Pariser Türme
In der Stadt an der Seine diskutiert man seit einiger Zeit heftig über den Bau neuer Hochhäuser innerhalb des Boulevard Périphérique. Eigentlich sind solche Planungen dort nicht zulässig, doch der Druck der Investoren wächst und es gibt bereits Ausnahmen. Im März nun entscheidet der Stadtrat endgültig über die „Tour Triangle“ von Herzog & de Meuron
Text: Kabisch, Wolfgang, Berlin
Pariser Türme
In der Stadt an der Seine diskutiert man seit einiger Zeit heftig über den Bau neuer Hochhäuser innerhalb des Boulevard Périphérique. Eigentlich sind solche Planungen dort nicht zulässig, doch der Druck der Investoren wächst und es gibt bereits Ausnahmen. Im März nun entscheidet der Stadtrat endgültig über die „Tour Triangle“ von Herzog & de Meuron
Text: Kabisch, Wolfgang, Berlin
Als die Architekten Herzog & de Meuron im Jahre 2008 das Projekt des „Tour Triangle“, eines gläsernen Turms an der Porte de Versailles in Paris, vorstellten, schien das anstehende Genehmigungsverfahren eher eine Formalie zu sein. Doch am 17. November 2014 entschied sich der Stadtrat mit 83 zu 78 Stimmen gegen den spektakulären Bürokomplex. Der Beschluss wurde allerdings aus formalen Gründen von der Bürgermeisterin Anne Hidalgo sofort nach der Abstimmung außer Kraft gesetzt. Ob das nun eine gute oder schlechte Nachricht ist, darüber wird in der Stadt nicht nur bei Politikern und Bürgervertretern, sondern auch bei Investoren, Architekten und Journalisten erbittert gestritten. Es sieht nach einem grundsätzlichen Richtungsstreit aus: Hochhäuser innerhalb des Boulevard Phéripérique von Paris – ja oder nein? Verdichtung oder Entflechtung als planerische Leitlinie? In der festgefahrenen Auseinandersetzung hat man zunehmend Schwierigkeiten, die unterschiedlichen Positionen klar auseinander zu halten. Das einzige, was zurzeit feststeht ist, dass nach gut sechs Jahren Diskussion nichts feststeht. Lehnt der Stadtrat das Projekt im März allerdings erneut ab, müssten sich der mächtige private Investor Unibail-Rodamco und Herzog & de Meuron von ihrer Idee verabschieden.
Millionen für die Stadt
Architektonisch betrachtet handelt es sich bei dem „Tour Triangle“ um eine Pyramide: 180 Meter hoch (42 Geschosse), an der Basis 35 Meter breit und 200 Meter lang, an der Spitze 16 Meter breit, mit 88.000 Quadratme-tern Bürofläche, dazu Geschäfte und ein Restaurant, alles fast vollständig verglast. Sie steht auf dem Gelände der alten Pariser Messe, dem „Parc des Expositions“, im rechten Winkel zur Stadtautobahn „Périphérique“. Energietechnisch auf dem neuesten Stand, ausgestattet mit „intelligenten“ Büros, ohne Wohnhäuser zu verschatten, verkehrstechnisch gut angebunden. Die Architekten haben mögliche Angriffsflächen minimiert. Das Projekt ist auf 520 Millionen Euro veranschlagt. Für das Gelände wird über 80 Jahre eine jährliche Pacht von 2 Millionen Euro an die Stadt gezahlt. Dieser Betrag kann sich durch eine „Gewinnbeteiligung“ bis auf 4,5 Millionen erhöhen. Nach Ende der Vertragslaufzeit geht das dann wohl restlos verbrauchte Gebäude in den Besitz der Stadt über. Soweit die Fakten. Die Befürworter sprechen von einem enormen Gewinn für Paris. Finanziell, strukturell sowie ideell. Die Stadt erhielte Einnahmen ohne weiteres Risiko, würde 3000 neue Arbeitsplätze gewinnen, zuzüglich einer nicht unerheblichen Zahl in der Bauindustrie während der Realisierungsphase, und könnte ein ganzes Stadtviertel am alten Messegelände neu strukturieren. Außerdem bekäme man endlich den gesuchten hochqualitativen Büroraum.
Die Gegner bezweifeln genau das alles. Darüber hinaus seien Büros das Letzte, was Paris braucht. Im Stadtzentrum stünden 800.000 Quadratmeter leer. In der Region sogar 3,3 Millionen. Bereits jetzt liegt die Stadt nach London mit 52 Millionen Quadratmetern genutzter Bürofläche an der Spitze europäischer Verwaltungszentren. Das reicht! Wohin soll die Entwicklung führen, wenn man die bebaubare und bereits bebaute Gesamtfläche innerhalb der Périphérique betrachtet. Wo soll wer noch leben? De facto ist Paris flächenmäßig die kleinste Metropole Europas. „SOS Paris“ oder auch „sppef“ (Société pour la Protection des Paysages et de l‘Esthétique) nennen sich die Kämpfer gegen „eine Zerstörung von Paris“. Ihnen geht es nicht allein um die Verhinderung der Büropyramide an der Porte de Versailles. Sie haben vor Gericht gerade einen erneuten Stopp des Umbaus des ehemaligen Kaufhauses Samaritaine an der Rue de Rivoli durch das Büro SANAA erwirkt (Bauwelt 13.2012). Volumen, Material (viel Glas) und Gestaltung entsprächen nicht den Haussmann’schen Regeln, die in Paris nach wie vor gelten. So muss u.a. für alle Bauten über 37 Meter Höhe eine Ausnahmeregelung bei der Stadt beantragt werden. Genau daran ist auch das Projekt von Herzog & de Meuron bisher gescheitert.
Revoir Paris: Blick zurück nach vorne
Versucht man, die unterschiedlichen Argumente, Interessen und Initiativen rund um den „Dreiecksturm“ zu entwirren und mit klarem Kopf den Kern der Diskussion zu ergründen, hilft unerwartet eine Ausstellung zum richti-gen Zeitpunkt in der Cité de l’architecture & du patrimoine am Trocadéro: „Revoir Paris“, das sind die Zeichnungen und Vorlagen für einen gleichnamigen Comicband von François Schuiten und Benoît Peeters. Um ihre eigenen Visionen vom Paris des Jahres 2156, 200 Jahre nach der Geburt der beiden Stars der Comicszene, zeichneten sie historische Ideen aus dem 19. Jahrhundert, also der Ära Haussmann. Utopien von einst. Dazu Stellungnahmen von zeitgenössischen Architekten, Soziologen, Psychologen, Planern. Das ergibt einen epocheübergreifenden Dialog mit der klaren Aussage: Eine Stadt, die sich nicht verändert, stirbt. Wie sie sich verändern muss, sagen Schuiten und Peeters nicht. Dafür sind Architekten und Planer zuständig. Die Autoren zeigen allerdings, wie Paris im 22. Jahrhundert aus-sehen könnte, wenn sich die bisherige Entwicklung fortsetzt: Sie haben eine Stadt als Museum gezeichnet, die wie ein fremder Planet von Besuchern aus der Vogelperspektive bestaunt wird. Ein geschütztes Denkmal.
Eine Scheindebatte?
Jeder hat das Recht für oder gegen Hochhäuser in Paris zu sein. Sachlich kann man wohl darüber streiten. In diesem Fall sogar mit absehbarem Gewinn. Warum lassen sich in den „Tour Triangle“ zum Beispiel nicht weitere Nutzungen oder Wohnungen integrieren? Leider findet diese Diskussion nicht mehr statt. Sie ist zu einer parteipolitischen Auseinandersetzung verkommen. Ursprünglich war das Turmprojekt von vielen konservativen Abgeordneten der UMP befürwortet worden. Doch inzwischen hat die im letzten Jahr bei den Wahlen unterlegene Bürgermeisterkandidatin der UMP, Nathalie Kosciusko-Morizet, angeblich eine andere Meinung.
Zurzeit werden weitere Türme in Paris geplant, die gute Chancen auf eine Realisierung haben: Jean Nouvel hat für den XIII. Bezirk sein Projet „DUO“ vorgelegt. Zwei Türme, 180 und 120 Meter hoch, mit Büros, Hotel und Geschäften auf 86.000 Quadratmetern. Renzo Piano errichtet im XVII. Bezirk einen „Palais de la Justice“. Die Bauarbeiten für das Gerichtszentrum mit einem 160 Meter hohen Turm und 104.000 Quadratmetern Gesamtfläche haben vor zwei Jahren begonnen. DUO soll 2017 eröffnet werden. Die rechtliche Grundlage für Vorhaben dieser Art wurde vor vielen Jahren im Bebauungsplan „PLU“ (plan local d’urbanisme) gelegt. In Zonen ohne oder mit nur wenig Wohnbebauung sind seit 1977 „Hochbauten“ über 37 Meter erlaubt.
In der Praxis können vor allem im Bereich der Auf- und Abfahrten der Stadtautobahn Ausnahmen genehmigt werden. Würde dieses Potenzial ausgeschöpft, würde das Zentrum von Paris in einigen Jahren von „Hochhaus-Wallanlagen“ umgeben sein. Als Zukunftsmodell kann das nicht taugen.
In der Praxis können vor allem im Bereich der Auf- und Abfahrten der Stadtautobahn Ausnahmen genehmigt werden. Würde dieses Potenzial ausgeschöpft, würde das Zentrum von Paris in einigen Jahren von „Hochhaus-Wallanlagen“ umgeben sein. Als Zukunftsmodell kann das nicht taugen.
Wie weiter?
Für mich handelt es sich nicht, wie man zunächst annehmen könnte, um eine grundsätzliche Hochhausdebatte. Bei der erneuten Vorlage des „Tour Triangle“-Projekts im Stadtrat geht es weder um eine grundsätzliche Entscheidung zur Hochhausfrage, noch um architektonische Details. Im Mittelpunkt steht ein eindeutiges Signal an Investoren, Architekten und Städ-teplaner, dass man in die Zukunft von Paris investieren will. Das krampfhafte Festhalten an einer „37-Meter-Regel“ wirkt, wie die jüngsten Beispiele der Philharmonie, der Stiftung Louis Vuitton oder des neuen Verteidigungsministeriums zeigen, lächerlich. Und eine Stadt als Museum für zahlungskräftige Touristen ist langfristig nicht überlebensfähig. Paris ist längst an seine Grenzen gestoßen. Die enormen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur eines „Grand Paris“ macht keinen Sinn, wenn damit nicht eine städtebauliche und architektonische Vision verbunden ist. Und die könnte auch mit einer Entflechtung einhergehen. Doch was soll man mit der Barriere Stadtautobahn geschehen? Eine Frage, die man zu lange unbeantwortet gelassen hat. Diese Erkenntnis liegt offenbar auch der Aufruf zugrunde, der in der monatlich erscheinenden französischen Architekturzeitschrift AMC veröffentlicht wurde. 21 Persönlichkeiten aus der Architektur- und Bauszene (darunter auch Christian de Portzamparc und Jean Nouvel) geben ihre Neutralität auf und setzen sich für die gläserne Pyramide von Herzog & de Meuron einsetzt. „Das Paris des 21. Jahrhunderts“, heißt es in der Ausstellung der Zukunftsspezialisten François Schuiten und Benoît Peeters, „muss noch erfunden werden.“
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