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Regierender Bürger Müller

Text: Ballhausen, Nils, Berlin

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Michael Müller und Klaus Wowereit
Foto: Ole Spata, picture alliance/dpa

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Regierender Bürger Müller

Text: Ballhausen, Nils, Berlin

Wer folgt auf Klaus Wowereit? Bis zum Ende der Legislaturperiode 2016 muss es jemanden geben, der die Staatsgäste durch das Brandenburger Tor führt, Spatenstiche für Wohnungsbauten absolviert und draußen in Schönefeld Hartmut Mehdorn im Auge behält. Je blasser der Nachfolger, umso glorreicher wirkt sein Vorgänger – wird nach dieser uralten, aber bewährten Maxime der neue Regierende Bürgermeister Berlins gefunden?
„Interessiert das jemanden außerhalb Berlins?“ Die Frage stand im Raum, im Besprechungsraum. Dieser Artikel, das vorweg, ist ohne besondere Recherche, ohne Hintergrundgespräch oder persönliche Kontakte zu Politikern und ihren Helfern zustande gekommen. Mehr so: Stimmung. Berlinfeeling. Dem Volk aufs Maul usw. Mit anderen Worten: Der Autor ist eher ahnungslos und hat seine fünfundzwanzig Jahre Berlinpolitik vor allem über die Tagespresse aufgenommen. Eine gescheiterte Olympiabewerbung war aber auch schon mal dabei.
Berlins „Arm-aber-sexy-und-das-ist-auch-gut-so“-Bürgermeister Wowereit dankt ab. Zum 11. September, hieß es zunächst, ach nein, Entschuldigung – doch erst zum 11. Dezember! Ein Versprecher. Immer diese Termine. Seine Planstelle soll wiederbesetzt werden, schon deshalb, weil da die Abteilung Kultur mit dranhängt. Die Berliner SPD, stärkste Fraktion im Abgeordnetenhaus (2011: 28,3 Prozent), meint für die Personalfindung zuständig zu sein. Ihre rund 17.000 Mitglieder sollen ab 19. September über etwas befragt werden, was bereits auf der Hand liegt: Michael Müller, der Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, wird zu Weihnachten neuer Regierender Bürgermeister von Berlin sein – sofern Bundesparteichef Gabriel nicht vorher noch einen wichtigen Genossen entsendet. Die Bewerbungsfrist endet am 15. September.
Sagen wir es mal so: Die Stadt ist reif für einen Müller. Legt man das Ohr an sie, stöhnt sie uns zu: Gebt mir endlich einen seriösen Aktenfresser als Boss, einen, der niemals auf Partys geht und nicht sexy ist. Der nicht tanzen muss. Einen, dem das Lachen in der Öffentlichkeit nicht leicht fällt und der seine Brille randlos trägt. Große Ideen muss er keine haben, nur ordentlich seine Arbeit erledigen. Für so einen wäre auch Meier ein passender Name (nur Schmidt nicht, das ist Hamburg).
Was wissen wir über Michael Müller? „Gemeinsam mit seinem Vater betreibt er eine kleine Druckerei in Berlin-Tempelhof“, liest man bei Wikipedia. Ein hübsches Bild entsteht vor dem geistigen Auge, wie die beiden da unter einer Funzel die alte Heidelberg-Druckmaschine mit Lettern bestücken, dann die Druckbögen für die Trauerkarten prüfend durch ihre Hände gleiten lassen, dabei einander zunickend: Dass es solch gutes Papier heute überhaupt noch gibt! Man darf sagen: Drucksituationen – kein Problem für den Müller.
Die Tempelhof-Herkunft ist natürlich wichtig. Richtige Westberliner, solche, die dort nie rausgekommen sind, gibt es ja heute kaum mehr. Nur noch zugewandertes Medien- und Immobilien-Gemüse, das keine Ahnung hat von Transitstrecke, Berlinzulage und Deutsch-Amerikanischem Volksfest. Müllers größter Konkurrent bei der geplanten Briefwahl ist der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß (41). Er kommt aus Hildesheim. Kritische Stadtplaner lesen aus seinen Gastartikeln zur nicht vorhandenen Berliner Mitte heraus, er wolle sie als Neu-Hildesheim wiederaufbauen. Der dritte Bewerber, Fraktionsvorsitzender Raed Saleh (37), kam als Kind mit seinen Eltern aus dem Westjordanland nach Spandau. Das ist zwar politisch viel interessanter als Hildesheim, aber wohl doch noch zu früh für die Stadt, insbesondere für die Bewohner der Außenbezirke und den Roten Teppich der Berlinale.
Was hat der Senator Müller seit seinem Amtsantritt 2011 für die Stadtentwicklung geleistet? Schwer zu sagen. Als loyaler Gefährte des Regierenden steckt er in dessen unvollendeten Großprojekten irgendwie mit drin: Nachnutzung des Flughafens Tempelhof, Neubau der Zentral- und Landesbibliothek, Neubau des Flughafens BER und seit neuestem: Olympia 2024, mit Athletenunterkünften auf dem (dann vielleicht stillgelegten) Flughafen Tegel. Trotzdem gewinnt man den Eindruck, er sei bislang aus allem herausgehalten worden. Jedenfalls blieb nichts an ihm haften, weder Gutes noch Schlechtes, aber ist das schon eine Qualität? Mit seinen Aussagen zu den Themen Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung hat Müller bislang noch keine Schlagzeilen gemacht, sie wirken meist austauschbar und allgemein, aber nicht unkundig. Bei einem Wechsel in das Rote Rathaus: neue Redenschreiber engagieren! Denn fragt man Kollegen in der Redaktion nach Müller, kommen einem folgende Worte entgegen: blass, rätselhaft, Bürokrat, weiß nicht. Überregionales Know-how hat sich der Senator vor Kurzem in Gestalt des altgedienten Staatssekretärs Engelbert Lütke Daldrup ins Haus geholt. Soll der vielleicht sein Nachfolger werden?
Wenn am 18. Oktober die Abstimmungszettel der Mitglieder von Rudow bis Reinickendorf eingesammelt sind, wird der neue Bürgermeister der Hauptstadt Deutschlands feststehen. Das ist demokratisch, aber doch auch ein bisschen verwunderlich.
Fakten
Architekten Wowereit, Klaus, Berlin
aus Bauwelt 35.2014
Artikel als pdf

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