Bauwelt

Der Volkspark des 21. Jahrhunderts

Ein Zaun, ein paar Eingänge und eine magische Weite mitten in Berlin: 2014 entschied die Bevölkerung, dass das Tempelhofer Feld nicht bebaut werden soll. Nach einem aufwendigen Partizipationsverfahren liegt jetzt ein Entwicklungs- und Pflegeplan für die 303 Hektar große Fläche vor: ein gigantisches Leistungsverzeichnis, das nicht nur die Rasenpflege beschreibt, sondern auch die sozialen Beziehungen

Text: Kleilein, Doris, Berlin

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    Eine Dame, 89 Jahre
    Mir gefällt das Rabauner­leben hier. Das ist Chaos und schön, es muss immer was los sein. Ich hab es gern, wenn es etwas rüpelhaft ist. Die Atmosphäre gefällt mir sehr, es ist so befreiend, die Weite, der Himmel. Ich kann mich so benehmen, wie ich will. Ich liebe so ‘ne gewisse Lebensart, nicht so etepetete. Richtig rasant ist es hier!
    Zeichnung: Christine Guérard (planung.freiraum/ ThF+)

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    Eine Dame, 89 Jahre
    Mir gefällt das Rabauner­leben hier. Das ist Chaos und schön, es muss immer was los sein. Ich hab es gern, wenn es etwas rüpelhaft ist. Die Atmosphäre gefällt mir sehr, es ist so befreiend, die Weite, der Himmel. Ich kann mich so benehmen, wie ich will. Ich liebe so ‘ne gewisse Lebensart, nicht so etepetete. Richtig rasant ist es hier!

    Zeichnung: Christine Guérard (planung.freiraum/ ThF+)

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    Nigerianische Community Berlin
    Wir kommen alle aus Berlin und treffen uns zwei Mal in der Woche zum Grillen am Eingang Columbiadamm. Meistens kommen 30 bis 50 Leute. Wir grillen und hören laut Musik. Das kann man sonst nicht so gut machen. Unterhalten müssen wir uns in Englisch, weil wir aus unterschiedlichen Regionen in Nigeria kommen.
    Zeichnung: Christine Guérard (planung.freiraum/ ThF+)

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    Nigerianische Community Berlin
    Wir kommen alle aus Berlin und treffen uns zwei Mal in der Woche zum Grillen am Eingang Columbiadamm. Meistens kommen 30 bis 50 Leute. Wir grillen und hören laut Musik. Das kann man sonst nicht so gut machen. Unterhalten müssen wir uns in Englisch, weil wir aus unterschiedlichen Regionen in Nigeria kommen.

    Zeichnung: Christine Guérard (planung.freiraum/ ThF+)

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    15 junge Muskelschwund-Patienten aus Dänemark
    Wir sind eine Gruppe von 15 jungen Männern mit Muskelschwund sowie rund 40 Betreuern und kommen aus Dänemark. Wir fahren mit 15 Kleinbussen (für jeden Patienten einen) für eine Woche nach Berlin. Für zwei Tage sind wir auf dem Tem­pelhofer Feld. Am Columbiadamm können wir gut parken. Die Jungs können hier mit ihren Rollis rumfahren und wir müssen nicht so aufpassen. Morgen machen wir unsere „Paralympics“. Die Jungs müssen verschiedene Aufgaben bewältigen und bekommen Preise und trinken Bier. Das ist immer alles sehr entspannt hier.
    Zeichnung: Christine Guérard (planung.freiraum/ ThF+)

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    15 junge Muskelschwund-Patienten aus Dänemark
    Wir sind eine Gruppe von 15 jungen Männern mit Muskelschwund sowie rund 40 Betreuern und kommen aus Dänemark. Wir fahren mit 15 Kleinbussen (für jeden Patienten einen) für eine Woche nach Berlin. Für zwei Tage sind wir auf dem Tem­pelhofer Feld. Am Columbiadamm können wir gut parken. Die Jungs können hier mit ihren Rollis rumfahren und wir müssen nicht so aufpassen. Morgen machen wir unsere „Paralympics“. Die Jungs müssen verschiedene Aufgaben bewältigen und bekommen Preise und trinken Bier. Das ist immer alles sehr entspannt hier.

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    Junge Mütter mit Kindern
    Wir kommen aus Prenzlauer Berg und gehen ungefähr einmal pro Monat aufs Feld. Wir gehen immer in die Mitte, weil es für die Kleinen so sicher ist. Die können einfach herumlaufen und man muss nicht so aufpassen, dass etwas passiert. Weil es hier so flach ist und man weit gucken kann, hat man sie immer im Blick, auch wenn sie mal weiter weg sind. Die Kinder können im Gras spielen oder mit dem Roller oder Fahrrad rumfahren, ohne dass man sich Gedanken machen muss.
    Zeichnung: Christine Guérard (planung.freiraum/ ThF+)

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    Junge Mütter mit Kindern
    Wir kommen aus Prenzlauer Berg und gehen ungefähr einmal pro Monat aufs Feld. Wir gehen immer in die Mitte, weil es für die Kleinen so sicher ist. Die können einfach herumlaufen und man muss nicht so aufpassen, dass etwas passiert. Weil es hier so flach ist und man weit gucken kann, hat man sie immer im Blick, auch wenn sie mal weiter weg sind. Die Kinder können im Gras spielen oder mit dem Roller oder Fahrrad rumfahren, ohne dass man sich Gedanken machen muss.

    Zeichnung: Christine Guérard (planung.freiraum/ ThF+)

Der Volkspark des 21. Jahrhunderts

Ein Zaun, ein paar Eingänge und eine magische Weite mitten in Berlin: 2014 entschied die Bevölkerung, dass das Tempelhofer Feld nicht bebaut werden soll. Nach einem aufwendigen Partizipationsverfahren liegt jetzt ein Entwicklungs- und Pflegeplan für die 303 Hektar große Fläche vor: ein gigantisches Leistungsverzeichnis, das nicht nur die Rasenpflege beschreibt, sondern auch die sozialen Beziehungen

Text: Kleilein, Doris, Berlin

Wer plant die Planung? Die vielzitierte Frage von Lucius Burckhardt passt auf kaum einen Ort so gut wie auf das Tempelhofer Feld. In seinem Essay von 1974 fährt der Schweizer Soziologe fort: Wer bestimmt, was geplant wird – und was nicht? Was auf dem ehemaligen Flugfeld nicht geplant wird, zumindest das steht fest: weder die anvisierte Randbebauung mit 4500 Wohnungen noch der preisgekrönte landschaftsplanerische Entwurf von Gross.Max (Bauwelt 36.2011). Doch um herauszufinden, was geplant werden soll, dazu hat man in Berlin tatsächlich die Bevölkerung befragt. Nach Jahren der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit hat sich die Berliner Senatsverwaltung eher notgedrungen als enthusiastisch von der konventionellen Masterplanung verabschiedet, ihre Gegenspieler von der Bürger­initiative „100% Tempelhofer Feld“ ins Boot geholt und mit der weiteren Entwicklung der Fläche beauftragt. Das „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“ (ThFG), das nach dem Volksentscheid 2014 in Kraft trat, fordert als Grundlage für einen Neuanfang die partizipative Erstellung eines Entwicklungs- und Pflegeplans – dieser liegt nun vor.
Die Erwartungen sind hoch, zumal die Beteiligung der Bevölkerung nach dem Volksentscheid eher niedrig war: „Berliner interessieren sich nicht mehr für das Tempelhofer Feld“, titelte die Morgenpost und attestierte Partizipationsmüdigkeit ob der geringen Beteiligung am Online-Verfahren. Doch diese Schlussfolgerung greift zu kurz: Das 65-seitige Dokument bietet ein differenziertes Kartenwerk für die weitere Planung. Es ist ein Leistungsverzeichnis der neuen Art, bei dem nicht Baumaßnahmen bis ins Detail beschrieben, sondern die unterschiedlichsten Bedarfe der Nutzer aufgelistet und in Beziehung zueinander gesetzt werden. Das Ergebnis könnte man so zusammenfassen: Im Großen soll alles so bleiben, wie es ist. Veränderung soll es nur im Kleinen geben. Zu den prioritären Maßnahmen 2016/17 zählen: mehr Toiletten und Sitzgelegenheiten, eine Verbesserung des Bodenbelags am Eingang Oderstraße, freies WLAN auf dem Feld und eine Anpassung des nördlichen Hundeauslaufs. Man mag dies für Kleinkram halten und sich an die kühnen Ideen aus der Anfangsphase des Tempelhofer Feldes erinnern, wie den „Berg“ oder die Wasserbecken und neuen Umlaufbahnen der Landschaftsplaner. Man kann dies aber auch als beeindruckendes Dokument eines zeitgemäßen Planungsverständnisses lesen, das sich an tatsächlichen Bedürfnissen orientiert – und mit dem die knappen Mittel so zielführend eingesetzt werden können, als wäre der Bund der Steuerzahler am Werk gewesen.
Mit der Rikscha auf das Feld
Was ist wichtig? Was fehlt? Wo gibt es Konflikte? Diese Fragen wurden immer wieder in Planungswerkstätten und Workshops gestellt. Am aufschlussreichsten sind dabei die Ergebnisse der „aufsuchenden Beteiligung“, die von dem interdisziplinären Team ThF+ durchgeführt wurde: Nicht die ohnehin auf dem Feld Engagierten wurden gehört, sondern jene, die nicht von selbst ihre Meinung äußern, die nicht auf Veranstaltungen das Wort ergreifen oder online Kommentare abgeben. Senioren aus Neuköll­­-ner Pflegeheimen wurden mit Rikschas auf das Feld geradelt und aus dem eigens entworfenen Teepavillon bewirtet – die meisten von ihnen waren noch nie dort. Muslimische Stadtteilmütter und Jugendliche wurden zum Brettspiel eingeladen, im Rahmen einer „theatralen Feldforschung“ (Büro Milk) kamen Nutzer mit Migrationshintergrund zu Wort.
Die qualitative Befragung ist zwar nicht repräsentativ, gibt aber viele sachdienliche Hinweise für die Planung und so manche Lösungen, von denen vor allem Ältere und Menschen mit Behinderungen profitieren werden: Die Weite, so eines der Ergebnisse, wird von vielen als befreiend empfunden, manchen macht sie auch Angst. Warum nicht am Eingang Funkgeräte verteilen, mit denen man die Parkranger anpiepen kann? Insgesamt wird das Feld aufgrund der Umzäunung und der nächtlichen Schließung als sicher eingestuft, viele muslimische Familien nutzen die Fläche und gestehen ihren Kindern dort mehr Freiheiten zu als an anderen Orten in der Stadt. Mehr Schatten soll es geben, aber bloß keinen herkömmlichen Park, keine überkommene Gestaltung. „Viele schätzen das Feld als unkonven­tionellen Raum, da er mehr Begegnungen ermöglicht“, so Freiraumplanerin Barbara Willecke vom Team ThF+, „wo räumliche Konventionen fehlen, verhalten sich die Menschen auch anders.“

Planwerk Freiheit

Dass das Feld sich Konventionen entzieht, schrieb der Volkskundler Friedrich Naumann bereits 1897: „Kein größerer Gegensatz ist denkbar, als aus Berlin aufs Tempelhofer Feld zu kommen. Da ist Steppe mitten in der Kulturwelt und ein Steppenleben, sobald die Sonne scheint. Auf der Steppe werden die Stadtkinder frei“. Diese Freiheit ist mit vorliegendem Dokument erstmals in einem Planwerk festgehalten, untergliedert in Teil- und Themenbereiche, mit Leitbildern für alle Aktivitäten, von Bewegen bis Gedenken. Ein weiteres Planungskonvolut für die Schublade? Der nächste Ansatz, der von Politik und Verwaltung zermahlen wird? Die Senatsverwaltung macht sich aktuell auf die Suche nach einem Büro, das das Planwerk umzusetzen weiß. Die Auswahl der Planer für die nächste Stufe ist entscheidend: Haben sie die Fähigkeit, sich auf die erarbeiteten Grundlagen einzulassen und diese präzise umzusetzen? Dann könnte Tempelhof das Modell für den Volkspark des 21. Jahrhunderts werden.
Weitere Informationen und Karten unter tempelhofer-feld.berlin.de/

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