Gebt uns Raum!
Die Ausstellung „DEMO:POLIS“ beleuchtet den öffentlichen Raum aus allen möglichen Richtungen, was den Besuchern viel Standvermögen abverlangt
Text: Herzog, Andres, Zürich
Gebt uns Raum!
Die Ausstellung „DEMO:POLIS“ beleuchtet den öffentlichen Raum aus allen möglichen Richtungen, was den Besuchern viel Standvermögen abverlangt
Text: Herzog, Andres, Zürich
Ob auf dem Majdan in Kiew, im Gezi-Park in Istanbul, in den Straßen des terrorerschütterten Paris oder in der okkupierten Wallstreet in New York: Eine offene, demokratische Gesellschaft braucht Raum, sprich: Stadtraum. „DEMO:POLIS“ heißt die Ausstellung in der Akademie der Künste in Berlin, deren Untertitelt fordernd lautet: „Das Recht auf öffentlichen Raum“. Jeder und jede hat ein Anrecht, auf die Straße zu gehen und an der Polis teilzuhaben. Nachdem die Akademie 2010 das Verhältnis zwischen Stadt und Landschaft und 2013 jenes zwischen Stadt und Kultur ergründet hat, wendet sie sich nun also der Gesellschaft zu.
Stadt dreht sich immer um Öffentlichkeit, insofern ist der Fokus der Ausstellung unscharf. Und bei aller Dringlichkeit, die der Untertitel anschlägt, stehen nicht politische Forderungen alleine im Zentrum. Kurator Wilfried Wang will allgemein zeigen, „wie Architekten, Stadtplaner, Künstler und Bürger den öffentlichen Raum gestalten und nutzen“. Die Themen reichen von Partizipation über Kunst im öffentlichen Raum bis zu Verkehrsplanung. Es geht um Gentrifizierung in Berlin, um Landschaftsschutz in Galizien, um Proteste gegen die Überwachung im Internet. Festen Boden unter den Füßen in diesem Dickicht bieten einige konkrete Stadtreparaturen von Plätzen und Parks, die sorgfältig für die Allgemeinheit (wieder) hergerichtet wurden. Etwa der Trafalgar Square, den London aus dem Würgegriff des Verkehrs gelöst hat. Die Altstadt von Wismar, die saniert und parkplatzbefreit wurde. Oder der Brooklyn Bridge Park, der einen stillgelegten Güterhafen entlang des East Rivers in New York ersetzt. Die Beispiele beweisen: Funktionierender Stadtraum braucht gute Gestaltung.
Wang gliedert die Ausstellung in drei Teile: Der erste zeigt anhand von Berlin, wie sich der öffentliche Raum wandelt. Es folgen Stadtinterventionen aus aller Welt, den Abschluss bilden Ideen für die Zukunft. Das Ringen um den öffentlichen Raum beschreibt Wang heute vor allem als Kampf gegen neoliberale Kräfte, die sämtliche Ecken und Winkel der Stadt durchdringen. Die Werbung versetzt die Passanten überall in Kaufbereitschaft, während das globale Kapital gewachsene Nachbarschaften verdrängt. Öffentlichkeit gibt es nur noch als inszenierte Kulisse, mit der Einkaufszentren Kaufwillige anlocken. Der Raum aller, so der Tenor der Ausstellung, kommt zusehends unter Druck. Doch sie zeigt auch: Es gibt Widerstand. In Puerto Rico hat die Bevölkerung einen privatisierten Küstenstreifen für die Allgemeinheit zurückgewonnen. Der Granby Park belebte in Dublin einen Monat lang das Grundstück eines abgerissenen Sozialwohnungsbaus. Und in Berlin hat die Bürgerinitiative „100% Tempelhofer Feld“ den ehemaligen Flughafen vor den Baukränen bewahrt.
Ein paar Minuten Planungsgott spielen
Damit stößt die Ausstellung zum Kern vor: Öffentlichkeit muss ausgehandelt werden. Einer der Megatrends von heute lautet mitbestimmen und mitgestalten. In der Ausstellung können die Besucher gleich zu Beginn selber Hand anlegen. Mit ein paar Klicks gestalten sie am Computer den Städtebau rund um den Alexanderplatz in Berlin und spielen für ein paar Minuten Planungsgott. Sie definieren Gebäudeformen, Straßenbreiten, Grünflächen und Nutzungen, und der Computer spuckt sofort ein Flugvideo über den neuen Stadtteil aus. Ein spielerisches Werkzeug, das Laien ein Gefühl für Städtebau vermittelt. Das aber auch hoffentlich lehrt, dass Stadt nicht auf Knopfdruck entsteht und dass es Architekten braucht, denen man diese Arbeit anvertraut.
Der Gedanke des Bottom-Up zieht sich durch die ganze Ausstellung. Besucher können zum Beispiel einen Fragebogen zur Zukunft der Ackerstraße in Berlin ausfüllen, der die Befindlichkeit zu Zuwanderung, Kaufkraft oder Autobesitz ergründet. Schon für die Ausstellung selber zog Wilfried Wang alle Register der Partizipation. Studierende von vier Hochschulen haben Öffentliche Räume in Anklam, Gelsenkirchen und Berlin untersucht und präsentieren ihre Resultate. Zudem haben Stipendiaten der Jungen Akademie Kunstinstallationen zum Thema entworfen. Auch hier ist der Besucher aufgefordert, mitzumachen. In der Erzählbox kann er seine persönliche Geschichte in die Kamera aufsagen. Oder er tippt am Computer Dinge ein, die man im öffentlichen Raum mal gemacht haben muss; im Regen duschen etwa. Und zu guter Letzt fragt die Ausstellung noch: Wie war ich? So sympathisch die Analysen wirken, so fragt man sich wie bei jeder Mitwirkung: Wer hört das alles ab? Fließt das irgendwo mit ein? Die Modelle der 3D-Simulation jedenfalls werden nicht gespeichert.
Niemanden gefragt, sondern die New Yorker über Nacht vor Tatsachen gestellt haben die beiden Künstler Matthias Wermke und Mischa Leinkauf. 2014 ersetzten sie die amerikanischen Flaggen auf der Brooklyn Bridge durch handgenähte weiße Versionen. Auf die anfängliche Verwunderung folgte bald Paranoia, begleitet von Hubschraubern und Polizisten. Was poetisch gedacht war, wurde panisch verstanden. Der öffentliche Raum ist verwundbar, insbesondere nach 9/11. Die Kunst ist ein probates Mittel, um solche Fragen ins Bewusstsein zu rücken. Doch die Ausstellung vermag die Tür nur einen Spalt weit aufzustoßen zu diesem riesigen Feld. Überhaupt schneidet die Schau – im Bestreben der komplexen Materie gerecht zu werden – viele Themen an und macht es dem Besucher schwer, den roten Faden zu behalten. Die Modelle, Pläne oder Fotos bleiben abstrakt und können die Hintergründe nicht erklären. Wer mehr erfahren will, muss die informativen, aber langen Texte aus dem Katalog auf dem Tablet an der Wand lesen. Dabei lohnt es sich, das vielschichtige Thema im Buch zu vertiefen, das Barbara Hoidn bei Park Books herausgegeben hat.
Wer aber nicht nur lesen, sondern handeln will, macht mit beim „Urban Parliament“. An fünf Dienstagabenden diskutieren Fachleute und Bürger über die Grundsätze des öffentlichen Raumes, die sie anschließend in der „Urban Rights Charta für Berlin“ festschreiben. Das Kollektiv Zuloark hat diese Stadtparlamente bereits in anderen europäischen Metropolen durchgeführt. Ihr Ziel: Eine „Universal Declaration of Urban Rights“, die eine Stadt für alle statt für wenige garantiert.
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