Bauwelt

Parken bei den Buddenbrooks

Vor einem Jahr erregte Lübeck mit dem Wettbewerb für ein zeitgenössisches Bauen in der Altstadt Aufmerksamkeit (Bauwelt 12.2015). Kaum zu glauben, dass jetzt, nur wenige Schritte entfernt, eine Großgarage in Planung ist

Text: Stimmann, Hans, Berlin

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Platz genug für ein neues Parkhaus im Block hinter dem Buddenbrookhaus – Platz aber auch für eine
angemessenere Nutzung
Foto: Hannes Stimmann

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Platz genug für ein neues Parkhaus im Block hinter dem Buddenbrookhaus – Platz aber auch für eine
angemessenere Nutzung

Foto: Hannes Stimmann


Parken bei den Buddenbrooks

Vor einem Jahr erregte Lübeck mit dem Wettbewerb für ein zeitgenössisches Bauen in der Altstadt Aufmerksamkeit (Bauwelt 12.2015). Kaum zu glauben, dass jetzt, nur wenige Schritte entfernt, eine Großgarage in Planung ist

Text: Stimmann, Hans, Berlin

Der Ruf Lübecks verbindet sich mit seinem Marzipan, der siebentürmigen Silhouette der mit dem Status Weltkulturerbe versehenen Altstadt und bei literarisch Gebildeten mit dem nach dem Roman von Thomas Mann benannten Kaufmannshaus in der Mengstraße 4 – dem Buddenbrookhaus. Sein Roman vom Verfall einer Kaufmannsfamilie sorgte 1929, dem Jahr der Verleihung des Nobelpreises an Thomas Mann, dafür, dass das vorindustrielle Leben in der Altstadt zur Marke wurde. Das Bombardement durch die Royal Air Force am Palmsonntag 1942  zerstörte fünf der sieben Kirchtürme und legte das Kaufmannsviertel samt Buddenbrookhaus, dem Stammsitz der Familie Mann, in Schutt und Asche. Nach 1945 wurden die Türme rekonstruiert, das Kaufmannsviertel aber wurde nach dem Muster vorstädtischer Siedlungen neu bebaut. Die Zukunft wurde von Architekten und Politikern dieser Jahre in der Überwindung der Altstadt gesehen. Dabei bildete auch das ruinöse Buddenbrookhaus kein Hindernis. Nur die 1758 gebaute Fassade blieb erhalten, wurde aber Teil eines Großblocks mit traufständiger Bebauung und einem Parkhaus im Blockinnenbereich. Das Grundstück wurde annähernd zeitgleich mit der Verleihung des Ehrenbürgerrechtes an Thomas Mann (am 20. Mai 1955) an eine Bank verkauft. Mit der Idee für den Bau eines Bankgebäudes hinter der Fassade des Buddenbrookhauses und eines Parkhauses wurde Thomas Mann nicht konfrontiert. Schwer vorzustellen, wie er reagiert hätte, wenn er vom Ziel der Planer zur „Überwindung der Altstadt“ gehört hätte, und was er als eher konservativ ausgerichteter Beobachter gesagt oder im Tagebuch festgehalten hätte, wenn er die realisierten Büro- und Parkhaus-Bauten zu Gesicht bekommen hätte. Geblieben ist ein Foto von Katja und Thomas Mann aus dem Jahr 1953 vor dem Haus. Damit hatte die Fassade endgültig den Status einer Filmkulisse  erlangt.
Eine erste Änderung im Umgang mit dem berühmten Sohn der Stadt bildete 1993 der Kauf des Hauses durch den Lübecker Senat und die Einrichtung einer Ausstellung des Heinrich- und Thomas-Mann-Zentrums hinter der Fassade des Buddenbrookhauses. Die Ausstellung präsentiert sich, eingeengt durch Geschosshöhen und Grundrisse des Bankneubaus, auf einem beklagenswerten Niveau. Das liegt auch am Verzicht auf  die Rekonstruktion des Kaufmannshauses mit Seitenflügel und Gartenhaus. Was man dafür bekam, war der unverstellte Blick auf Parkplätze und das Parkhaus.
Dieser Zustand soll nun geändert werden. Das Parkhaus soll aber nicht etwa zugunsten einer Erweiterung des Buddenbrookhauses auf dem tiefen historischen Grundstück kleiner werden. Es soll ein neues, größeres Parkhaus errichtet werden. Bauherr ist eine GmbH und Co. KG mit dem wie aus einem Satiremagazin entnommenen Namen „Neues Parkhaus St. Marien“. Kann eigentlich jeder mit einem so traditionsreichen Kirchennamen Geschäfte machen oder liegt es darin begründet, dass auch die St. Marienkirchen-Gemeinde hier sechs Parkplätze besitzt? Sie spielte damit eine ähnliche Rolle wie das Buddenbrookhaus, das als Einrichtung der Kulturstiftung „die Lübecker Museen“ über sieben rechtlich gesicherte Stellplätze verfügte. Auch im neuen Konzept sind Stellplätze für Buddenbrooks geistige Erben nachgewiesen.
Thomas Mann war kein Gegner des Autofahrens. Ganz im Gegenteil. Die Villa des aus Deutschland Vertriebenen hatte selbstverständlich eine Doppelgarage. Vermutlich hätte er gleichwohl den Bau einer Hochgarage hinter dem Haus seiner Großeltern und die Anlage einer Zufahrt auf den rückwärtigen Teil des Buddenbrookhaus-Grundstückes als geschmacklos missbilligt. Aber darum geht es nicht,  sondern darum, auf welchem architektonischen Niveau Lübeck bis heute mit dem literarischen  Erbe umgeht. Wie konnte es dazu kommen? Wesentlich waren die Planungen für den Wiederaufbau der Lübecker Altstadt als modernes Geschäftszentrum. Dafür benötigte man größere Grundstücke, für den Autoverkehr breitere Straßen und eben Parkhäuser wie das 1963 hinter dem Buddenbrookhaus errichtete. Das alles ist bzw. war verbaute Geschichte der Stadtentwicklung der ersten zwei Nachkriegsjahrzehnte, in der Parken viel und Thomas Mann gar nichts bedeutete. Inzwischen haben sich nach dem Bau peripherer Einkaufszentren die Einzelhandelsstrukturen radikal  geändert. Gleichzeitig sind die Touristen der Schönheit der alten Stadt und den literarischen Bildern erlegen. Wer wie die Lübecker politischen Entscheider glaubt, die Konkurrenz der Einkaufsstandorte mit mehr Stellplätzen in der Altstadt ohne Verlust zu gewinnen, liegt daneben – fachlich, wirtschaftlich und politisch. Wie es dennoch dazu kommen konnte, dass nun ohne Rücksicht auf die besondere Situation des Blocks mit dem im Buddenbrookhaus nur unzulänglich untergebrachten Museum ein neues Parkhaus gebaut wird, ist für Außenstehende schwer herauszufinden.
Das Problem des Parkhausneubaus ist nicht eines der Architektur. Es geht vielmehr um die überfällige Revision des aus der unmittelbaren Nachkriegszeit stammenden Konzepts eines Blocks für City-Nutzungen ohne Rücksicht auf den literarischen Ort. Wer hier heute etwas auf dem Anspruchsniveau einer Weltkulturerbe-Stadt plant, muss die Erweiterungsmöglichkeiten des Buddenbrookhauses selbst und die auf dem Nachbargrundstück berücksichtigen. Wer es gut meint mit der Zukunft der Altstadt mit Welterbe-Status, welcher den Block mit dem Buddenbrook-Haus ausdrücklich ausklammert, muss dafür sorgen, dass auch dieses Areal irgendwann zum Welterbe zählt, literarisch sowieso und vielleicht auch architektonisch. Notwendig ist ein großzügiges Museumskonzept für beide Grundstücke und eine Museumsarchitektur, die den literarischen Erinnerungen an Thomas und Heinrich Mann eine Form gibt.

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