Bauwelt

Das Neue Dorf

Für die aktuelle Ausgabe hat sich Florian Aicher in Dörfern umgesehen, die den Wandel zum Anlass nahmen, sich selbst zu befragen, wer sie eigentlich sind und in Zukunft sein wollen.

Text: Aicher, Florian, Leutkirch

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Kals am Großglockner in Osttirol
Foto: Kurt Hörbst

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Kals am Großglockner in Osttirol

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Das Neue Dorf

Für die aktuelle Ausgabe hat sich Florian Aicher in Dörfern umgesehen, die den Wandel zum Anlass nahmen, sich selbst zu befragen, wer sie eigentlich sind und in Zukunft sein wollen.

Text: Aicher, Florian, Leutkirch

Friedrich Achleitner, für manchen der Papst der österreichischen Architekturkritik, hat zum Verhältnis von Gebautem und Kritik einmal festgestellt: „Das Gebaute hat immer Recht. Es gibt sozusagen keinen falschen Bau.“ Angenommen, das trifft zu, so muss daraus ja nicht unbedingt die Vernichtung der Kritik folgen – vielleicht hat sie nur eine andere Aufgabe, als „Recht zu haben“. Wer wollte heutzutage noch sagen, was richtig ist und was falsch, bei der Flut wissenschaftlicher Gewissheiten, die uns tagtäglich neu belehren, wie die Welt zu retten sei. Könnte es Aufgabe der Kritik sein: weniger zu wissen, dafür mehr zu zeigen? Zu zeigen, wie Probleme wahrgenommen werden, wie Reaktionen ausfallen, welche Unterschiede möglich sind? Es könnte sich herausstellen, dass da andere Werte zählen: was wir für richtig halten wollen, für wünschenswert, für glaubwürdig. Dass das Gebaute mit dem Glauben daran zu tun hat, mit Entscheidungen, die den Grund legen, wie Dinge sich entwickeln und wie sie zu beurteilen sind. Ist glaubwürdig wichtiger als richtig oder falsch?

Das geht an die Substanz des folgenden Themas: der Ort auf dem Land. Wir halten ja viel auf die Wissenschaftlichkeit der Feststellung, dass Dörfer schrumpfen und Städte wachsen. Und weil wir dem Weltgeist immer ganz dicht auf den Fersen sein wollen, spielt nur noch da die Musik. Der finnische Architekt Sami Rintala – er war in einer der hier vorgestellten Ortschaften, in Krumbach im Bregenzerwald, tätig – bemerkt dazu mit verblüffender Logik: „Die ganze Welt spricht vom Prozess der Urbanisierung und dass in Zukunft die Hälfte der Menschen in Städten leben wird. Mein Interesse gilt der anderen Hälfte.“

Im Folgenden also Kunde aus dieser Hälfte der Zukunft. Sie handelt von vier Ortschaften, die man einmal Dörfer genannt hat – die Einschränkung „genannt hat“ insofern, als die ökonomische Basis, der bäuerliche Betrieb (was nicht dasselbe ist wie die heute verbreitete Landwirtschaft) weggefallen ist. Den vier Gemeinden ist gemeinsam, dass sie sich diesem Befund stellen und fragen: Was ist ein Ort auf dem Land im 21. Jahrhundert? Dass die Antworten unterschiedlich ausfallen, spricht für den Ernst, der diesem Thema entgegengebracht wird.

Sehr grundsätzlich fällt die Antwort aus Valendas in Graubünden aus. „We long for an architecture that brings us back to the concrete realities of our physical and material world“, hat Schelling-Preisträger Juhani Pallasmaa die Forderung der Stunde formuliert, und genau das nennt Gion A. Caminada das Potenzial des Landes. Dass er uns dabei mit diskursiven Finessen verschont, dürfte einem Bernardo Bader gefallen, dem sich das Land vielfach bocknormal darstellt. Der pflegt mit seinen Kollegen in Krumbach örtliche Baukultur gemäß dem Motto: Wood Works.

Andernorts klingt das anders. Was es an Zeit und Übung braucht, um unter höchsten Gipfeln zwischen mittelalterlichen Kirchenbauten eine eigene Sprache für ein Ortszentrum unserer Zeit zu finden, eine Sprache, die über eine weite Bandbreite an Ausdrucksvermögen verfügt, das zeigen Schneider + Lengauer in Kals in Osttirol. Was aber, wenn das Dorf Wohngebiet geworden ist, wenn keinerlei spektakuläre Merkzeichen weit und breit Anknüpfung bieten? Bembé Dellinger entwickelten im oberbayerischen Wettstetten im Wechselspiel von Vergehen und Kommen für ein ganz gewöhnliches Dorf eine „Neue Ortsmitte“, die dem Ort einen neuen Aufbruch verschafft.

Dass die Entwicklung des Ortes durch Architektur unterstützt, nicht aber in Gang gesetzt wird, zeigen alle Projekte. Es sind Bürgermeister, die Zähigkeit und Tatkraft mit Visionen verbinden – wofür sie manch großer Politiker zum Arzt geschickt hätte; die großen Herren werden diese Dörfer übersehen haben. Worauf Bürgermeister aber angewiesen sind, das ist Weitsicht und Tatkraft in der Gemeinde. Und mitunter geht von hier, von einem Bürgerverein, los, was schließlich ergibt, was die Projekte vereint: das Neue Dorf.

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