Denkmalschutz für Hamburgs U-Bahnhöfe der Spätmoderne?
Noch wird weiter verunstaltet.
Text: Kock, Sabine, Hamburg
Denkmalschutz für Hamburgs U-Bahnhöfe der Spätmoderne?
Noch wird weiter verunstaltet.
Text: Kock, Sabine, Hamburg
Am Hamburger Verkehrsknoten Jungfernstieg werden die Fahrgäste der S-Bahn neben dem tiefen Schwarz der Tunnelröhre von einem Schwarm grauer Ein- und Mehrzeller auf fahlem Blau umhüllt. Die Irritation darüber lässt bei den Passanten nur langsam nach. Zu groß ist der jüngste Verlust des vertraut poppig-fröhlichen Farbspektrums, das über 40 Jahre die Haltestelle im Gedächtnis der Ein- und Aussteigenden verankerte – nicht der einzige Anlass, der Bedrohung nachkriegsmoderner Tunnelbahnhöfe in Hamburg nachzuspüren.
Als 1975 der Hamburger U-Bahnhof Jungfernstieg mit zwei neuen Tiefebenen zu einem wichtigen Verkehrsknoten ausgebaut wurde, war die technisch anspruchsvolle Bauaufgabe ein Vorzeigeprojekt der Stadt; Höhepunkt und vorläufiger Abschluss der Strecken-Neubaumaßnahmen nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Bedeutung angemessen, war der Architekt Fritz Trautwein mit der Gestaltung der neuen S- und U-Bahnbereiche beauftragt, der schon 1957 mit dem Bahnhof Landungsbrücken eine besondere Hülle für die Fahrgäste der Linie U3 an den Hafenrand gesetzt und Ende der 1960er Jahre mit einem der schönsten Fernsehtürme der Bundesrepublik auch ein Wahrzeichen der Hansestadt geplant hatte. Am „Jungfernstieg“ glitten die Fahrgäste an bunten Farbfeldern mit weißen und gelben Kreisen fast beschwingt in den neuen Bahnhof ein, dessen starke Krümmung Trautwein zu einer besonderen Faltung und Teilung der Deckenform inspiriert hatte. Das Bewusstsein dafür aber fehlt heute: Seit Jahren erneuert die Deutsche Bahn schrittweise ihre Haltestellen im Hamburger „City-Tunnel“. Für den Bahnhof Jungfernstieg kam das Ende 2018, und mit ihm ein Totalverslust der alten Farb- und Formenvielfalt.
Immerhin geht die Hamburger Hochbahn AG mit ihrem Streckennetz im Allgemeinen sorgsamer um, und so ist die noch vorhandene Bahnhofsgestaltung von Fritz Trautwein in der dritten Tiefebene der Linien U2 und U4 in einem gepflegten Zustand und vermittelt, trotz verlorener Deckengestalt, noch den Klang des ursprünglichen Farbrausches. Das bedeutet allerdings nicht zwangsläufig, dass die Hochbahn eine aufmerksamere Wertschätzung gegenüber dem Nachkriegsbestand auf ihren Linien besitzt. Vielmehr ist zu beobachten, dass es schon seit Jahren zu schleichenden Veränderungen vor allem auf den Verteilerebenen, den Hintergleiswänden und den Ausstattungen der Bahnsteigbereiche kommt. Anders als bei den Streckenverläufen und Bahnhöfen der historischen Ringlinie von 1912, bei deren Sanierung die Denkmalpflege intensiv eingebunden war und ist, erhalten die Nachkriegsbahnhöfe ungleich weniger Wertschätzung.
Auch die „Wandsbeker Linie“ war einst ein Prestigeprojekt der Stadt: Zwischen 1958 und 1963 wurden die Architekturbüros Schramm und Elingius, Hans Christoph Rübcke, Sandtmann und Grundmann und Fritz Trautwein mit dem Bau von elf Tunnelhaltestellen für die erste Neubaulinie in der Zeit des Wiederaufbaus beauftragt. Die Gestaltungen sollten dem neuen Lebensgefühl und der wiedererlangten Leistungskraft der Stadt einen repräsentativen Ausdruck verleihen. Mobilität und Infrastruktur galten schon damals als wichtiger Motor, um die Gesellschaft in die Zukunft voranzutreiben. Kräftige Farben, klare Typografie, signifikante Formen von Stützen und Decken, individuelle Ausstattungsgegenstände und das „Kunst am Bau“-Programm verschafften den Fahrgästen klare Orientierung und gestalteten Zeitgeist. Die Haltestellen wurden über die Jahre unterschiedlich stark erneuert, und denkmalpflegerischen Schutz genießen bisher nur die oberirdischen Bauwerke wie die Kuppelschale an der Lübecker Straße von Sandtmann und Grundmann mit Stefan Polóny und das Faltdach der Busumsteigeanlage am Wandsbeker Markt von Heinz Graaf. Die unterirdischen Unterführungen, Schalterhallen und Bahnsteigbereiche, die nach dem Krieg zu den neuen Gestaltungsaufgaben gehörten, haben es dagegen bisher nicht in das kollektive Wertebewusstsein geschafft. Selbst die Station am Alten Teichweg, wo Fritz Trautwein 1963 selten zur Ausführung gekommene Seitenbahnsteige in einer übergroße Halle mit einer Haltestellenwärterkanzel krönte, die wie eine elegante Kommandobrücke im Luftraum auf einer schlanken Stütze schwebt, schaffte es bisher nicht auf die Denkmalliste. Heute heißt dieser Abschnitt des Streckennetzes schlicht „Ast-Ost“ und erhält einen barrierefreien Ausbau im Turbo-Gang. Das bedeutet vor allem vertikales „Liften“ durch Fahrstuhleinbauten, deren Positionierungen sicher nicht immer einfach zu bestimmen und durchzuführen waren. Es bedeutet aber leider oft auch einen schmerzlichen Verlust an Originalsubstanz.
In Berlin ist man da weiter. Dank der „Initiative Kerberos“ konnten die Initiatoren Verena Pfeiffer-Kloß, Ralf Liptau und Frank Schmitz eine umfangreiche Bestandsaufnahme der meist von Baudirektor Rainer G. Rümmler entworfenen nachkriegsmodernen U-Bahnstationen in der Hauptstadt erwirken und wurden in der Folge mit der Erstellung von Gutachten beauftragt. Im Ergebnis wurden vom Landesdenkmalamt Berlin inzwischen 22 Bahnhöfe aus den Jahren 1960-84 unter Schutz gestellt. Darüber hinaus präsentiert die Berlinische Galerie bis 20. Juni 2019 in einer Ausstellung unter dem Titel „Underground Architecture“ Zeichnungen, Fotografien und Materialien aus den seit 1953 entstandenen Berliner U-Bahnhöfen. Ende Februar fand dazu eine internationale Tagung statt, veranstaltet, neben der Berlinischen Galerie, von der „Initiative Kerberos“, dem Landesdenkmalamt Berlin und ICOMOS Deutschland. Erstmals überhaupt trafen sich Experten zum Austausch über Tunnelbahnhöfe der Nachkriegszeit, von Berlin quer durch die Republik, über Wien und London bis nach Athen. So unterschiedlich die Ausgangssituationen auch sind, Gefährdungspotential wurde überall deutlich. Besonders auch im „Bonner Tunnel“: Diese erste U-Bahn-Linie der ehemaligen Hauptstadt wurde 1975/1979 von Architekten wie Alexander Freiherr von Branca und der Wiener „Architektengruppe U-Bahn“ gestaltet und ist nun so akut gefährdet, dass wegen der Dringlichkeit am Ende der Tagung eine gemeinsame Petition zum Erhalt in Auftrag ging.
Die Situation in Hamburg ist weit unübersichtlicher. Anders als in Berlin gibt es bisher keine tatkräftige Initiative oder eine erkennbare Sensibilität der Verantwortlichen. Auch dort hält zwar der Forschungsbedarf an, vorallem im Ost-Teil der Stadt. Aber Hamburg wäre zunächst eine grundsätzliche Bestandsaufnahme der Nachkriegsbahnhöfe zu wünschen, die Diskussionsgrundlage bei anstehenden Veränderungen sein könnte. Denn nach der „Wandsbeker Linie“ erfolgten Streckenneubauten nach Billstedt und Niendorf, die das gestalterische Vokabular der 1960er Jahre zu Beginn aufgriffen und fortschrieben.
Es wird Zeit, dass für die U- und S-Bahnhöfe der Nachkriegszeit ein neues Kulturgutverständnis geschaffen wird. Ansonsten steht zu befürchten, dass nicht nur gut gemeinte Modernisierungen und notwendige technische Anpassungen vermeidbare Schäden anrichten, sondern auch die Ökonomisierung der Werbung zum übergeordneten Maßstab der Neugestaltungen wird. In dieser Hinsicht zumindest kann man in den unterschiedlichen Tiefebenen des Jungfernstiegs derzeit eine Zeitreise durchschreiten: Die 1960er Jahre zeigen ihre knallig orangenen Wände in der Kleinteiligkeit der zeittypischen Spaltplatten, die Formen und Farben der Pop Art der 1970er Jahre erscheinen glänzend auf großformatig emaillier-ten Stahlplatten. Gemeinsam ist ihnen das bis heute auf allen Bahnhöfen vertraute Bild der Plakatwände, die in regelmäßiger Reihung die Hintergleiswände weiter bemustern. Im neu gestalteten S-Bahnhof der zweiten Tiefebene allerdings bestimmt die Zukunft des Marketing die Szenerie: Die im Grundton dunkle Gestaltung des Raums tritt optisch hinter die hellen Werbeflächen zurück, die im Sekundentakt mit Werbespots bespielt werden. Das Buhlen der medialen Aufmerksamkeit im flimmernden Nebeneinander an Wänden und Stützen gerät dabei zum alles bestimmenden Raumeindruck. Diese bewegte Bildmacht generiert eine visuelle Verschmutzung, die von manchem Fahrgast als Belästigung wahrgenommen wird.
Erneut ist der Knoten Jungfernstieg damit Vorreiter. Dass dieser Paradigmenwechsel nun auch bei der Hamburger Hochbahn eingeläutet wird, zeigt sich am Stephansplatz, einem Tunnelbahnhof aus der Zwischenkriegszeit. Auch hier wurden jüngst alle Plakatwände durch Beamerkästen mit Projektionsflächen ersetzt. Für die Tunnelhaltestellen der Nachkriegslinien wäre diese Entwicklung fatal. Eine Ummantelung der gerade hier oft besonders geformten Stützen mit integrierten Bildschirmen würde eines der Hauptgestaltungsmerkmale der Bahnhöfe zerstören. Und auch so manche noch gut erhaltene Hintergleiswand stünde dann unter verstärktem Erneuerungsdruck. Die individuellen Faltungen und Formungen der bauzeitlichen Rabitzdecken sind meist schon durch lineare Beleuchtungssysteme verändert, mit Lifteinbauten und Brandschutzmaßnahmen wurde partiell weiter in die Originalsituationen eingegriffen.
Wenn es gelänge, die Substanz der Nachkriegslinien neu zu bewerten, könnten ökonomisch, technisch und kulturell notwendige Anpassungen bewusster umgesetzt werden. Vielleicht wäre damit auch der massive Einsatz digitaler Werbeträger einzudämmen, damit wir zukünftig in der Rückschau auf die Veränderungen in den Tunnelbahnhöfen nicht sagen werden: „Als die Bilder laufen lernten, gab es nichts mehr zu gestalten.“
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