Expo 2027
Die Schweizer Gesellschaft verhandelt ihre Geschichte und ihre kulturellen Werte jedes viertel Jahrhundert neu, indem sie Landesausstellungen konzipiert. Die siebte Landesausstellung unter dem Titel „Expo2027“ findet in den Ostschweizer Kantonen Thurgau, St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden statt. Jetzt, zwölf Jahre im Voraus, wurde ein Konzeptwettbewerb entschieden
Text: Kaps, Vera, Zürich
Expo 2027
Die Schweizer Gesellschaft verhandelt ihre Geschichte und ihre kulturellen Werte jedes viertel Jahrhundert neu, indem sie Landesausstellungen konzipiert. Die siebte Landesausstellung unter dem Titel „Expo2027“ findet in den Ostschweizer Kantonen Thurgau, St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden statt. Jetzt, zwölf Jahre im Voraus, wurde ein Konzeptwettbewerb entschieden
Text: Kaps, Vera, Zürich
Die Schweizer Landesausstellung hat eine über hundertjährige Tradition. Sie ist Antwort auf das jeweilige Zeitgeschehen, dient Kommerz und Vergnügen und regt gleichzeitig dazu an, sich mit der Schweizer Gesellschaft und ihrem Staat auseinanderzusetzen. Animiert von den florierenden Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts konzipierte die Schweiz ihre erste Landesausstellung 1883 in Zürich. Dem Zeitgeist entsprechend präsentierte die junge Willensnation industriellen Fortschritt und wirtschaftliche Visionen, um föderalistische Strukturen zu verankern. Ihrem Vorbild folgte Genf 1896. Die dritte und vierte Landesausstellung in Bern 1914 und in Zürich 1939 standen im Schatten der beiden aufziehenden Weltkriege und thematisierten daher den inneren Zusammenhalt gegen die von außen auftretende Bedrohung. In Lausanne stellte man 1964 die Themen Aufbruch und Bewahrung einander gegenüber und ersetzte das Bild einer homogenen durch das einer heterogenen Schweiz. Die sechste Landesausstellung 2002 war gleichzeitig die erste, die an vier Orten an Land und zu Wasser im Drei-Seen-Land ausgetragen wurde. Sie bespielte die Städte Murten, Yverdon-les-Bains, Biel und Neuenburg sowie den Murten-, Bieler- und Neuenburgersee. Erstmals wurde keine zentrale nationale Botschaft vermittelt. Stattdessen stand das sinnliche Erlebnis im Vordergrund und fand seinen Ausdruck etwa in der Wolke von Diller Scorfidio oder dem Monolithen von Jean Nouvel. Der ephemere Charakter dieser Ikonen wird noch heute bedauert.
Dem Vorbild der Expo.02 folgend waren die Teilnehmer des international ausgelobten Konzeptwettbewerbs für die Expo2027 aufgefordert, eine Ausstellung zu konzipieren, deren Stand-orte in den drei Trägerkantonen liegen und erstmals auch das angrenzende Ausland am Bodensee und im Alpenrheintal involvieren sollen. Neben atmosphärischen Qualitäten und Ausstellungsinhalten fragten die Auslober daher auch nach spezifischen Austragungsorten und deren logistischer Verknüpfung. Für die knapp sechs Monate der Ausstellung rechnet man mit mehr als 10 Millionen Besuchern. Doch auch nach dem Ausstellungsjahr soll die Expo2027 weiterwirken.
Expedition 27
Es ist ein langer Weg, den die Trägerkantone unter Federführung des Departements für Bau und Umwelt des Kantons Thurgau im Mai 2014 mit der Auslobung eines zweistufigen Konzeptwettbewerbs einläuteten. Von 59 vollständigen, fristgerecht und anonym eingereichten Beiträgen wählte die Jury unter Vorsitz von Angelus Eisinger (Direktor der Regionalplanung Zürich und Umgebung) im Dezember 2014 zehn zur Weiterbearbeitung in einer zweiten, nicht anonymen Phase aus. Am 10. September wurde das Gewinnerkonzept bekanntgegeben: „Expedition 27“ vom Planungsteam um Hosoya Schaefer Architects, den Dramaturgen und Kulturschaffenden Plinio Bachmann und die Landschaftsarchitekten von Studio Vulkan.
Die eingereichten Konzepte hinterfragen das Format einer Landesausstellung, das im Spannungsfeld zwischen ephemerem Festcharakter und nachhaltiger Planung, nationalen Grenzen und internationaler Verbundenheit sowie digitalem Datenfluss und haptischem Erlebnis steht. Die Teams „Offshore“ (2. Rang) unter Federführung von Daniel Zamarbide (Bureau A, Genf) und „Par quatre chemins“ (3. Rang) unter Federführung von Thomas K. Keller (Thomas K. Keller Architekten, St. Gallen) legen den Ursprung ihres Konzeptes an den Bodensee. „Offshore“ rückt den See mit einer Insel aus schwimmenden Plateaus, die thematisch mit verschiedenen Infrastrukturen in der Ostschweiz und auf Grenzseen weltweit zusammenhängen, in den Fokus; „Par quatre chemins“ schlägt einen Uferweg mit Pavillons vor, in dem drei reale und symbolische Wege gleich Flussläufen aus der Ostschweiz zusammenlaufen.
Spielraum zum Ausformulieren
Während die zehn Konzepte der zweiten Wettbewerbsphase eine mögliche Landesausstellung beschreiben, verbindet das Siegerteam unter Federführung von Markus Schaefer (ehemaliger Direktor von AMO, Rotterdam, heute Partner von Hosoya Schaefer Architects, Zürich) sein Ausstellungskonzept mit einer raumplanerischen Visionen für die Ostschweiz. Gleichzeitig gelingt der Spagat zwischen konkretem Konzept und unkonkreter Narrative: Das lässt genügend Spielraum zum Ausformulieren. Das Team definiert die Ostschweiz als Region mit Berg-, Stadt- und Küstenlandschaft, die über drei Eisenbahnringe miteinander verbunden werden. Im Ort Winkeln, der geografischen Mitte des Ausstellungsgebietes, kreuzen sich diese Eisenbahnlinien, die gleichzeitig Erzählstränge bilden und drei Fragen nachgehen: Wo kommen wir her? Wer sind wir? Wo wollen wir hin? „Anstatt Themen auf ein Expogelände zu bringen, bringt dieses Konzept die Expo zu den Themen im Gelände“, formulieren die Macher ihren Leitgedanken. Im Writer’s Room (einem verborgenen Ort in Winkeln oder einem fahrenden Eisenbahnwagen) trägt eine Gruppe von Storytellern diese Themen, Erlebnisse und Erzählungen zusammen und verbindet so die physische Erlebniswelt mit der narrativen Erzählwelt zu einem einzigen Abenteuer.
Zunächst erscheinen 12 Jahre eine lange Planungszeit. Doch dieser Wettbewerb ermittelte erst einmal ein Konzept, das die Grundlage für konkrete Raumplanungs- und Architekturwettbewerbe bildet. Jetzt soll das Siegerkonzept über eine zweijährige Machbarkeitsstudie geprüft und weiterentwickelt werden. Über deren Finanzierung von 9,5 Millionen Franken durch die drei Trägerkantone sowie staatsnahe Unternehmen wird die Bevölkerung in Thurgau und St. Gallen im Sommer 2016 entscheiden. Auch das ist ein Wegabschnitt der „Expedition 27“.
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