Bauwelt

Mall und Memorial

Die „New York Times“ nannte ihn einen „aufsteigenden Phönix“. Man könnte auch ­eine symbolische „Taube des Friedens“ neben der 9/11-Erinnerungsstätte von Lower Manhattan vermuten. Santiago Calatravas vier Milliarden Dollar teurer Neubau entpuppt sich als eine dort verborgen liegende Mall mit Bahnanschluss

Text: Gleiniger, Andrea, Zürich

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    Der weiße Vogel steht als prachtvolle Attraktion zwischen den neuen Türmen WTC 2 und 3 neben dem 9/11 Memorial an der Ecke Greenwich/Fulton Street.
    Foto: Hufton + Crow

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    Der weiße Vogel steht als prachtvolle Attraktion zwischen den neuen Türmen WTC 2 und 3 neben dem 9/11 Memorial an der Ecke Greenwich/Fulton Street.

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    Innen zeigt sich der Vogel als eine Mall mit gewaltigem Dach, dessen Rippenstruktur in der Sonne leuchtet. Dass die große freie Fläche mit weißem Marmor möglich wurde, erstaunt. Sie lässt auf den ersten Blick an eine Eislaufhalle denken.
    Foto: Hufton + Crow

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    Innen zeigt sich der Vogel als eine Mall mit gewaltigem Dach, dessen Rippenstruktur in der Sonne leuchtet. Dass die große freie Fläche mit weißem Marmor möglich wurde, erstaunt. Sie lässt auf den ersten Blick an eine Eislaufhalle denken.

    Foto: Hufton + Crow

Mall und Memorial

Die „New York Times“ nannte ihn einen „aufsteigenden Phönix“. Man könnte auch ­eine symbolische „Taube des Friedens“ neben der 9/11-Erinnerungsstätte von Lower Manhattan vermuten. Santiago Calatravas vier Milliarden Dollar teurer Neubau entpuppt sich als eine dort verborgen liegende Mall mit Bahnanschluss

Text: Gleiniger, Andrea, Zürich

Der Versuch, nach dem Verlassen der U-Bahn auf Anhieb den direkten Weg in die annoncierte Lichtgestalt des „Oculus“ zu finden, der zentralen Halle des neuen Transportation Hub vom World Trade Center in Lower Manhattan, ist fehl geschlagen. Im Labyrinth der Ein- und Ausgänge aus der überfüllten und überhitzten Unterwelt der abgenutzten New Yorker Subway sind wir Ortsunkundigen – ja, wo denn eigentlich gelandet? In den Straßenschluchten, das übliche New Yorker Gedränge und ringsherum noch immer reichlich Baustellen.
Noch ehe wir die weiße, in der Sonne leuchtende Rippenstruktur der auf den ersten Blick irreal wirkenden Architektur eingeklemmt zwischen den bislang fertig gestellten Türmen des neuen WTC im Labyrinth der Bauzäune entdecken, gibt uns ein Schaufenster einen Vorgeschmack darauf, wie weit die Anstrengungen gehen, das neueste Œuvre von Santiago ­Calatrava zu labeln: Unter den banalen Devotionalien, die der 9/11 Memorial Shop zu bieten hat, ist ein mit einer weißen Rippenflügelei ausgestatte­-tes Motorrad der ultimative Blickfang. Ist der architektonische Entwurf des „Oculus“ nur als plattes Marketing zu verstehen?
Im März dieses Jahres wurde das 2005 begonnene Bauwerk der Öffentlichkeit übergeben. Nach elf Jahren Bauzeit. Das war fast doppelt so lang wie ursprünglich geplant. Erst jüngst fertiggestellt wurde die dazugehö­rige Shopping Mall. Gekostet hat das Prestigeobjekt auch das Doppelte, nämlich mehr als vier statt zwei Milliarden US-Dollar. Manche finden diese Kostenexplosion durch die spektakuläre Form gerechtfertigt. Die meisten sicher nicht. Damit ein Denkmal gesetzt hat sich – so sieht es nicht nur die „New York Times“ – vor allem die Port Authority, der das Grundstück am äußersten Zipfel von Manhattan gehört, auf dem – wie wir wissen – eine städtebauliche Chance von historischem Ausmaß vertan wurde: Ground Zero. Neben dem Mahnmal, den beiden im Grundriss der zerstörten Doppeltürme angelegten Wasserbecken, entstehen sechs Hochhäuser; drei sind davon fertig. Blasse, austauschbare kommerzielle Investorenarchi­tektur, die der New Yorker Skyline außer ihrer naturgemäß weithin sichtbaren Höhe nicht viel hinzuzufügen hat. Nachdem man Daniel Libeskind zum Projektmanager degradiert hatte, musste er mit ansehen, wie die ambitionierte symbolische Architekturerfindung seines Entwurfs für den Freedom Tower in der Obhut von David Childs aus dem Büro Skidmore, Owings und Merrill zu einer Art Hochhausflakon verkam. Die historische Architekturchance in der Banalität der Investorenlogik war vertan. Nun sollte ausgerechnet der Ausbau des Bahnhofs als symbolischer Ort aufgewertet werden. Ein Hub, in dem sich die Züge des Nahverkehrs, der Path Line, die Lower Manhattan mit New Jersey verbindet, und der Subway treffen. Ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, der sich im Zentrum der gesamten Anlage befindet. Von 50.000 Passagieren und Passanten täglich ist die Rede. So viel ist das allerdings auch wieder nicht. Dass sich diese Zahl demnächst verdoppelt, wird in New York für ähnlich glaubwürdig gehalten wie die ursprüngliche Annahme hinsichtlich der Bauzeit und der Kosten. Im Ranking der New Yorker Verkehrsbetriebe steht der WTC Hub des „Oculus“ nur an 18. Stelle. Weit entfernt von der Bedeutung der Grand Central Station in Midtown, für die er eine Art Widerlager in Lower Manhattan bilden soll. Es ist nichts Kleines, was man dem Hub an symbolischer Bedeutung aufgehalst hat.
Dass Calatrava eine Expertise in Sachen Bahnhofsbau vorzuweisen hat, steht außer Frage (Bauwelt 14.2009). Auch seine besondere Zuständigkeit für atemberaubende, elegante Ingenieurskonstruktionen und ingeniöse Einzelformen, die bei der Realisierung deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als zunächst geplant. Die bionisch sich gerierende Strukturmimetik ist gewissermaßen zu seinem Markenzeichen geworden: Rippen, Gelenke, Gräten ..., das ganze skelettöse Repertoire der Flug- und Fabelwesen lässt sich in seine Konstruktionen hineinlesen. Und natürlich ist es ein Irrtum zu glauben, die technische, derart naturanalog inspirierte Form bliebe als symbolische Form neutral. Schon gar nicht in Manhattan, an diesem Ort. Deshalb ließ der Architekt seinerzeit zur Grundsteinlegung auch eine Taube aufsteigen. Damit war alles gesagt: Eine Friedenstaube sollte es sein, die sich mit grandiosem Flügelschlag im Zentrum des globalisierten Kapitalismus niederlässt (oder von da aus aufsteigt), ein Phönix aus der Asche der Zwillingstürme, vielleicht auch eine kraftstrotzende Adaption des Weiß­kopfseeadlers, des Wappentiers der USA. Die trotz einer konstruktiv notwendigen Vervielfachung der Rippen noch immer filigrane Struktur des skulpturalen Flügeldachs, die teilweise bestechende Dynamik und Treffsicherheit seiner aviatischen Linienführung, lässt an all dies denken. ­Weniger leicht zu überzeugende Geister sind dieses illustrativen Pathos‘ allerdings überdrüssig und sehen darin etwas, das eher auf Vergangenes
als auf Zukünftiges verweist: ein Dinosauriergerippe, einen Spinosaurus, oder schlimmer noch: ein nimmersattes Pokemon oder auch „one-trick pony“. Solche Zuschreibungen sind nicht nur der Gestalt, sondern vor allem einer Kostenexplosion zu verdanken, die den Hub mit seiner aufwändigen Konstruktion zum weltweit teuersten Bahnhof gemacht hat.
Und das Innere? Das findet vor allem unterirdisch statt. Da ist dieser ellipsoide, 45.000 Quadratmeter umfassende, im Scheitel der Flügel 50 Meter hohe, stützenlose Innenraum aus glänzend weißem Marmor; rundum von Galeriegeschossen mit schräg in den Raum geneigten gläsernen Brüstungen eingefasst. Das ist imposant; erinnert aber auch an eine Eislaufhalle. Denn so fühlt man sich, wenn man über die polierte Bodenfläche navigiert, besorgt, jederzeit auszurutschen. Ist das Absicht? Und wenn ja, zu welchem Zweck? Passt das zum kathedralen Pathos des stählernen Flügelgerippes, das sich aus dem Inneren heraus für einen Moment wie der kieloben im Abgas geschwängerten Äther treibende Korpus einer Art Arche Noah ausnimmt? An dessen westlicher Stirnseite in einsamem Pathos eine amerikanische Flagge wallt, um dem von einem U-Bahn-Schlund zum anderen über den spiegelnden Marmorboden eilenden Publikum einen ganz kurzen Moment des Gedenkens abzuringen? Wie soll dieses Innehalten für das Gedenken mit der Hektik des täglichen Berufsverkehrs zusammengehen? Verbirgt sich in dieser merkwürdigen Kombination aus Mall und Memorial, aus Kathedrale und Bahnhof ein unerwarteter, fast schon barocker Gestus, ein Memento Mori, das in einer Hybris aus Kapital und Größenwahn ­dieses scheinbar so rationale Stahlskelett und seine technische Funktion transzendieren soll?
Der populäre Architekturkritiker Paul Goldberger hat rückblickend an­gesichts des von Calatrava mit einem ähnlichen, allerdings beweglichen Flügeldach ausgestatteten Museumsneubau in Milwaukee, der bereits im Frühjahr 2001 fertiggestellt worden war, etwas naiv bemerkt, dieser Bau sei für ihn ein Beleg dafür gewesen, dass Architektur dazu beitragen könne, in schwierigen Zeiten ein Zeichen der Zuversicht zu setzen. Das ist publikumswirksam formuliert. Und man kann sich lebhaft vorstellen, dass man eine ähnliche Wirkung auch diesmal von Calatrava erwartet hat.
Doch eine angemessene Erinnerung an die Opfer von 9/11 ist Sache der gegenüber liegenden Gedenkstätte. Weder ein Bahnhof, noch eine Shopping Mall sind dazu geeignet. Auch wenn sie noch so monumental da­-her kommen. Die weiß glänzende Hülle des Raumes, ihr zur Pose erstarrter Flügelschlag gerinnen zu bloßer Rhetorik an einem Ort, an dem so offensichtlich die Logik des großen Kapitals über die zivilgesellschaftlichen Wertschöpfungen triumphiert hat.

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