Freeing Architecture mit Ishigami
Die Fondation Cartier zeigt die erste große Einzelausstellung des japanischen Architekten. Sein konzeptionelles Denken drückt sich aus in einem Verlangen nach einer Verflechtung der Architektur mit dem „Natürlichen“.
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Freeing Architecture mit Ishigami
Die Fondation Cartier zeigt die erste große Einzelausstellung des japanischen Architekten. Sein konzeptionelles Denken drückt sich aus in einem Verlangen nach einer Verflechtung der Architektur mit dem „Natürlichen“.
Text: Redecke, Sebastian, Berlin
Beim Anblick der großen, teilweise speziell angefertigten Modelle hat man den Eindruck einer fast schon skurrilen Rückkehr zum Elementaren, zum ganz Einfachen in der Architektur. In einer Zeit der künstlichen Intelligenz, die gerade in Japan in schnellen Schritten sich entwickelt, und vor allem der digitalen Flut, die sich nicht zuletzt im BIM-Managment zeigt – und dem Architekten sein immer komplizierter zu bearbeitender Entwurf schon in einem frühen Stadium aus der Hand zu gleiten droht –, scheint Ishigamis Sehnsucht nach dem Ursprünglichen und dem Erfinderischen eine „Befreiung“ zu sein. Man muss jedoch bei den Entwürfen von Junya Ishigami genauer hinschauen. Dann stellt man fest, dass dieser Eindruck täuschen kann. Viele Ideen des 43jährigen zeugen von einem großen Wagnis, denn die Konstruktionen, besonders der weit gespannten Dächer, stoßen deutlich an Grenzen.
Die Arbeiten in der Ausstellung lassen sich in zwei Themenbereiche gliedern: Zum einen in die filigran und leicht wirkenden Projekte wie zum Beispiel das Cultural Center, eine ein Kilometer lange und 5 bis 20 Meter breite Promenade über einen See in China mit Kultureinrichtungen, Gastronomie und Shops. Ähnlich leicht mit „schwebendem” Dach zeigen sich der Forest Kindergarten in Shandong, China, und das Besucherzentrum in Holland (Seite 44). Die vom gleichen chinesischen Bauherrn wie das Cultural Center bestellte „Church of Valley“ in Rizhao besteht aus einer geschwungenen, oben offenen Betonschale von 40 Meter Höhe, die man durch einen nur 1,50 Meter breiten Spalt betre-ten soll. Der zweite Bereich zeigt Arbeiten unter der Erde. Ein privater Bauherr in Yamaguchi hatte den Traum eines höhlenartigen Wohnhauses mit Restaurant. Ishigami ließ für ihn trichterförmige Löcher ausbaggern und mit Beton ausgießen. Dann folgte das Abgraben der Erde drum herum, und es entstand ein offenes Gefüge, dessen räumliche Qualität sich mir jedoch nicht erschließt. Für die Erweiterung des Technikmuseums in Moskau von 1872 wird das Souterrain ausgeweidet und der Außenbereich mit begrünten Böschungen freigelegt. Ein schwieriges Un- terfangen. Fotos bezeugen, dass die „Grabungen“ schon begonnen haben.
Ein Modell zeigt das „House of Peace“ der Hope Stiftung für Kopenhagen. Als Insel geplant, steht es mit seiner weißen, an eine Wolke erinnernden Schalenskulptur in einem Wasserbecken. Der Wettbewerb wurde 2014 gewonnen.
Von besonderer Bedeutung ist Ishigamis Initiative „Group House“ in Tohoku von 2012. Für eine Einrichtung demenzkranker Senioren sollten vierzig zum Abriss freigegebene Holzhäuser aus ganz Japan umgesetzt und in einem neuen Quartier wieder aufgestellt werden, da kleine, vertraute Hausstrukturen Orientierungshilfe geben. Das Recyclingprojekt sorgte für viel Aufsehen, doch es wurde dann aus Kostengründen gestoppt. In der Ausstellung sind Modelle zu sehen, und ein Video zeigt die am Kran hängenden und auf Tiefladern abtransportierten Häuser.
Gut gelungen ist die klare Aufteilung der Ausstellung in den drei Sälen im Erd- und Untergeschoss. Jean Nouvels Gebäude der Fondation Cartier (Bauwelt 26.1994) bleibt eines seiner besten Bauten und ist nun in viel Grün eingebettet.
0 Kommentare