Bauwelt

Die Größe allein kann es nicht sein

Cersaie 2012

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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Foto: Sebastian Redecke

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Die Größe allein kann es nicht sein

Cersaie 2012

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Auf der Suche nach den wichtigsten Neuerungen stieß man auf der Messe für Architekturkeramik und Badezimmer­ausstattung Cersaie in Bologna in diesem Jahr auf immer größere Fliesen. Die Vorteile dieser Megaplatten bei der Ausgestaltung von Räumen konnte niemand plausibel erklären.
Grau, viel Grau, in allen Abstufungen beherrschte in diesem Jahr die Ausstellungsstände auf der weltgrößten Architekturkeramik-Messe Cersaie. Und es wird weiter an der Größe der keramischen Fliesen gearbeitet. Erstaunliches kommt da aus dem Brennofentunnel. Das Maximum war diesmal beim Stand von Eiffelgres aus Fiorano bei Modena zu sehen: Ihre (grauen) Feinsteinzeugplatten „Megamicro“ sind bei einer Dicke von nur sechs Millimetern drei Meter hoch! Noch vor sechs Jahren waren 60 x 60 Zentimeter große Platten das Maximum.
Das Ausreizen der technischen Möglichkeiten kann man wohl nicht bremsen. Welche Vorteile sich mit den Megaplatten ergeben und welche Risiken es bei Transport und Montage gibt, weiß ich nicht. So erinnert man sich an den eigentlichen Sinn des Produkts – schöne Wände und Böden – und kommt zum Schluss, dass große Abmessungen keinen Nutzen haben. Fu­gen wird es immer geben. Sie gehören dazu. Auch in die andere Richtung ist man eifrig am Entwickeln – am Minimieren. Inzwischen werden Fliesen-„Teppiche“ in Kleinstmosaiken von wenigen Millimetern angeboten. Erstaunen rufen noch immer die Fliesen mit eingearbeiteter „Holzinterpre­tation“ hervor, die Hölzer aus aller Herren Länder imitieren. Schaut man sich auf der Messe das raffiniert gebrannte „falsche“ Holz mit gebürsteter Oberfläche auch von nahem an, lässt es sich nicht mehr vom Original unterscheiden. Man könnte also auf herkömmliche Holzfußböden verzichten. Will man das? Ein ganz anderes Thema ist die „Selbstreinigung“ der Fliesen. Umgesetzt wurde diese Idee 1996 bei Toto in Japan. Die Deutsche Werkzeug AG hat vor zehn Jahren das Verfah­-ren der „Hydrotect“-Veredelung präsentiert. Die zusätzliche Beschichtung mit Titanoxid wirkt als Katalysator, der unter Lichteinwirkung den Luftsauerstoff spaltet. Dieser zerlegt auf molekularer Ebene Schmutz und Keime. Die Verunreinigungen werden dann einfach weggespült. Nun sind andere Hersteller aus Italien und Spanien seit einigen Jahren dabei, Fliesen mit ähnliche Verfahren anzubieten. Die selbstreinigende Fliese soll „biologisch“ sein und dabei einen Beitrag zur gesunden Umwelt leisten. Der Hersteller Casalgrande Padana bietet konkrete Zahlen: Die Oberfläche von 150 Quadratmetern Self-Cleaning-Fliesen kann die selbe Luftmenge reinigen wie ein Wald in der Größe eines Fußballfelds oder, mit einem anderen Vergleich, sie beseitigt die Menge von Stickstoffoxide, die „täglich von elf Autos ausgestoßen wird“. Klingt eigentlich vielversprechend.
Gugger
Mit der Initiative „Città della Posa“ ging die Messe in diesem Jahr einen neuen Weg. In einer der Ausstellungshallen wurde in Zusammenarbeit mit einer Baufachschule aus der Region das Fliesenlegerhandwerk hautnah mit jeder Menge frisch gemixtem Klebemörtel zur Schau gestellt. Im Mittelpunkt stand Thomas Gugger. Er ist der amtierende Weltmeister im Fliesenlegen und, man mag es kaum glauben, stammt aus Bern, der Hauptstadt der Langsamkeit. Er erklärte mir, dass es bei der Weltmeisterschaft in London bei weitem nicht um das schnelle Abmetern von Fliesenflächen ging, sondern um Fliesenle­ger-Aufgaben in besonderen Stresssituationen. Die Fliesen mussten u.a. speziell zugeschnitten werden, damit sie auf Formen, die für den Fliesenleger ungewohnt waren, passten. Auch unter diesem Druck überzeugte der 20jährige Gugger durch äußerste Präzision. Schon 2011 wurde er vom Schweizerischen Plattenverband als Bester des Landes geehrt. Bei meinem Besuch in der Halle stand er tief über einen Tisch gebeugt und arbeitete wie besessen an einer schwierigen Fliesenarbeit. Seine kleine Tafel sollte eine geschwungene italienische Flagge darstellen. Ihm standen für diese Arbeit allerdings neben den grünen und weißen keine roten, sondern orangefarbene Fliesen zur Verfügung. Warum das so war, konnte er mir nicht erklären. So entstand statt einer italienischen eine irische Flagge. 
Ban
Shigeru Ban hat mit Keramikfliesen wenig am Hut. Er verlor über diese bei seinem Vortrag auf der Messe auch kein Wort. Dennoch war er eingeladen und präsentierte wieder einmal die zwei Seiten seines Werks. Auf der einen den Luxus, vor allem seine Villen, Golfclubs und Shops, nicht nur in Japan und Südkorea, sondern auch in Santa Monica, Long Island und Sri Lanka; auf der anderen Seite sein unermüdliches Engagement in Orten, die durch einen Bürgerkrieg zerstört oder von einer Naturkatastrophe heimgesucht worden sind. Dort konzipiert er seine inzwischen berühmt gewordenen Einfachkonstruktionen aus Papprollen, Holz und leichten Kunststoffdächern. Schon 1994 gelang es ihm, für jeweils 50 US-Dollar fünfzig Häuser für die Flüchtlinge in Ruanda zu errichten. Nach dem letzten schweren Erdbeben in Japan konzipierte er ein einfaches Wandsystem für Sporthallen, um den dort untergebrachten Familien ein Mindestmaß an Initimität zu ermög­lichen. In L’Aquila, das 2009 von einem Erdbeben hart getroffen wurde, hat er ein provisorisches Konzerthaus, die Paper Concert Hall mit 230 Plätzen, gebaut. Es ist ein Geschenk Japans an Italien. Dass nun Ende Mai auch in der Nähe von Bologna die Erde bebte, 16 Menschen ums Leben kamen und bei der italienischen Keramikindustrie, die besonders dort ansässig ist, ein hoher Schaden entstand, überschattete alle Veranstaltungen im Rahmen der Messe. Ban machte Mut.

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