„Komplett verhunzt“
St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin
Text: Pitronaci, Giuseppe, Berlin
„Komplett verhunzt“
St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin
Text: Pitronaci, Giuseppe, Berlin
Diese Kirche ist anders als andere. Wer die Berliner St. Hedwigs-Kathedrale betritt, blickt in Ober- und Unterkirche zugleich. Der Innenraum – von Hans Schwippert – fasziniert mit seiner Besonderheit bis heute. Jetzt ist er bedroht. Rainer Maria Kardinal Woelki meint: „Wenn ich am Altar die Messe zelebriere, fällt das Dialogische ins Loch.“
Es geht um St. Hedwig, die zentrale katholische Kirche Berlins. Sie wurde im Krieg stark zerstört. Das Bistum ließ Ende der fünfziger Jahre aus 84 vorgefertigten Stahlbeton-Rippen eine neue, moderne Kuppel bauen, die sich auch heute noch wie ein Himmelszelt über den Innenraum spannt. Diesen Raum konzipierte der Schmitthenner-Schüler Hans Schwippert (1899–1973). Und mit diesem Raum hat das Erzbistum jetzt Probleme. In einem offenen, zweistufigen Wettbewerb sucht es nach „mutigen Lösungen“. Die zweite Runde mit 15 Teilnehmern wird am 30. Juni entschieden (Juryvorsitz: Peter Kulka). Doch die Kirche mit dem Schwippert-Innenraum steht aus guten Gründen unter Denkmalschutz!
Friedrich der Große ließ die Kirche nach Plänen von Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff in den Jahren 1747–73 erbauen. Sie sollte wie das römische Pantheon aussehen. Ein runder Zentralbau also – eine Herausforderung, die die Architekten im Innenraum nicht annahmen. Der Altar am Rand, davor parallele Sitzreihen: Man tat so, als sei der Raum nicht rund, sondern axial organisiert. 1930 wurde die Kirche Bischofssitz. Clemens Holzmeister wurde beauftragt, ihn umzubauen. Er stellte immerhin einen gewissen Bezug zum Rundbau her, etwa mit gerundeten Sitzbänken, und entfernte den Dekor aus wilhelminischer Zeit. Auch diese Innenausstattung ging im Krieg verloren.
Dann kam die Teilung der Stadt. Die Situation der katholischen Kirche war hier einzigartig, denn zum Bistum gehörten West- und Ostberlin. Der Sitz des Bischofs, die Kathedrale, lag im Ostteil. Der Bischof war zuständig für die ganze Stadt. An drei Tagen im Monat, seit 1972 dann an zehn Tagen, durfte er die Mauer passieren, um die Gemeinden in Westberlin zu besuchen. Noch vor Mauerbau ging das Bistum auch in der Architektur einen ungewöhnlichen Weg und gab Schwippert den Auftrag für den Innenausbau. Das Ergebnis: Ein Kirchenraum der herausforderte und zu Diskussionen anregte. Schwippert durchbrach den Boden in der Mitte mit einer runden Öffnung, wodurch Ober- und Unterkirche fast zu einem Raum wurden. Wer die Kirche betritt, blickt durch die großzügige Öffnung gleichzeitig auch in die Krypta. Dort wurzelt der Altar als Stele, die durch beide Räume ragt, die Unter- mit der Oberkirche verbindend. Breite, geschwungene Treppen führen hinunter. Hier unten finden an den Werktagen die Gottesdienste statt, hier sind Geistliche bestattet, unter anderen Dompropst Bernhard Lichtenberg, Opfer der Nazis, der 1996 seliggesprochen wurde. Die Symbolik der Architektur ergreift: Die Krypta, Ort des Todes und des Gedenkens, liegt nicht versteckt im Dunkeln, sondern öffnet sich nach oben, zum Licht, das durch den Kuppelscheitel und die Fenster der Oberkirche einfällt. Die Altarinsel im oberen Raum steht fast in der Mitte, am Rand der Öffnung. Rechts und Links der Öffnung und des Altars die Sitzbänke: Es gibt kein Vorn und kein Hinten, die Nähe zum Gottesdienst hängt kaum von der Position der Sitzbank ab.
Zu Zeiten, da Schwippert den Raum baute, diskutierten Katholiken in aller Welt über Liturgie-Reformen. Das Zweite Vatikanische Konzil beschloss 1963 Änderungen in der Liturgie. Schwippert hatte einiges davon vorweggenommen: Das Gottesdienstgeschehen rückte näher an die Gemeinde, die sich um den Altar versammelt. Der Architekt hat den runden Zentralbau nicht ignoriert, sondern ist auf ihn eingegangen, hat ihn gestaltet. Einen solchen Kirchenraum gibt es kein zweites Mal. Doch in der Gemeinde werden in letzter Zeit vermehrt Einwände laut. Der Prediger würde über die Öffnung hinweg predigen. Die Akustik sei nicht gut. Die Gemeindemitglieder würden sich gegenseitig ansehen, statt zum Pfarrer zu schauen. Die Öffnung würde die Gemeinde sogar teilen. Eine Umrundung des Altars sei schwierig und durch das „Loch“ sei einfach zu wenig Platz.
Diesen Einwänden widersprechen Kunsthistoriker wie Georg Mörsch. Er war als Student Stipendiat des katholischen Cusanuswerks und später dreizehn Jahre Mitglied des Berliner Denkmalrats. Er erinnert daran, dass in kreuzförmigen Basiliken Gemeindemitglieder vom Querschiff aus den Altar auch von der Seite sehen; dass man bei St. Hedwig den Altar besser umstehen kann als in vielen älteren Kirchen; dass die Öffnung kein Loch sei, sondern den Blick freigibt zu einem Ort des Heiligen und der Verehrung; dass zu besonderen Messen auch in vielen anderen Kathedralen der Platz knapp wird; dass man durch technische Hilfsmittel die Akustik verbessern könnte, ohne die Schwippert-Architektur zu zerstören. Das Erzbistum hat ihn in die Jury der Berliner Denkmalbehörde eingeladen. In der Jury sitzt aber auch Barbara Schock-Werner. Die ehemalige Kölner Dombaumeisterin hatte in einem Zeitungsinterview den Innenraum als „komplett verhunzt“ bezeichnet und von einem „völlig hanebüchenen Loch“ gesprochen.
Was nicht strittig ist, ist die notwendige Sanierung: Die Kathedrale muss an vielen Stellen dringend repariert werden, sie braucht neue Technik und frische Farbe. Für das Erzbistum eine Gelegenheit, weitergehende Änderungen vorzunehmen. Die Gelder für einen Umbau sollen durch Spenden, Stiftungen und staatliche Fördermittel zusammenkommen. Welche Baukosten sind zu erwarten? Droht der Kathedrale in kleinem Rahmen ein ähnliches Schicksal wie der Staatsoper nebenan? Deren Sanierung und Umbau ziehen sich mit stetigen Kostensteigerungen in die Länge. Noch ist kein Ende in Sicht.
Mit Umbauten würde das Erzbistum riskieren, dass die Kathedrale ihr Alleinstellungsmerkmal verliert; eine Architektur, die von den Visionen aus einer Zeit der Umbrüche spricht, ähnlich wie die nur wenig später entstandene Gedächtniskirche von Egon Eiermann im Westteil Berlins. Zusätzlich erzählt St. Hedwig vom außergewöhnlichen Weg, den die katholische Kirche während der deutschen Teilung ging. Man sollte die Besonderheiten von St. Hedwig und ihrer Architektur, so wie sie jetzt ist, herausstellen und würdigen.
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