Spaß und Dissidenz
Das Berliner Museum für Architekturzeichnung erinnert an die kurze, aber triumphale Karriere jener Nonkonformisten, die schon vor dem Ende der Sowjetunion nach eigenen Wegen suchten. Unser Autor traf Juri Awwakumow, Mitbegründer der Moskauer „Papierarchitekten“ und Kurator der Schau, und schrieb unter dem Eindruck eines Gesprächs über Langeweile, vergessene Avantgarden und den Ehrgeiz, endlich im weltweiten Architekturzirkus mitzuspielen
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Spaß und Dissidenz
Das Berliner Museum für Architekturzeichnung erinnert an die kurze, aber triumphale Karriere jener Nonkonformisten, die schon vor dem Ende der Sowjetunion nach eigenen Wegen suchten. Unser Autor traf Juri Awwakumow, Mitbegründer der Moskauer „Papierarchitekten“ und Kurator der Schau, und schrieb unter dem Eindruck eines Gesprächs über Langeweile, vergessene Avantgarden und den Ehrgeiz, endlich im weltweiten Architekturzirkus mitzuspielen
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Es zählt zu den Folgen des Kalten Krieges, dass Architekturphänomene der östlichen Hemisphäre bis heute kaum Aufnahme in den internationalen Baugeschichtskanon finden. Selbst die kürzliche „Entdeckung“ einer verwegenen Ostmoderne konnte das ewige Klischee von der Plattenbautristesse nicht wirklich erschüttern. Den grafischen Kabinettstückchen der Papierarchitektur ergeht es kaum besser. Dabei waren sie Teil jener nonkonformistischen Kultur, die in den 80er Jahren erste Risse im erstarrten Sowjetsystem erkennen ließ. Bei aller Verschiedenartigkeit können die Phantasieprojekte doch generell als Vorahnungen fundamentaler Gesellschaftsumbrüche gelten. Zugleich waren sie Exportschlager für den Markt architektonischer Eitelkeiten in Westeuropa und Übersee. Wie ging das zusammen?
Die ab den späten 70er Jahren in Moskau wirkenden Papierarchitekten beeindrucken nicht nur durch altmeisterliche Zeichenkunst. Noch mehr fasziniert die Doppelbödigkeit ihrer Bildideen. Da erscheint etwa der Russakow-Klub, Melnikows Ikone des Konstruktivismus, überwuchert von pompösem Stalin-Barock. Auf einem anderen Blatt lernt ein Fisch das Fliegen, abgeseilt von einem wackeligen Gerüst, das eine träumerische Verwandtschaft mit Tatlins Denkmal der Dritten Internationale zeigt.
Solche Verweise waren ernst gemeint, als Verbeugung vor der verfemten Avantgarde: „Die Visionäre der 1920er Jahre wurden damals als Spinner, eben als ‚Papierarchitekten‘ abgetan. Ein absoluter Negativbegriff, also haben wir uns bewusst so genannt.“ Juri Awwakumow kommt ins Schwärmen, wenn er von den 80er Jahren erzählt. Während die Sowjetunion zähen Niedergang und das Aufkeimen der Perestroika durchlebte, waren ein paar junge Wilde vom Moskauer Architekturinstitut MArchI in den Phantasiewettbewerben japanischer oder französischer Architekturmagazine auf Siegerplätze regelrecht abonniert: „Manche konnten von den Preisgeldern eine ganze Weile leben.“
Bis heute ist das Erfolgsgeheimnis dieser kurz aufflackernden Episode nicht wirklich geklärt. Ihre Protagonisten tragen auch wenig zur Erhellung bei, wenn sie, neben diebischem Spaß am Katz-und-Maus-Spiel mit den Zensurbehörden, vor allem von Langeweile reden, und von überschüssiger Kraft. Um sich nicht wie die ältere Generation draußen im Land mit industrieller Massenproduktion herumquälen zu müssen, vertrieb eine junge Szene am MArchI sich die akademische Schonzeit mit dem Bilderrausch der im Westen gerade florierenden Postmoderne. „Das Schaffen von Welten, die nicht zur totalen Verwirklichung bestimmt sind, ist teils eine unverantwortliche Angelegenheit, teils eine lustige Sache“, umschreibt der Kunstkritiker Alexander Rappaport das schwebende Selbstgefühl von Kreativen, denen die Nachwelt lieber nur ein klares Motiv unterstellt: Dissidenz! „Für uns waren das Helden“, bekennt eine Kollegin aus St. Petersburg, noch immer mit leuchtendem Blick.
Papierarchitekturen kamen nicht nur aus der Hauptstadt. Die auffällig grau getuschten Aquarelle aus Nowosibirsk verbreiten allerdings eher dystopische Düsternis. Was fern von Moskau (und vom westlichen Wettbewerbsrummel) ihr Sibirien an post-utopischen Träumereien weckte, nannten die Absolventen des örtlichen Bau- und Ingenieurinstituts selbst „traurigen Punk“. In Estland war es wiederum anders. Dort schwärmte eine fest verschworene Clique nicht bloß platonisch für jedwede Postmoderne, sondern wollte die unbedingt selber bauen, und sei es als Datscha am Waldesrand. Ihre freien Grafiken waren bissige Kommentare zur Zeit. Die „Tallinner Schule“ trug schon Züge einer Künstlerkommune, ihre Geschichte wurde hierzulande noch nirgends erzählt.
Nun zur unvermeidlichen Frage: Gehören die oft schwer literarischen, manchmal bloß spielerischen Bildtableaus überhaupt in Architekturdiskurse? Die Geschichte kennt immer wieder Phasen, in denen Vordenker die Grenzen der eigenen Profession überschreiten: Das theatralische Pathos der Gläsernen Kette ist ohne den Expressionismus schwer zu erklären. Metabolismus oder Archigram sind undenkbar ohne die Eruptionen der Popkultur. Um den Tiefsinn sowjetischer Papierarchitekten zu ergründen, sollte man Bulgakow gelesen haben, Daniil Charms oder Ilf & Petrow. In deren Romanen und Kurzgeschichten wimmelt es von grotesken Situationen, diabolischen Begegnungen, tiefschwarzem Humor. Ein Déjà-vu der guten alten Schauerromantik, nun aber losgelassen auf alle Ungereimtheiten der (Sowjet-)Moderne. Nicht zufällig huschen über die Blätter von Brodsky, Utkin & Co. immer wieder Gestalten wie aus „Meister und Margerita“.
Als Aufbegehrende gegen lähmende Stagnation, zugleich als Szenenbildner eines spezifisch russischen Welttheaters werden die Architekturpoeten in einschlägigen Galerien und Museen wohl geschätzt. Seit sie 1984 erstmals gemeinsam ausstellten, wird vor allem das Œuvre der Moskauer Gruppe weltweit herumgereicht. Leider haben einige nach dem Ende der Sowjetära der Verlockung nachgegeben, tatsächlich aus „papierenem Geiste“ real zu bauen. Was Stift und Pinsel an zauberischem Geist hervorbrachten, verführt jedoch im Fegefeuer von Investorenwünschen meist zu Provinzkitsch oder unfreiwilliger Satire. Diesen Abgesang teilen Papierarchitekten dann mit ihren Kollegen weltweit. Vom Alltag der Postmoderne im Westen reden wir ja heute auch nicht anders.
Zentrifugale Tendenzen: Tallin, Moskau, Nowosibirsk.
Tchoban Foundation, Museum für Architekturzeichnungen
Bis 18. Februar
Der Katalog kostet 27 Euro
Tchoban Foundation, Museum für Architekturzeichnungen
Bis 18. Februar
Der Katalog kostet 27 Euro
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