Bauwelt

Investment in bessere Qualität ist erfolgreicher

Interview mit David L. Reifman, Planungsdezernent von Chicago, und Amts­leiterin Eleanor Gorski über Stadtplanung in Chicago

Text: Burgard, Roland, Frankfurt am Main

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    Ein Abschnitt des Riverwalk am Chicago River, der nach dem Entwurf von Ross Barney Architects bis 2016 realisiert wurde.
    Abb: Kate Joyce Studios

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    Ein Abschnitt des Riverwalk am Chicago River, der nach dem Entwurf von Ross Barney Architects bis 2016 realisiert wurde.

    Abb: Kate Joyce Studios

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    Im Gespräch: David L. Reifman und Eleanor Gorski
    Abb.: Department of Plann­ing and Development, Chicago

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    Im Gespräch: David L. Reifman und Eleanor Gorski

    Abb.: Department of Plann­ing and Development, Chicago

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    Abschnitte der Neugestaltung entlang des Chicago River mit der Darstellung von neuen oder umgenutzten Großbauten.
    Abb.: Department of Plann­ing and Development, Chicago

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    Abschnitte der Neugestaltung entlang des Chicago River mit der Darstellung von neuen oder umgenutzten Großbauten.

    Abb.: Department of Plann­ing and Development, Chicago

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    Das Riverdale-Areal mit der Umwandlung ehemaliger Gewerbe- und Industriegebiete, ...
    Abb.: Department of Plann­ing and Development, Chicago

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    Das Riverdale-Areal mit der Umwandlung ehemaliger Gewerbe- und Industriegebiete, ...

    Abb.: Department of Plann­ing and Development, Chicago

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    ... darunter Planungen für das S. Ashland-Areal ...
    Abb.: Department of Plann­ing and Development, Chicago

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    ... darunter Planungen für das S. Ashland-Areal ...

    Abb.: Department of Plann­ing and Development, Chicago

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    ... und den "Com-Ed Right-of-way".
    Abb.: Department of Plann­ing and Development

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    ... und den "Com-Ed Right-of-way".

    Abb.: Department of Plann­ing and Development

Investment in bessere Qualität ist erfolgreicher

Interview mit David L. Reifman, Planungsdezernent von Chicago, und Amts­leiterin Eleanor Gorski über Stadtplanung in Chicago

Text: Burgard, Roland, Frankfurt am Main

Manche sagen, Chicago sei zur „City of Woe“, der „Stadt des Wehklagens“ geworden. Denn der freie Welthandel begünstigte die Verlagerung ganzer Industrien in Billiglohnländer. Zurück blieben Industriebrachen und soziale Probleme. Donald Trump wird nicht müde am Beispiel Chicagos, der Stadt seines Vorgängers im Amt, die ungelösten Probleme der US-Großstädte mit ihrer hohen Kriminalität aufzuzeigen. Die Kommunalpolitik Chicagos ist von großer Kontinuität geprägt, doch nur wenige Bürgermeister nahmen Einfluss auf die Stadtgestalt. In den fünfziger und sechziger Jahren war dies Richard J. Daley. Sein Ziel, die Stärkung des Central Business District, löste er durch Umwandlung von Industriebrachen westlich des Loop in gehobene Wohnviertel. Auch förderte er die Mies-Projekte im Stadtzentrum. Einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung der Attraktivität des Zentrums leistete sein Sohn Richard M. Daley von 1998 bis 2005 mit dem Millenium Park. Dieser öffnet den Loop zum Lake Michigan. Es entstanden auf 24 Hektar unter anderem der „Jay Pritzker Pavillon“ von Frank Gehry und die Erweiterung des Art Institute of Chicago von Renzo Piano. Der amtierende Bürgermeister Rahm Emanuel scheint sich in die Reihe seiner städtebaulich ambitionierten Vorgänger einzureihen. So mit dem Projekt, das mit der Vision, nahezu alle Wasserflächen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, an den nicht umgesetzten Stadtentwicklungsplan Chicagos von Daniel Burnham und Edward Bennett von 1909 anknüpft. Auftakt hierzu bildete der Riverwalk entlang des Chicago Rivers, der bis 2016 realisiert wurde. Anlässlich des „Urban Waterways Forum“, das 2016 in Chicago unter Beteiligung von 16 Bürgermeistern aus der ganzen Welt stattgefunden hat, gab nun Rahm Emanuel den Startschuss für das „Chicago Urban River Edges Ideas Lab“. Eine große Aufgabe, denn die Flussufer innerhalb der Stadtgrenzen messen 150 Meilen. Die Ideenschmiede, zu der neun Planungsbüros aus Chicago eingeladen wurden, und die auf der privaten Initiative „Great Rivers of Chicago“ aufbaut, wird in diesem Jahr erste Ergebnisse vorlegen. Bis 2030 sollen die Flussufer für die Bewohner zugänglich und durch zusammenhängende Wanderwege erlebbar sein. Für die Industrie­brachen sollen neue Nutzungen gefunden und für die Bebauung entlang der Flüsse in Chicago sollen sogar Design Guidelines beschlossen werden. Doch grundsätzlich gilt für Chicago, wie auch sonst in den USA, dass die „Business Community“ als treibende Kraft hinter den Planungen steht. Das Interview verschafft einen Einblick in die Planungsstrategien.
Wer ist in Chicago für die Stadtplanung zuständig?
Reifman Bürgermeister Rahm Emanuel hat mich für das Amt des Direktors vom Department of Planning and Development vorgeschlagen. Als Mitglied der Demokratischen Partei wurde ich 2015 für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Der Bürgermeister war von 2008 bis 2011 Stabschef von Präsident Barak Obama und damit der einflussreichste Mann in der Regierung. Er wäre jederzeit in der Lage, den Planungsdezernenten zu feuern. In so einem Fall würde ich wieder als Rechtsanwalt tätig werden. Aber natürlich will ich bis zum Ende meiner fünf Jahre im Amt bleiben.
Wo haben Sie Ihre Wurzeln?
Reifman Ich bin in Chicago groß geworden und habe an der University of Illinois Architektur und Jura studiert. Dann ließ ich mich als Anwalt nieder und spezialisierte mich auf die Gebiete Stadtentwicklung, Public-Private Partnership, Projektentwicklung und Fragen der Denkmalpflege. 2015 habe ich dann die Seiten gewechselt.
Gorski In der Vergangenheit hat es auf der Position des Commissioners of Planning and Development Personen unterschiedlichster Qualifikation gegeben – vom klassischen Karrierepolitiker bis zum Quereinsteiger.
Die „schlanke Verwaltung, der Wunsch deutscher Stadtpolitiker, ist in Chicago längst Realität. Die geringe Zahl von 200 Mitarbeitern des Department of Planning and Development in einer Stadt mit 2,7 Millionen Einwohnern deutet sogar auf eine superschlanke Verwaltung hin.
Reifman In Chicago sind die mit einer Stadt in Europa vergleichbaren Zuständigkeitsbereiche auf drei Dezernate konzentriert. Das dürfte wohl der Grund für die geringe Zahl von Mitarbeitern sein.
Gibt es eine stadtplanerische Vision?
Reifman Wir haben den Regionalplan GO TO 2040 für das nordöstliche Illinois, in dem so weitgefasste Themen wie die Lebensqualität, die Resource Mensch, die bürgenahe Verwaltung oder die Mobilität in der Region angesprochen werden. Der Plan wurde von der Chicago Metropolitan Agency for Planning (CMAP) erarbeitet, einer regionalen Planungsagentur, in der 284 Gemeinden und sieben Landkreise zusammengefasst sind. Für Chicago selbst gibt es keinen umfassenden Plan. Die Realität ist so dynamisch, dass sie alle Planungen überholt! Wir regulieren nicht, weil der Regulator immer der Langsamere ist.
Muss es nicht trotzdem ein Regelwerk geben?
Reifman Natürlich gibt es Vorschriften, auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene. Nach dem Großen Brand in Chicago von 1871 wurden sehr strenge Bauvorschriften, der „building code“, erlassen, und die Art und das Maß der Nutzung wird durch die „zoning ordinances“ und die „land use ordinances“ geregelt. Weitergehende Planungsinstrumente gibt es nicht.
Wie vollzieht sich dann der Ausgleich zwischen öffentlichen und privaten Interessen? Welche Rolle übernehmen die Bauherren, und welche übernimmt die Stadtverwaltung?
Reifman Ich habe in meiner Position einen erheblichen Einfluss auf die Investoren. Eine höhere Ausnutzung als vorgeschrieben wird nur genehmigt, wenn an anderer Stelle zum Ausgleich eine Maßnahme im öffentlichen Interesse realisiert wird, zum Beispiel als Beitrag zum „affordable housing“.
Das Geben und Nehmen hat in den USA Tradition. Aber eine städtebauliche und architektonische Qualität ist damit noch nicht durchgesetzt.
ReifmanInvestoren wollen Geld verdienen. Sie wissen, dass sie mit ihrem Investment in bessere Qualität erfolgreicher sind.
Was sind die wichtigsten städtischen Projekte der näheren Zukunft?
Reifman Zwei Beispiele sind von herausragender Bedeutung für das öffentliche Bauen. Nach Fertigstellung des Chicago Riverwalk haben wir mit dem Metropolitan Planning Council das Chicago Urban River Edges Ideas Lab gestartet. Auch für den „North Branch Industrial Corridor“ um „Goose Island“ gibt es neue Überlegungen. Im Rahmen einer Ideenwerkstatt werden zurzeit Entwurfskonzepte von David Adjaye, James Corner Field Operations, Perkins+Will, Ross Barney Architects, Sasaki, Site Design, SOM, Studio Gang Architects und SWA eingeholt. Anschließend werden sie, um ein möglichst umfassendes Feedback zu bekommen, lokal diskutiert. Jedes Architekturbüro wird dann konkrete Gestaltungsvorschläge vorlegen. Auf der zweiten Architekturbiennale von Chicago im Oktober werden diese dann analog, aber auch digital in Form einer Augmented Reality präsentiert. Erkenntnisse aus dem gesamten Prozess werden in die „Riverfront Guidelines“ einfließen, die 2018 erlassen werden sollen. Das Ideas Lab wird von einer Privatstiftung finanziert. Beim Co-located Housing Library Developments lobten wir im Oktober 2016 mit der Chicago Housing Authority und die Chicago Public Library einen ambitionierten Entwurfswettbewerb unter 32 Architekturbüros für drei Standorte von Co-located Housing Libraries aus. Dieses neuartige Konzept, eine Stadtteilbibliothek mit dem Bau von Sozialwohnungen zu verknüpfen, soll die Baukosten senken und langfristig den Betreuungsaufwand reduzieren. John Ronan gewann den Standort am Iving Park, und Perkins & Will waren in West Ridge erfolgreich. SOM wird das Projekt am Roosevelt Square mit 40 Wohnungseinheiten planen. Workshops mit Architekten, Developern und Nutzern werden den weiteren Planungsprozess begleiten. Ziel dieses Wettbewerbsverfahrens ist es, mit Hilfe der besten Architekturbüros Chicagos sowohl die Latte für öffentliche Bauten höher zu hängen, als auch die Nachbarschaften durch eine neue Form der Nutzungsmischung zu revitalisieren.
In Chicago ist man stolz auf das architektonische Erbe. Doch wie geht die Stadt mit ihrem Erbe um?
Reifman Ein gutes Beispiel dafür ist das Wrigley Field, das 1914 als Baseball-Stadion errichtet wurde. Obwohl die hier beheimatete Baseballmannschaft nie an der Spitze stand, kommen die Menschen von überall her, um Baseballspiele anzuschauen. Es ist eine Attraktion. In fast allen amerikanischen Städten hat man die alten Stadien abgerissen und ersetzt. Nicht so in Chicago. 2019 wird es mit privatem Geld historisch getreu saniert sein. Wir wollen nur die allerbesten Denkmäler im Landmark District erhalten und stellen die Tools dazu zur Verfügung, zum Beispiel Steuervorteile, oder bedienen uns der Public Private Partnership. Das 1895 fertig gestellte Reliance Building von Daniel Burnham und John Wellburn Root wurde 1999 zum Burnham Hotel, und das IBM Gebäude, vier Jahre nach dem Tod von Mies van der Rohe fertiggestellt, wurde zum The Langham Chicago Hotel umgebaut. 2015 wurden das Chicago Motor Club Building von 1928 in das Hampton Inn Hotel umgewandelt und die Chicago Athletic Association, erbaut 1893 im Baustil Venetian Gothic, ebenfalls als Hotel neu eröffnet. Im selben Jahr wurde das Old Colony Building, 1893 von Holabird & Root errich­tet, in ein Apartmenthaus umgebaut.
Auch außerhalb des Zentrums unterliegt Chicago einem ständigen Wandel. Das produzierende Gewerbe hat die Stadt verlassen. Große Industriebrachen sind entstanden. Wächst Chicago eigentlich noch?
Reifman Die Stadt stagniert derzeit.
Und die Industriegeschichte gerät in Vergessenheit?
Gorski Natürlich nicht. Ein besonderes Anliegen ist uns, an repräsentativen Stellen die Erinnerung an des historische Stadtbild wach zu halten. So zum Beispiel im Fulton Randolph Market District. Gestaltungsvorgaben bewahren dort den Charakter der Chicago Meat Packing Industry. Die Lebensfähigkeit des Areals wird durch einen Nutzungsmix aus Gastronomie, Lebensmittelgroßhandel und regionalen Bauernmärkten langfristig sichergestellt.
Reifman Besonders stolz sind wir darauf, dass es uns gelungen ist, eine Niederlassung von Google hier anzusiedeln.
Die Revitalisierung von alter Gebäudesubstanz ist ein wesentlicher
Beitrag zur Nachhaltigkeit. Aber wie steht es um die Ökologie?
Gorski Natürlich ist der Klimawandel auch in Chicago erkennbar. Er macht sich am steigenden Wasserspiegel des Lake Michigan und mit einem Anstieg des Grundwasserspiegels bemerkbar.
Und wie steht es um die Energieeinsparmaßnahmen am Bau? Maßnahmen, die mit den Passivhäusern in Deutschland vergleichbar wären.
Gorski Schon aus Gründen der Wirtschaftlichkeit wird der Energieverbrauch im Bauwesen auch bei uns optimiert. Doch für einen durchschlagenden Erfolg von Passivhäusern ist der Energiepreis in den Vereinigten Staaten noch viel zu niedrig.
Fakten
Architekten Reifman, David L., Chicago; Gorski, Eleanor, Chicago
Adresse Chicago River Chicago USA


aus Bauwelt 14.2017
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