz für öffentliche Zwecke und sozialen Wohnungsbau kostenlos oder zu geringen Preisen zur Verfügung zur stellen. Das „BImA-Verhalten hätte ein Ende und aus Reden am Runden Tisch würden Taten“, so Thalgott. Das Deutsche Institut für Urbanistik präsentierte im Novem-ber einen Wegweiser zur Bodenpolitik mit neun Kernforderungen. Darunter fallen eine konsequent durchgeführte Liegenschaftspolitik für gemeinwohlorientierte Nutzung von Grund und Boden und ein Vorkaufsrecht für die Kommunen. Und der Deutsche Städtetag hat in einem Eckpunktepapier zur Bodenpolitik unter anderem vorgeschlagen, einen Wohnbauland- und Erschließungsfond aufzulegen. Der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung präsentierte schließlich Vorschläge für die 19. Legislaturperiode, darunter eine Nachbesserung des Städtebaurechts durch ein neues Instrument der Innenentwicklung.
Wo bleiben in diesem Reigen die Architekten? Sie sollen, so die politische Forderung, ihre Hausaufgaben machen und endlich zeigen, dass sie billigeren Wohnungsbau beherrschen. Zauberwort ist ein Revival des Seriellen Bauens, dem sich Städte wie Hamburg, Berlin und München inzwischen verschrieben haben. Da gibt es Luft nach oben, zugegeben. Allerdings: man wird den Eindruck nicht los, dass hier äußert komplexe Probleme – ein neues Bodenrecht und eine gerechte Steuerlast – auf die Schultern der Architekten gedrückt werden. Hausfassaden und Innenausbauten kann man besichtigen und kritisieren; Steuern und Bodenpreise nicht. Die erste Stadtbauwelt 2018 wird sich mit dem Thema auseinandersetzen.
0 Kommentare