Der Schweizer Pavillon
Bruno Giacomettis Schweizer Pavillon verwandelt sich in eine Wohnung. Naja, fast. Eine Hausführung der besonderen Art, mit der die Kuratoren den Status quo im eidgenössischen Wohnungsbau hinterfragen möchten
Text: Kaps, Vera, Zürich
Der Schweizer Pavillon
Bruno Giacomettis Schweizer Pavillon verwandelt sich in eine Wohnung. Naja, fast. Eine Hausführung der besonderen Art, mit der die Kuratoren den Status quo im eidgenössischen Wohnungsbau hinterfragen möchten
Text: Kaps, Vera, Zürich
Überall in der Schweiz sprießen sie wie Pilze aus dem Boden: gleichartige Wohnüberbauungen, die sich durch einen enormen Maßstabssprung von ihrer direkten Umgebung abheben. Sie verdichten das Schweizer Mittelland, das sich als Agglomeration zwischen Jura, Bodensee und Alpen aufspannt. Und auch die Städte verdichten, was das Zeug hält. Dabei ersetzen Neubauten Altbauten, Sechsgeschosser Viergeschosser, halböffentliche Zwischenräume schrumpfen. Im Grunde wurde es höchste Zeit, dass der Schweizer Pavillon in Venedig sich der Sache annimmt.
Das Kuratoren-Team – die jungen Architektinnen und Architekten Li Tavor, Allessandro Bosshard, Matthew van der Ploeg und Ani Vihervaara, die erstmal in der Geschichte des Schweizer Pavillons in einem offenen Wettbewerb ausgewählt wurden – hat seinen Beitrag „Svizzera 240: House Tour“ genannt. Thema ist nicht der Außenraum, also die oben erwähnte Verdichtung, sondern der Innenraum, die Wohnung selbst. Und das eröffnet einen unerwarteten Diskurs über den Wohnungsbau in der Schweiz.
Weiße Wände, Einbauschränke, Parkett „Viele Schweizer Architekten zeigen auf ihren Internetseiten inzwischen Innenraumfotos von unmöblierten Wohnungen anstelle etwa von ausgefallenen Details oder besonderen Materialien. Solche Fotos haben lange Zeit eigentlich nur Immobilienagenturen oder -entwickler genutzt, um Wohnungen zu vermarkten. Das hat uns stutzig gemacht“, berichten die Kuratoren. So begannen sie, Fotos von Architekten-Websites aus der ganzen Schweiz zu sammeln. Ihr Archiv zeigt: viel Parkett, weiße Gipskartonwände, Fußleisten, Einbauschränke und Steckdosen – eine einheitliche Materialpalette, aus der sich alle diese Wohnungen zusammensetzen. „Diese Standardisierung – wie eben auch die 240 Zentimeter Normraumhöhe im Schweizer Wohnungsbau („Svizzera 240“) – wird überhaupt nicht mehr hinterfragt. Zudem fokussieren wir Architekten völlig auf den Grundriss und vergessen dabei, dass die Bewohner später vor allem die Wohnungsoberflächen sehen werden. Es ist Zeit, über diese immer gleichen nackten Oberflächen zu sprechen.“
Standard versus Autorenschaft „Durch all die Standardisierung verlieren Architekten an Autorenschaft – zumindest im Innenraum“, so die Kuratoren. Wenn man ein einzelnes dieser Innenraumfotos betrachte, sei durchaus eine Autorenschaft festzustellen. In der Menge der Fotos verschwimme diese jedoch – und hervor trete das uniforme Bild einer Bewegung, wie heute in der Schweiz Wohnungsbau gemacht wird. Dieser unausgesprochene Standard erlaube kaum mehr Ausnahmen. Eine Art kollektives Projekt sei das geworden, betrieben durch die Politik, die Nachfrage des Marktes und schließlich auch durch die Architekten.
„Wohnungsbau ist in der Schweiz noch Aufgabe von Architekten – und das betrachten wir als Qualität“, sagen Tavor, Bosshard, van der Ploeg und Vihervaara. „Bei allen Einschränkungen ist der Standard immer noch hoch. Wir formulieren unseren Beitrag deshalb auch nicht als grundsätzliche Kritik am Schweizer Wohnungsbau, sondern als ein Hinterfragen des Status quo.“
Wer ist hier der Hauptdarsteller? Mittlerweile sei der Architekt ein Dienstleister, der möglichst neutrale Wohnungen für die Bewohner schaffe. Die eigentlichen Designer seien die Nutzer, die sich die Wohnungen nach dem Einzug aneignen, dabei treten die ursprünglichen Raumoberflächen weitgehend in den Hintergrund. „Unser Archiv der Innenraumfotos suggeriert jedoch etwas völlig anderes: Die Oberflächen der Wände mit all ihren Steckdosen, Lichtschaltern und Lüftungsauslässen werden selbst zu Protagonisten“, so die Kuratoren. „Das ist es, was wir mit den ungewöhnlichen Maßstäben unserer Wohnrauminszenierung im Pavillon verkörpern wollen.“ Übergroße Installationen befremden die Besucher, zu kleine Türöffnungen konfrontieren sie mit ihren überdimensionalen Körpern. Plötzlich schaust nicht mehr du die Wohnung an, sondern die Wohnung inspiziert dich! Und genau dann beginne der Dialog von Betrachter und Oberfläche: „Die Art, wie der Innenraum im Pavillon repräsentiert wird, lädt ein, anders darüber nachzudenken, wie wir Innenräume betrachten und wie wir sie in Zukunft gestalten.“
Wieso eigentlich „House Tour“? „Wir bauen kein Haus, sondern inszenieren eine Führung, bei der die Besucher zu Haustouristen werden“, stellen die Kuratoren klar. In der Schweiz gehört die öffentliche Hausführung zum Vermittlungsprozess eines Neubaus. Übrigens: Die in der Heimat üblichen blauen Plastiktütchen dürfen gerne auch vor Betreten des Pavillons in Venedig über die Schuhe gezogen werden. So wird die „House Tour“ zum authentischen Schweizer Erlebnis.
Die Kuratoren des Schweizer Pavillons: Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg und Ani Vihervaara Die vier Architekten wurden in einem von der Stiftung Pro Helvetia ausgelobten Wettbewerb ausgewählt. Sie leben und arbeiten in Zürich und sind seit 2015 gemeinsam als wissenschaftliche Mitarbeitende an der ETH Zürich tätig.
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