Jetzt auch das Cheval Blanc
Text: Sandwert, Gabriel, Paris
Beim Konkurrenzkampf der Winzer und der gleichzeitig zunehmenden Bedeutung des Weintourismus setzen die Grand-Cru-Weingüter auf ein neues Image, vor allem mit Hilfe bekannter Namen aus der Architekturszene. Auch das Château Cheval Blanc verfolgt diese Strategie – mit dem luftigen Weinkeller vom Pritzker-Preisträger Christian de Portzamparc.
Zwischen den endlosen Reben-Reihen des Château Cheval Blanc, Premier Grand Cru de Saint-Émilion, ist ein fremdartig wirkendes Gebilde aus weißem Beton aufgetaucht. Entworfen hat es Christian de Portzamparc. Im Bordelais, das wegen seiner Weine, insbesondere der Grands Crus Classés weltbekannt ist, suchen die Traditionswinzer der berühmten Lagen Anschluss an das Heute. Seit einigen Jahren wollen die großen Weingüter oder auch einzelne Anbaugebiete ihren Bekanntheitsgrad gezielt mit Aufträgen an mehr oder weniger mutige Architekten von internationalem Renommee steigern. Das Cheval Blanc ist in den Händen von Bernard Arnault (Chef von LVMH Moët Hennessy) und des belgischen Barons Albert Frère. Mit 13 Millionen Euro Baukosten konnte man aus dem Vollen schöpfen.
Architecture Grand Cru Classé?
Auch die großen Hallen, in denen die Erträge der Lese vergoren und die Weine später in Fässer abgefüllt werden, wo sie reifen – sind für die Châteaux inzwischen zu einem wesentlichen Ort der Kommunikation geworden. Im Bordelais ist der repräsentative Ausbau dieser Orte sogar ein Muss. Vor mittlerweile bald zehn Jahren bauten Herzog & de Meuron das Refektorium für das Château Pétrus, einer der ganz großen Namen im Pomerol. Ein weiterer Entwurf des Büros, für den Weinkeller des Château Hosanna, ebenfalls im Pomerol, erhielt 2004 keine Baugenehmigung. Nach dem Château Cos d’Estournel, wo Jean-Michel Wilmotte 2008 eine Kathedrale aus Glas und Aluminium errichtete, und dem Bau mit Dégustation-Turm von Mario Botta für das Château Faugères im Jahr 2009 weihte man Anfang dieses Sommers, wenige Tage nach dem Château Cheval Blanc, den neuen Weinkeller des Château Clerc Milon, Grand Cru Classé Pauillac, von den Architekten Richard Perduzzi und Bernard Mazières ein. Das jüngste Beispiel, gerade noch rechtzeitig zu Beginn der Lese in diesem Herbst in Betrieb genommen, ist der Weinkeller von Robbrecht en Daem für das Château Le Pin im Pomerol unweit vom Cheval Blanc. Auch dieser Bau ist aus Beton, jedoch kompakt gehalten und fiel entsprechend der sehr begrenzten Produktion des nur 2,4 Hektar großen Gutes deutlich kleiner aus. Der Wettstreit setzt sich fort mit einem Projekt von Jean Nouvel für La Dominique, Grand Cru Classé de Saint-Émilion, einem unmittelbaren Nachbarn vom Cheval Blanc. Der Antrag auf Baugenehmigung für den Entwurf aus rötlich schimmerndem Metall wurde allerdings Ende Juni abgelehnt.
Mit Gründach
Portzamparcs Weinkeller liegt dicht neben dem Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert, inmitten der strengen Symmetrie der Weinberge. Der sorgfältig ausgeführte Bau mit akribischer Detaillierung präsentiert sich mit fast schon dramatischer Geste. Von der hellen Farbe des Betons abgesehen, versucht der Neubau keine Annäherung an den Bestand, sondern setzt sich durch seine geschwungenen Formen und dem über flache Treppen erreichbaren, mit Wildwuchs bepflanzten Gründach bewusst ab.
Stumpf abgeschnittene Weinschläuche
Das große Bauvolumen beherbergt die Gärtanks für die Weine und das Fasslager im Untergeschoss. Der neue, 500 Quadratmeter große Weinkeller ist in erster Linie Raum für die technische Verarbeitung. Er ermöglicht ein nach Lagen getrenntes Einbringen von Teilchargen, aus der die 80.000 Flaschen umfassende Jahresproduktion des Cheval Blanc gewonnen wird. Der 37 Hektar große Besitz ist in 44 Parzellen unterteilt, der Anbau der Weine richtet sich nach der jeweiligen Güte der einzelnen Lagen. „Oberstes Kriterium ist die Einteilung nach Lagen“, erklärt der Kellermeister der Domaine. „Während des Gärungsprozesses lassen wir jede Lage getrennt reifen, erst im Anschluss nehmen wie die Assemblage vor.“ Mit 52 Tanks, von indirektem Tageslicht umspielt, wird diese Arbeit hier in Szene gesetzt – nichts erinnert an das Molkerei-Image der sonst gebräuchlichen Stahltanks. Die bauchigen Behälter, deren Silhouette sich an stumpf abgeschnittene Weinschläuche anlehnt, sind, in Reihen angeordnet, in der Form jeweils gleich, aber unterschiedlich groß. Ihr Fassungsvermögen, zwischen 24 und 110 Hektoliter, orientiert sich an der Größe der Parzellen. Jede Parzelle hat ihren eigenen Behälter. Neben der Halle mit den Tanks fand ein elegantes „Labor“ für die professionelle Verkostung Platz. Dessen „strategischer Mittelpunkt“ ist der große, eigens entworfene Tisch aus Corian, an dem über die Assemblage der unterschiedlichen Weine entschieden wird. Ganz traditionell präsentiert sich der Fasslagerkeller im Untergeschoss als großer durchgehender Raum, gegliedert durch runde Stützen. Auf ihnen liegen U-förmige, gewellte Träger auf, in deren Hohlraum Rohre und Schläuche verlaufen (0hne Abbildung im Beitrag). Ein unerwartetes Element sind die Maschrabiyya ähnlichen Wände aus unverputzten Ziegeln, die eine natürliche Belüftung ermöglichen und außerdem die technischen Installationen kaschieren. Das beinahe romanisch anmutende Ambiente verweist auf die Geschichte des Weinanbaus, der seinen Anfang in den Klöstern nahm. In hartem Widerspruch zu dieser Referenz steht der Duktus der sichtbaren Architektur, deren geschwungene Linienführung Dynamik suggeriert. Auch das Terrassendach mit seiner lockeren Bepflanzung – Gräser und Sträucher nach Entwürfen des Landschaftsplaners Régis Guignard – bildet einen überaus starken Kontrast zu den schnurgeraden Reihen der Weinreben.
Cidade da Música
Es stellt sich auch hier die Frage nach dem kontextuellen Umfeld eines Entwurfs. In exponierter Lage von Rio de Janeiro wird 2012 das neue Konzerthaus Cidade da Música eingeweiht – ein Bauvorhaben, zu dem die expressive Architektursprache von Christian de Portzamparc perfekt passt. Doch ist auch ein Weingut im Bordelais für derart dramatische Ausdrucksformen gut? Namedropping und übergroße Medienpräsenz bergen möglicherweise das Risiko, den Architekten wie ihren Bauherren schlechte Dienste zu erweisen – denn wir Kenner der guten Lagen wissen doch, dass es beim Wein noch immer auf die Rebe und die Meisterschaft der Kellerei und nicht auf die Präsentation des Weinguts ankommt.
Aus dem Französischen von Agnes Kloocke
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