Projektbörse
Nicht nur über Integration und bezahlbares Wohnen diskutieren, sondern konkrete Bauvorhaben auf den Weg bringen, das ist das Ziel der Münchner Initiative „Wohnraum für Alle!“
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Projektbörse
Nicht nur über Integration und bezahlbares Wohnen diskutieren, sondern konkrete Bauvorhaben auf den Weg bringen, das ist das Ziel der Münchner Initiative „Wohnraum für Alle!“
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Landauf landab diskutieren in diesen Monaten Architekten und Planer über bezahlbaren Wohnraum und die Integration von Flüchtlingen. Kommunen suchen nach Konzepten, die über die kurzfristige Unterbringung hinausgehen. Aber wie bringt man Grundstücksbesitzer, Planer, Investoren, soziale Träger und die Verwaltung tatsächlich an einen Tisch? Die Münchner Initiative „Wohnraum für Alle!“ hat sich vorgenommen, Nägel mit Köpfen zu machen. 2015 von einer Handvoll Planern und Immobilienentwicklern gegründet und jetzt unter dem Dach des Deutschen Werkbunds, will das Bündnis Projekte anschieben, die im Anschluss „marktüblich“ über Wettbewerbe und Direktbeauftragungen umgesetzt werden. Der Bedarf ist groß und wächst, auch wenn nicht mehr jeden Tag Tausende Menschen ankommen: Allein in München werden jeden Monat 50 neue Wohnungslose registriert. Als ersten Schritt rief die Initiative im Dezember 2015 zur Einreichung von „innovativen und integrativen städtebaulichen, baulichen und freiraumplanerischen Konzepten“ auf. So breit aufgestellt wie der Aufruf waren denn auch die 70 Arbeiten, die Ende Februar von einem 30-köpfigen Expertengremium im Schnelldurchlauf begutachtet wurden. Alles war dabei, vom Minihaus bis zum Stadtviertel, von der Ideenskizze bis zum bewährten Wohnmodell wie dem Grandhotel Cosmopolis in Augsburg, von der Studentenarbeit bis zum Kunstprojekt. Die zehn Auszeichnungen und fünf Anerkennungen spiegeln die Bandbreite der Einreichungen wider, wenngleich sich die städtebaulich „visionären“ Arbeiten und die allzu seriellen und temporären Konzepte glücklicherweise nicht durchsetzen konnten. Mit bayrischem Pragmatismus wurden unter der Leitung von Thomas Jocher umsetzungsfähige (und zum Teil bereits umgesetzte) Konzepte ausgewählt, die auch für den suburbanen und ländlichen Raum taugen: Die massive Nachverdichtung der Münchner Innenstadt mit Punkthochhäusern kam ebenso wenig zum Zug wie die Containersiedlung von Graft für das Tempelhofer Feld.
Eine der Strategien, die zur Nachahmung empfohlen werden, hat die Stadt Murnau am Staffelsee eingereicht. Aus dem ehemaligen Gemeinde-Krankenhaus soll ein „Start-Up-Incubator“ werden, in den auch Flüchtlinge einziehen - genauso haben es der Bürgermeister und der Wirtschaftsdezernent auch den Bürgern kommuniziert und dadurch eine hohe Akzeptanz für das Umnutzungsprojekt in zentraler Lage geschaffen: Zuzug als Chance für den ländlichen Raum, im besten Fall als Impuls für die Wirtschaft.
Nun steht nicht jeder Gemeinde ein leerstehendes Krankenhaus zur Verfügung, vielen nicht einmal Wohnraum. Gemeinsam mit der Caritas hat der Architekt Gerold Strehle aus Bregenz eine Typenplanung für betreutes Wohnen entwickelt, die für ihre bauliche Flexibilität ausgezeichnet wurde. Der zweigeschossige Pavillon mit seinem auskragenden Dach wird an mehreren Orten im Vorarlberger Rheintal gebaut, und eignet sich allein durch den überschaubaren Maßstab auch für andere Gemeinden: 30 Bewohner sollen dort wohnen, qualifiziert und betreut werden. Die Typologie orientiert sich am Gewerbebau und könnte daher auch für den suburbanen Raum ein Modell sein.
Ein beherrschendes Thema im Expertengremium war der Modulbau, der die Beschleunigung von Bauzeiten verspricht. Der bereits viel publizierte Entwurf von Yes Architecture aus München überzeugte durch die nicht-serielle Anordnung der Einheiten: eine Modulsiedlung, die nicht nach Modulsiedlung aussieht, sondern durch Vor- und Rücksprünge, Außentreppen, Dachterrassen und individuelle Wohnungseingänge kleinteilig gegliedert ist und gerade im Übergang zwischen Stadt und Land auch längerfristig Bestand haben könnte.
Anderen Projekten, wie der „Arrival City 4.0“ von Drexler Guinand Jauslin aus Frankfurt am Main merkt man die Dringlichkeit der Situation im Herbst 2015 an: Die Architekten schlagen Hilfe zur Selbsthilfe für Flüchtlinge vor, die zunächst mit Zelten in einen Rohbau einziehen sollen, den sie dann schrittweise in Eigenleistung zu einem Wohnhaus mit Gewerbe umbauen sollen, eine Art „Torre David“ im europäischen Kontext. Angesichts des unsicheren Aufenthaltsstatus vieler Flüchtlinge ein eher utopischer Prozess, aber als großstädtisches Experiment durchaus denkbar.
Die Projekte liegen nun auf dem Tisch. Sie wurden im März in der Münchner Architekturgalerie aus- und bei einer Projektbörse an der TU München vorgestellt (und können auf Wohnraum für Alle als Broschüre bestellt werden). Der Werkbund plant eine Bustour zu den bereits realisierten Projekten. Die Vernetzung läuft. Die Initiative hat gerade durch ihre Hemdsärmeligkeit die Chance, interdisziplinär und über die Architektenschaft hinaus zu wirken. Man wünscht dies auch anderen Städten.
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