Kritischer Regionalismus
Architektur aus Tibet und Südtirol in Berlin
Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin
Kritischer Regionalismus
Architektur aus Tibet und Südtirol in Berlin
Text: Hoetzel, Dagmar, Berlin
Eine schöne Ausstellung bei Aedes: Beinahe meditativ ist die Atmosphäre im großen Ausstellungsraum, der Titel „Contemplating Basics“ verspricht nicht zu viel. Die Schau kommt ohne aufwendige räumliche Inszenierung aus. Sehr reduziert mit Fotos und einigen Zeichnungen an den Wänden und Modellen auf einfachen Tischen im Raum verteilt, sind Projekte des chinesischen Architekten Zhang Ke und seines Büros ZAO/standardarchitecture zu sehen. Ein wandgroßes Foto zeigt einen Besinnungsort am Fuße des 7782 Meter hohen Namcha Barwa Snow Mountain in Tibet. Nicht mehr als eine leuchtend weiße Kiesfläche vor einem 1300 Jahre alten Maulbeerbaum, den die Bevölkerung mit weißen Gebetsfahnen geschmückt hat, und einige Felssteine – ein minimaler Eingriff, der es aber vermag, einen neuen Ort zu schaffen und dabei die Qualitäten des Vorgefundenen zu unterstützen und zu bereichern.
Das gilt genauso für die weiteren Bauten, die der Pekinger Architekt in Tibet errichtet hat, allesamt Gebäude für den aufkommenden Tourismus: Bootsterminal, Besucherzentrum, Kunstzentrum, Hostel. In Größe und Form unterschiedlich, entspringen sie jedoch der gleichen Haltung. Es ist, als hätte Zhang Ke das Wesen tibetanischer Architektur, die dem Prinzip der Einheit von Landschaft und Gebäude folgt, destilliert und in die Moderne übersetzt . Die wörtliche Übernahme lokaler Kultur wie Dekorationen oder Farben vermeidet er. Zhang Ke verwendet ortsübliche Materialien und beschäftigt immer Arbeiter aus der Umgebung. Unter ihrer Hand entstehen minimalistische, abstrakte Formen, die aus der Landschaft zu wachsen scheinen und das Zeitgenössische im Lokalen verankern.
Selbst bei jenen Gebäuden, die ein großes Raumprogramm haben, gelingt das. Das Niangou Terminal am Zusammenfluss von Nyang und Yarlung ähnelt einer zickzackförmigen Promenade, die, dem natürlichen Gefälle folgend, den Hang herab organisiert ist. Die 100 Räume des Hostels am Ufer des Yarlung Tsangpo sind hingegen auf mehrere eingeschossige, sichelförmige Baukörper verteilt, die terrassiert angeordnet sind und jeweils einen freien Blick über den Fluss und in die beeindruckende Bergwelt bieten. Die Dächer sind mit Erde, Büschen und Felsen bedeckt. Aus der Entfernung verschwimmt die Anlage mit der Flusslandschaft.
Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich weiteren Projekten von ZAO/standardarchitecture in China. Das reicht vom Novartis-Campus in Shanghai, derzeit im Bau befindlich, bis zu Mikro-Interventionen in den Hutongs von Peking, wo die Architekten Kleinsträume in den Bestand der engen, traditionellen Wohnhöfe einweben, für gemeinschaftliche Nutzungen oder für soziale Aktivitäten der dort lebenden Familien.
Im Eingangsraum der Galerie ist dann noch die Ausstellung „Alpen Architektur Tourismus“ zu sehen – zumindest thematisch lässt sich hier ein Anknüpfungspunkt finden. Am Beispiel Südtirol werden Hotel- und Gastbetriebe aus den letzten hundert Jahren gezeigt, mit dem Plädoyer für „einfach gute Architektur“. Wo auch immer: In Zeiten der Globalisierung und mit dem Wissen um die Notwendigkeit nachhaltigen Tourismus ist die überzeugende architektonische Antwort eine Form des kritischen Regionalismus – die Gleichzeitigkeit von Tradition und Avantgarde.
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