Bauwelt

Nie wieder! – auch in Braunau

Gleich hinter der deutsch-österreichischen Grenze, in Braunau am Inn, steht Hitlers Geburtshaus leer. Der Staat hat es enteignet. Die Einen wollen es nun gern abreißen, die Anderen etwas daraus machen. Noch immer wird das Projekt „Haus der Verantwortung“ diskutiert

Text: Marquart, Christian, Stuttgart

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Salzburger Vorstadt in Braunau am Inn, Oberöster­reich. Rechts im Vordergrund das Geburtshaus.
Postkarte: Naturfarben R. König, Braunau am Inn

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Salzburger Vorstadt in Braunau am Inn, Oberöster­reich. Rechts im Vordergrund das Geburtshaus.

Postkarte: Naturfarben R. König, Braunau am Inn


Nie wieder! – auch in Braunau

Gleich hinter der deutsch-österreichischen Grenze, in Braunau am Inn, steht Hitlers Geburtshaus leer. Der Staat hat es enteignet. Die Einen wollen es nun gern abreißen, die Anderen etwas daraus machen. Noch immer wird das Projekt „Haus der Verantwortung“ diskutiert

Text: Marquart, Christian, Stuttgart

„Nie wieder!“, brandet es uns – eingekleidet in Sonntagsreden hoher Würdenträger – anlässlich der Gedenktage der Befreiung von Konzentrations- und Vernichtungslagern oder zu den Eckdaten des Zweiten Weltkriegs – entgegen. Dieses „Nie wieder“ hat allerdings neue, politisch motivierte Massen- und Völkermorde nicht verhindern können. Wo? In Chile und Argen­tinien etwa, in Kambodscha, Ruanda, Jugoslawien, im Irak und in Syrien. An Erinnerungsarbeit fehlt es nicht. Schulklassen besuchen Geschichtsmuseen, ehemalige Konzentrationslager und Gestapo-Zentralen oder Bahngleise, von denen einst Juden in die Vernichtungslager der Nazis „verschoben“ wurden. Rüstige Zeitzeugen der NS-Verbrechen gibt es kaum mehr. Deswegen wird ein taktvoller und zugleich intelligenter Umgang mit authentischen Orten an Bedeutung gewinnen.
Zum Beispiel in Braunau am Inn, wo der österreichische Staat eben die Eigentümerin von Adolf Hitlers Geburtshaus in der schmucken Altstadt enteignete. Sie hatte die Immobilie seit 1972 an das österreichische Innenministerium (in Untermiete an die Gemeinde Braunau) vermietet und bestand auf der Einhaltung sehr rigide gefasster Nutzungsvereinbarungen. Einen Verkauf des Hauses lehnte sie ab. Hitlers Geburtshaus wurde dem Immobilienmarkt entzogen und kann so auch nicht an Kaufinteressenten gelangen, die das Gebäude vielleicht gerne in einen Konvent rechter Dunkelmänner verwandelt hätten.
Was aber tun damit? Es ist kein architektonisches Juwel, aber doch ein solides Element in der Stadtkulisse Braunaus. Seit 2011 ist es ungenutzt – damals (erst) entzog Braunau Hitler auch die Ehrenbürgerwürde. Das Gebäude hatte als Bankfiliale gedient, als Stadtbibliothek, zuletzt als Behindertenwerkstatt. Seit 1938 steht es unter Denkmalschutz. Hitlers Paladin Martin Bormann erwarb es einst mit der Absicht, daraus ein NS-Kulturhaus zu machen. Hitler könnte das kritisch gesehen haben, denn er hielt seine Familiengeschichte nicht für tauglich, Führermythen zu zeichnen. Braunau hingegen trägt schwer am Schicksal, Hitlers Geburtsstadt zu sein. Manche fürchten, der Ort und das Haus könnten zu einer Nazi-Pilgerstätte werden. Bisher gab es dafür wenige Anzeichen; die mentale Projektion eines verklärten Führerbilds in das eines Säuglings fügt sich schlecht in die Träume von Neonazis. Für braune Wallfahrten dienten eher das Grab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß im oberfränkischen Wunsiedel – das 2011 geschleift wurde – Kriegerdenkmale oder schlicht Asylbewerberheime.
Das Stichwort „Baukultur“ spielt keine Rolle in der Debatte um Hitlers Geburtshaus. Der Bürgermeister wollte dort Wohnungen einrichten und stieß auf Widerspruch. Für den österreichischen Innenminister Wolfgang Sobotka wäre „die Schleifung des etwa 200 Jahre alten Gebäudes die sauberste Lösung“ (taz vom 13. Juli), der Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW), Gerhard Baumgartner, hält es für originell, dort einen Supermarkt zu errichten: quasi als symbolische Ohrfeige für Nazis.
Alles Wiener Schmäh? Nein, sie meinen das ernst! Als könne, dürfe eine Demokratie sich von Extremisten jeglicher Couleur diktieren lassen, wie man „pragmatisch“ oder „kostengünstig“ mit historischen Orten, mit bedeutenden oder „belasteten“ Bauten umzugehen habe. Erinnert sei an den bemühten Nachbau von Häftlingsbaracken in Konzentrationslagern (in Dachau, Auschwitz, Sachsenhausen), an den skrupulösen Umgang mit NS-Monumentalbauten und ihren Überresten (in Berlin, München oder Nürnberg etwa) oder an die Bunkeranlagen der Wehrmacht in ganz Europa: Wer würde sich anmaßen, sie abzuräumen, bloß weil auch „ewig Gestrige“ sich für sie interessieren?
Seit dem Jahr 2000 liegt für Hitlers Geburtshaus ein anderer Vorschlag auf dem Tisch: die Einrichtung eines „Hauses der Verantwortung“. In ihm sollen junge Leute über Geschichte, Gegenwart und Zukunft nachdenken und debattieren, Ideen und Projekte entwickeln – im Geist des Philosophen Hans Jonas (1903–1993), dessen Hauptwerk, „Das Prinzip Verantwortung“, ihn zum Vordenker einer ethisch ambitionierten, nachhaltig ausgerichteten Zivilisation machte. Die Idee dafür stammt vom Privatgelehrten Andreas Maislinger, Initiator des Vereins „Gedenkdienst“, welcher Freiwillige an Holocaust-Gedenkstätten vermittelt. 1997 trennte sich Maislinger von seinem Verein im Konflikt und gründete einen neuen – den „Auslandsdienst“, der ebenfalls Friedens- und Sozialarbeit organisiert.
Maislinger, den das Magazin „Datum“ 2008 unter dem Titel „Der unbedankte Narziss“ porträtierte, ist ein rühriger Macher. Aber seine Artikel in rechten Zeitschriften brachten ihm einen Vermerk im österreichischen „Handbuch des Rechtsextremismus“ ein. Er vermeidet es bis heute, ein präzises, durchkalkuliertes Konzept des „Hauses der Verantwortung“ vorzulegen. Dafür erfahren wir von ihm manches über die Organisation des Hauses: Das Erdgeschoss ist der Vergangenheit gewidmet, das oberste der Zukunft. Maislinger geht es um ein neues „Framing“ für Braunau und Hitlers Geburtsshaus – einen attraktiveren, marketingtauglichen Rahmen gesell­schaft­lichen Nachdenkens. Über einen solchen Rahmen und über das Nachdenken könnte man vielleicht reden: Aber es sollte schon etwas mehr werden als eine weltbekannte Büroadresse für Maislingers „Auslandsdienst“!

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