Bauwelt

Ein Modell zerlegt sich

Text: Tilman, Harm, Rotterdam

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Gerard Stolk

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Ein Modell zerlegt sich

Text: Tilman, Harm, Rotterdam

Neubaupläne in Rotterdam gestrichen, die Design Academy in Eindhoven vor dem Aus und ein staatlicher Förderfonds für Architektur, der den Europan-Wettbewerb abwürgt. In den Niederlanden geraten Wohnungsmarkt, Architekten­ausbildung und Nachwuchsförderung unter Druck.
Anfang dieses Jahres hat die Wohnungsbaugenossenschaft Vestia aus Rotterdam ihre Pläne zur Errichtung von 4525 neuen Wohnungen gestrichen. Diese Entscheidung kam nicht unerwartet: Die Genossenschaft war durch den Kauf von De­rivaten, mit denen sie viel Geld verdienen wollte, in finan­zielle Schieflage geraten. Wegen der sinkenden Zinsen hat sie einen gigantischen finanziellen Einbruch erlitten und kann die Stiftungskosten von über 1,1 Milliarden Euro nicht mehr aufbringen. Die Folgen sind katastrophal, vor allem in den betroffenen Städten. So wird nichts aus der Erneuerung der Problemviertel im Süden von Rotterdam, falls man nicht noch von anderer Seite Geld bekommt, erklärte Programmdirektor Marco Pastors vom Nationalen Programm Rotterdam-Zuid. Die Stadt möchte hier in den nächsten Jahren 35.000 Wohnungen renovieren und teilweise ersetzen. Durch das Vestia-Debakel werden diese Pläne in Frage gestellt. Auch Städte wie Den Haag, Delft, Apeldoorn und Zoetermeer sind ähnlich stark betroffen.

Stagnierender Wohnungsmarkt
Aber diese Affäre hat noch viel weiter reichende Konsequenzen. Zur Tilgung der Bankschulden greift Vestia im Rahmen der Sanierungsförderung auf den Zentralen Fonds für Wohnungswesen (Centraal Fonds Volkshuisvesting – CFV) zurück. Dieser Fonds beschafft sich seinerseits die Summe von 700 Millionen Euro mittels einer Umlage von allen Wohnungsbaugenossenschaften. Letztlich trägt dies zu einer Stagnation des Wohnungsmarkts bei. Das Versagen von Vestia ist leider kein Einzelfall, sondern gehört zu einer Entwicklung, die bereits seit mehreren Jahren andauert und nur teilweise mit der 2008 ausgebrochenen Finanzkrise zusammenfällt. Zahlreiche Institutionen und Einrichtungen sind in den letzten Jahren in Schwierigkeiten geraten und wurden von Skandalen aufgeschreckt. Die Liste ist lang: Entwickler, Ministerien, Hochschulen, Wohnungsbaugenossenschaften, Bauunternehmen, der Wohnungsmarkt, die Märkte für Büroimmobilien und Einzelhandel. Diese Häufung institutioneller Fehlleistungen stärken das Krisengefühl, das in den Niederlanden immer mehr um sich greift.

Fehlende Leitung
Einige Zeit nach dem Vestia-Debakel erreichte uns eine Meldung, die eine weitere Verschlechterung des Klimas für die Architektur bedeutet: An der Design Academy in Eindhoven ist die gesamte Leitung der Master-Ausbildung zurückgetreten. Die Probleme gehen auf das Ausscheiden der künstlerischen Direktorin Lidewij Edelkoort vor drei Jahren zurück. Der Akademie war es nicht gelungen, einen vergleichbar prägenden Nachfolger zu finden. An dieser fehlenden Leitung bei Design und Designausbildung scheint die Akademie jetzt zu zerbrechen. Unmittelbarer Anlass für den aktuellen Rücktritt ist der Beginn eines organisatorischen Umbaus, der sich nach Auffassung der Dozenten verheerend auf die Qualität des Unterrichts auswirken wird. In dem Brief, in dem sie ihre Kündigung mitteilen, bemängeln sie, dass in der Akademie keine Diskussion über die veränderte Rolle von Design innerhalb der Gesellschaft stattfindet.

Herausragende Position?
Und es kommt noch schlimmer: Der staatliche Förderfonds für Architektur (mit Sitz in Rotterdam) hat entschieden, keine weiteren Fördermittel an Europan zu vergeben. Zur Begründung heißt es, dass der Europan-Wettbewerb keine hervorragende Position mehr innehat und die preisgekrönten Entwürfe nur selten realisiert werden. Stichhaltig sind diese Argumente nicht, denn aus einer Analyse des Förderfonds geht hervor, dass sich die Europan-Organisatoren für die Realisierung der prämierten Entwürfe besonders stark einsetzen. Eine sinkende Zahl an Anmeldungen und Wettbewerbsstandorten ist ebenso wenig zu verzeichnen. Auch die zahlreichen Unterstützungsbekundungen, die Europan nach dieser Entscheidung von Architekten, Auftraggebern und Bildungseinrichtungen erhalten hat, vermitteln ein anderes Bild. In gewissem Sinne werden hierdurch die institutionellen Mängel des Förderfonds sichtbar. Denn selbst wenn es so wäre, dass Europan nicht mehr mit herausragenden Leistungen glänzen würde, dürfte das nicht zu einer Ablehnung der Förderung führen, sondern sollte vielmehr eine Debatte über die Kriterien eröffnen, nach denen diese Organisation arbeitet. Bessere Leistungen erreicht man nicht durch Entzug der finanziellen Grundlage, sondern indem man Alternativen aufzeigt.

Institutionelle Neuausrichtung

Institutionen werden nicht ins Leben gerufen, um Werte zu zerstören, sondern um Werte zu schaffen. Dieses Axiom ist leider nicht mehr Ausgangspunkt der heutigen Architekturpolitik in der Niederlanden. Die „Actieagenda Architectuur en Ruim­telijk Ontwerp 2013–2016“ (dt.: Aktionsplan Architektur und räumliche Gestaltung), die im September vom Kabinett der Regierung beschlossen worden ist, fordert, dass die Architekten es jetzt selbst richten sollen. Von Unterstützung für die Branche, die durch Wirtschaftskrisen schwer getroffen ist, ist darin keine Rede mehr. Im Gegenteil, es wird behauptet, dass die Architekten an ihrer Malaise selbst schuld seien. Das passt zum neoliberalen Wind, der heute durch die Architekturlandschaft weht. Die noch bestehenden Institutionen werden zu Fusionen gezwungen und damit immer mehr aufgebläht. Aber kann das die allseits geforderte Selbstständigkeit des kreativen Sektors fördern? Die Kluft zwischen den Institutionen und der Architektur wird größer. Aus einem Selbsterhaltungstrieb heraus vermeiden die Institutionen jegliche riskanten Projekte – die in dieser Zeit aber dringend notwendig wären. Die ‚Agenda Architectuur‘ wendet sich gegen die Architektur, und stellt deren Rolle in der Öffentlichkeit infrage.

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