Bauwelt

Parcours der Vertikale

Der Bildhauer Kai Schiemenz ­bespielt die Städtische Galerie Wolfsburg mit Aufrechtem

Text: Bettina Maria Brosowsky

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    Blick in den großen Ausstellungsraum des Wolfsbur­­ger Schlosses mit Kai Schiemenz’ Glas­skulpturen.
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    © Kai Schiemenz/Galerie EIGEN+Art. Foto: Janina Snatzke; © Kai Schiemenz

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    Blick in den großen Ausstellungsraum des Wolfsbur­­ger Schlosses mit Kai Schiemenz’ Glas­skulpturen.
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    © Kai Schiemenz/Galerie EIGEN+Art. Foto: Janina Snatzke; © Kai Schiemenz

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    Arbeit von Kai Schiemenz auf dem Lichtparcours Braunschweig
    © Kai Schiemenz/Galerie EIGEN+Art. Foto: Janina Snatzke; © Kai Schiemenz

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    Arbeit von Kai Schiemenz auf dem Lichtparcours Braunschweig

    © Kai Schiemenz/Galerie EIGEN+Art. Foto: Janina Snatzke; © Kai Schiemenz

Parcours der Vertikale

Der Bildhauer Kai Schiemenz ­bespielt die Städtische Galerie Wolfsburg mit Aufrechtem

Text: Bettina Maria Brosowsky

Vielleicht ist man zunächst etwas enttäuscht, wenn man die Ausstellung von Kai Schiemenz in der Städtischen Galerie im Wolfsburger Schloss betritt. Die Markenzeichen des 1966 in Erfurt geborenen Bildhauers waren ja über mehr als zehn Jahre große, begeh- und nutzbare Zwitterwesen aus Architektur und Skulptur. Sie sollten als Raummodelle im Maßstab 1:1 dem Rezipienten, besser, Gruppen von Rezipienten, eine Bühne für ihr eigenes Agieren im Raum bieten oder während Veranstaltungen als konzentrierende Arenen und Tribünen dienen. Ihr formaler Charme entsprang der kunstfertig ruppigen Improvisa­tion aus Holztragwerk, MDF-Platten und Dachlatten. Mitunter war es erstaunlich, dass diese Kon­strukte behördlichen Segen erhielten, besonders wenn sie als Freiluftinstallation auftraten, wie 2006 der Aussichtsturm im polnischen Za­mość, der unübersehbar von Tatlins Monument der 3. Internationale inspiriert war.
Von all dem sieht man in Wolfsburg nichts, denn dieser „Theatralisierung des öffentlichen Raumes“, so Kai Schiemenz, hat er vor vier Jah­ren entsagt, vielleicht auch wegen einer gewissen Übersättigung an der domestizierenden Wirkung seiner Architekturen. Seither konzentriert er sich auf Urphänomene des Skulptura­len: Volumen, Bildhaftigkeit, Materie und Oberfläche. Die Skulptur baut eine stärkere Distanz zum Betrachter auf, sie ist kräftiger, „gewalttätiger“, so Schiemenz, selbst bei geringer Dimension. In Wolfsburg entfaltet sich nun über drei Säle ein Parcours der Vertikale – aus Standbildern sehr verschiedener Größe und Materialität. Sie alle spielen mit dem kultischen Akt, ein Objekt aufzurichten, wodurch es sich zu einem Bedeutungsträger auflädt, zu einem dialogischen Gegenüber des Menschen.
Zu dieser Wirkmacht treten Masse und Material, mal affirmativ, mal konterkarierend. Im mitt­leren, dem größten Raum steht rund ein Dutzend kleinformatiger, fast an Stelen erinnernder Ver­tikalen, monolithisch aus farbintensiven Gläsern gegossen oder als Hohlkörper in glasierter Baukeramik gebrannt. Sie sind nicht frei von formalen und geisteshistorischen Konnotationen: Das Vermächtnis einer visionären Moderne um Bruno Taut, Paul Scheerbart und Herrmann Finsterlin ist unübersehbar, nun in suggestiver Modellgröße verdichtet. Ihre gemeinsame Basis finden die Artefakte in einer Art dreidimensionalem Gartenparterre aus Spanplattenebenen. Es kann erklommen und durchschritten werden, man soll darauf sitzen oder gar liegen. Eher imaginär
als visuell erlebbar, wird so die Beziehung zum Wolfsburger Schlossgarten hergestellt; er liegt allerdings etliche Stockwerke tiefer. Aber es klingen auch archaische Bedeutungsebenen an: das Markieren und Abstecken eines ausgesuchten Ortes, indem man vertikale Zeichen setzt; die Bildung eines individuellen Raums, indem man ihn durch eine minimale Geste aus dem endlosen Raumkontinuum ausgrenzt.
Wem das alles zu akademisch – und vielleicht auch zu ästhetizistisch – daherkommt, findet sicher an den beiden anderen Räumen Gefallen. Die hat Schiemenz mit zum Teil sehr kleinen, zum Teil sehr großen Objekten aus pastellfarbenem Hartschaum bestückt. Mit diesem Material, das auch Architekten für intuitive Massenstudien schätzen, übersetzt er die Spontaneität und Leich­tigkeit der Malerei in dreidimensionale Objekte, spielt eine flüchtige Schnelligkeit gegen sehr langwierige Prozesse der klassischen Bildnerei aus. Und es zerfließen erneut, wie früher in seinen raumgreifenden Großskulpturen, die Grenzen zwischen Modellcharakter und authentischer Rea­lisierung. Alles wird Experiment der Selbstvergewisserung im Raum, autonom wie auch stell­vertretend für eine weiter zu ersinnende Konkretisierung. Kai Schiemenz ist übrigens auch beim diesjährigen Lichtparcours in Braunschweig dabei (Bauwelt 25). Dort besetzen noch bis 22. September seine pulsierend leuchtenden Barren die topografischen Relikte eines barocken Bollwerks – in der Horizontale lagernd.

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