Bauwelt

Wo ist die Schmerzgrenze?

Doris Kleilein über den verdächtig friedlichen Alltag in Zeiten des Rechtsrucks

Text: Kleilein, Doris, Berlin

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Doris Kleilein über den verdächtig friedlichen Alltag in Zeiten des Rechtsrucks


Wo ist die Schmerzgrenze?

Doris Kleilein über den verdächtig friedlichen Alltag in Zeiten des Rechtsrucks

Text: Kleilein, Doris, Berlin

Seit einiger Zeit bin ich auf Facebook mit einem Architekten befreundet, der nicht nur den Baufortschritt seiner Häuser postet, sondern zunehmend auch fremdenfeindliche Kommentare. Ein Islamgegner. Einer, der den Untergang des Abendlandes herbeiredet. Schon oft habe ich überlegt, ihn aus meinen Kreisen zu entfernen, aber immer wieder gezögert: aus Neugier, aber auch, weil ich weiß, dass die Dinge nicht besser werden, nur weil ich nichts mehr davon mitbekomme. Ähnlich geht es mir mit dem Kioskbesitzer um die Ecke, der rechtsradikale Hetzblätter wie Compact führt, aber, darauf angesprochen, meint, er verkaufe ja schließlich auch die linke taz. Und sogar das Neue Deutschland. Mir wurde schnell klar, dass ich da mit Argumenten nicht weiter komme. Wir haben uns dann ein wenig über die Käufer dieser Printprodukte unterhalten und uns trotz beiderseitigen Argwohns zivilisiert verabschiedet. Ich kaufe immer noch dort ein. Wer gegen die fortschreitende Segregation der Städte anschreibt, kann sich keine mentale Segregation leisten, nicht wahr? Aber wo ist die Schmerzgrenze?
Im Redaktionsalltag komme ich erst gar nicht an diese Grenze: Die planende Zunft neigt nicht zum Verfassen von Schmähbriefen. Keine einzige hasserfüllte Reaktion hat uns erreicht, nachdem wir kritisch über die Unterbringung von Flüchtlingen berichtet haben, im Gegenteil. Das Ideal der gemischten Stadt ist Konsens, so scheint es, und wahrscheinlich würde ein Großteil unserer Leserschaft die Aussage befürworten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Wir alle sind so offen wie der deutsche Pavillon im Sommer in Venedig. So viel Einigkeit ist verdächtig: Publizieren und diskutieren wir nur noch in der Filterblase, oder wie man früher sagte, im Elfenbeinturm? Abgesehen von Facebook – wo äußern sich eigentlich Architektinnen und Architekten, die anderer Meinung sind? Vielleicht äußern sie sich gar nicht und arbeiten lieber weiter am nächsten Projekt. Sie schaffen Tatsachen mit einer weiteren gehobenen Wohnanlage, die wir dann, wenn sie formal stimmig ist und gute Grundrisse hat, auch publizieren. Und nach der Arbeit fahre ich mit dem Fahrrad in mein bürgerliches Wohnviertel in der Innenstadt. In dem kürzlich 10 Prozent die AfD gewählt haben. Ich kenne natürlich keinen von denen.

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