Paraphrase oder Karikatur?
In Warschau ist es wieder einmal der Nachkriegsmoderne an den Kragen gegangen. Die Foksal-Galerie, einst aufmüpfige Blüte des International Style, störte im Flächendenkmal. Roger Diener hat beim Umbau versucht, ihren „industriellen Geist“ als Idee zu retten
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Paraphrase oder Karikatur?
In Warschau ist es wieder einmal der Nachkriegsmoderne an den Kragen gegangen. Die Foksal-Galerie, einst aufmüpfige Blüte des International Style, störte im Flächendenkmal. Roger Diener hat beim Umbau versucht, ihren „industriellen Geist“ als Idee zu retten
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Die traditionelle Bummelmeile der Warschauer heißt Nowy Świat (Neue Welt). Kaum ein Passant käme heute auf die Idee, dass die belebte Fußgängerzone mit ihren klassizistischen Fassaden genauso zum historisch inszenierenden Wiederaufbau Warschaus gehört wie die inzwischen zum Welt-erbe geadelte „neue Altstadt“ rund um Stary Rynek und Schloss. Auf den eigentlichen Zeitgeist hinter dem gepriesenen polnischen Nachkriegshistorismus trifft jedoch, wer in eine der stillen Seitenstraßen einbiegt: Dort herrscht die biedere Stilistik jener Kulturphase, die man in Polen „Sozrealismus“ nennt. Symmetrisch, tektonisch, Gesimse und Faschen, irgendwie erdenschwer.
In dieses langweilige Umfeld krachte 1963 ein architektonisches Ausrufezeichen. Vor einer versetzt gemauerten Ecke wuchs ein exotisches Etwas, vier Geschosse aus Stahl und Glas. Ein Signal für eine neue Zeit wollte der Verband der Polnischen Kunsthandwerker mit seiner Zentrale setzen, oben Büros, darunter Flächen für Ausstellungen und Verkauf. Bei aller Radikali-tät seines Outfits fügte der provokante Kubus sich erstaunlich stimmig in das Raumgefüge seiner Nachbarschaft. Die Foksal-Galerie wurde zu einer festen Adresse im Warschauer Kulturleben, auch und gerade über die politische Wende hinweg. 2001 zog der Verband als Eigentümer aus und vermietete die Obergeschosse an eine extra gegründete Galerie-Stiftung, die ihre Flächen dann 2010 kaufen konnte. Das Erdgeschoss gehörte inzwischen einem Friseur, das Grundstück blieb Eigentum der Stadt.
Für einen hochkarätigen Kunstmarktbetrieb wurden Umbauten fällig, dazu Sanierung an Dach, Fassade und Installation, die sämtlich noch im „Urzustand“ waren. Speziell für die Metall-Glas-Konstruktion standen dabei Probleme an, die von Sachkundigen für die oft filigranen Bauten jener Jahrzehnte allgemein reklamiert werden, inzwischen aber auch als beherrschbar gelten. Dass es trotzdem zu einem Radikalumbau der kleinen modernistischen Trouvaille kam, begründet Stiftungsvorstand Andrzej Przywada mit einer Forderung des Denkmalamts: Dem galt das einst markante Hoffnungszeichen einer kulturellen Öffnung zur Welt heute als Fremdkörper. Niemand scheint dessen Aufmüpfigkeit zu entziffern. Der Glaskasten ist kein Fanal mehr, er stört nur im sozrealistischen Flächendenkmal. Was, um Himmelswillen, versteht man in Warschau unter Baugeschichte und Denkmalwert? Die Bauwelt fragte im zuständigen Referat nach, bekam aber keine Antwort.
Beliebtheit reicht nicht
Also Umbau! Weil man sich privat schon länger kannte – und seine Fassadenreplik am Berliner Naturkundemuseum (Bauwelt 41.2010) als vorzügliche Referenz schätzte –, lud die Foksal-Stiftung hierfür Roger Diener mit seinem Basler Büro ein. Von dessen Entwurf war dann selbst der Auftraggeber „erst einmal geschockt“: Das komplett entkleidete Traggerüst erhielt oberhalb des unangetasteten Friseurladens eine neue Außenhülle aus superfeinen Betonplatten, die mit zartem Relief unregelmäßig versetzt, mal geschlossen, mal opulent verglast sind. Neben einer großzügigen Neuordnung der Geschossebenen und Erschließungswege bietet eine neue Dachterrasse willkommenen Zugewinn an künstlerischer Aktionsfläche. Die Nutzer sind mit dem Umbau sehr zufrieden. Die an Kunst und Architektur interessierte Öffentlichkeit allerdings muss den Verlust eines innig vertrauten, durchaus symbolträchtigen Anblicks im Warschauer Stadtbild verkraften. „Das Haus war beliebt, aber ein herausragendes Stück Modernismus war es nicht“, wird Roger Diener im Online-Magazin Uncube zitiert. Was er stattdessen anbietet, soll den einst pointierten Kontrast von Schwere und Transparenz zu den Nachbarn hin nun entschärfen. Zudem will der Architekt mit seinen dünnschaligen Vorhangelementen eine Paraphrase auf das industrialisierte Bauen bieten und damit aus heutiger Perspektive dem technoiden „Geist“ des Vorgängerbaus Reverenz erweisen.
In memoriam Montagebau?
Allerspätestens seit der „abstrahierenden Rekonstruktion“ der Neuen Dessauer Meisterhäuser (Bauwelt 22.2014) verstehen sich solche assoziativen Schöpfungen gern als Beiträge zur großen Generaldebatte um Denkmalwert und Rekonstruktion. Es darf also diskutiert werden: Paraphrase? Oder etwa Karikatur? Wohl selten ist an den Prinzipien technologischer Rationalität, und damit am Sinngehalt industriellen Bauens so zielgerichtet vorbei interpretiert worden. Roger Dieners neues Fassadenbild verballhornt alle wichtigen Merkmale industriellen Bauens: Von seinen insgesamt zwölf Außenwandpaneelen gleicht keines dem anderen – von Serienfertigung also keine Spur. Selbst die edlen Holzmatritzen für den präzise modellierten Plattenguss waren jeweils nur einmal verwendbar. Überhaupt war die Herstellung der extrem dünnen Elemente aus Ductal-Hochleistungsbeton so anspruchsvoll, dass sie offenbar nur im fernen Südwestdeutschland gelingen konnte – Transportweg runde tausend Kilometer. Und schließlich die Hausecken! Wer jemals fasziniert den punktgenauen Tanz der Kräne verfolgt hat, wird sich angesichts dieser schlingernden Kanten nur die Augen reiben: Keine Platte trifft da exakt auf irgendeine andere. Und das nicht aus Schlamperei, sondern mit Absicht: ein Affront gegen alle Menschheitsträume von Maschinenpräzision. „Ein Poem auf Polens Standardisierung“ – diese Emphase eines polnischen Kritikers ist wohl nur als blanke Ironie zu verstehen. Der Galerist ist da fein raus: „Unser Ehrgeiz war es, das Gebäude als Skulptur zu behandeln, und damit für Warschau neue architektonische Qualitäten zu etablieren.“ Im Universum der Künste ist ja vieles möglich. Doch was erzählen uns ein Bugatti oder Maserati von Verheißung und Elend der Fließbandwelt?
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