Thailändischer Avantgardist
Der in Europa eher unbekannte Sumet Jumsai ist einer der bedeutendsten Architekten Thailands. Seine vielfältige Bautätigkeit lässt sich als verdichtete Architekturgeschichte der letzten 40 Jahre lesen – in Bangkok und darüber hinaus. Ein Großteil seiner Arbeiten ist derzeit vom Abriss bedroht. Unsere Autoren trafen ihn in Bangkok, zeichnen die wichtigsten Stationen seines Schaffens nach und stellen Bauten vor
Text: Bartoli, Sandra, Berlin; Linden, Silvan, Berlin
Thailändischer Avantgardist
Der in Europa eher unbekannte Sumet Jumsai ist einer der bedeutendsten Architekten Thailands. Seine vielfältige Bautätigkeit lässt sich als verdichtete Architekturgeschichte der letzten 40 Jahre lesen – in Bangkok und darüber hinaus. Ein Großteil seiner Arbeiten ist derzeit vom Abriss bedroht. Unsere Autoren trafen ihn in Bangkok, zeichnen die wichtigsten Stationen seines Schaffens nach und stellen Bauten vor
Text: Bartoli, Sandra, Berlin; Linden, Silvan, Berlin
Wohnhaus Nach seinem Frühstück, mit Blick auf Bananenstauden, Ingwerpflanzen und blühenden Jasmin, der die Gräber der beiden unlängst verstorbenen Hunde der Familie bedeckt, überquert Sumet Jumsai die Dachterrasse des viergeschossigen Apartmenthauses. Er öffnet die diamantförmige Tür eines grünen, handsignierten Buckminster-Fuller-Dome, der seitlich auf der Terrasse platziert ist, betritt durch die niedrige Öffnung den stickig warmen Raum und steigt auf einer engen Wendeltreppe ins Büro hinab. Das Wohnhaus aus plastischen Beton-Fertigteilen in polychromer Farbgebung aus dem Jahr 1973, mit Penthouse, Büro und 18 Wohnungen mit Laubengangerschließung war, trotz des eher bescheidenen Zuschnitts, ein beliebter Wohnort des thailändischen und internationalen Jet-Set. Während es anfangs noch isoliert zwischen von Kanälen durch-zogenen Plantagen und Gärten mit traditionellen Holzhäusern stand, hat sich die Sukhumvit Road inzwischen – besonders seit dem Bau des Skytrain – zu einem Zentrum des Immobilienbooms entwickelt. Die Bauten der ersten Urbanisierungswellen der siebziger und achtziger Jahre wurden in kurzer Folge durch Wohnhochhäuser ersetzt. Im November 2014 wurde Jumsais Wohnhaus, das wir bei unserem ersten Besuch noch besichtigen konnten, abgerissen. Das Grundstück hatte Jumsais Vater in den Vierzigern im Tausch gegen die Verwertungsrechte an seinem Wörterbuch Thai-Deutsch-Thai bekommen. Ein befreundeter Investor wird es in Kürze nach Plänen von Sumets Sohn mit wesentlich höherer Dichte neu bebauen. Die Familie wird Wohnanteile im Gegenwert des Bodenpreises erhalten, und der Neubau soll ein Fragment des Vorgängerbaus auf der Straßenseite rekonstruieren.
Identität Jumsais Vater Manich Jumsai trat 1950 eine Stelle bei der UNESCO an, und die Familie des 11-jährigen Sumet zog nach Paris. Seine französischen Mitschüler konnten nicht nachvollziehen, woher er kam: Ein Land, das weder französische noch britische Kolonie sein sollte, kam in ihrer Welt nicht vor. Für Jumsai, der anschließend in Cambridge Architektur studierte, wurde die Kultur Siams Teil seiner Identität als Architekt. Sie übte einen prägenden Einfluss auf ihn aus, ebenso wie die europäische Nachkriegsmoderne.
Young Siam Turks Die Umbenennung des Königreichs Siam im Zuge des Staatsstreichs von 1932 in Thailand markierte nicht nur den Übergang zu einer konstitutionellen Monarchie, sondern auch die Implementierung eines ethnisch definierten Nationalstaats. Bis heute ist er die Grundlage der andauernden Konflikte mit zahlreichen Volksgruppen wie den Malay und den Khmer. In Cambridge gründet Jumsai 1962 mit zwei thailändischen Kommilitonen die „Young Siam Turks“ zur Wiederherstellung Siams. Wie Jumsai betont, eine Forderung, „zu ernst, um ernst gemeint zu sein“, für den progressiven Romantiker aber gleichwohl mehr als eine Übung in absurder Komik und der Pose des Revolutionärs.
Le Corbusier 1959 verlieh die University of Cambridge anlässlich der Berufung von Colin Rowe die Ehrendoktorwürde an Le Corbusier und Henry Moore. Während der feierlichen Parade durchs College positioniert sich Jumsai mit zwei Kommilitonen an Fenstern im Obergeschoss, wirft Konfetti und ruft „À bas l’Académie!“. Le Corbusier, der selten unberührt blieb, wenn er zitiert wurde, fertigte in einem seiner zahllosen Notizbücher eine Skizze des Vorfalls an. Jumsai, der selten eine Gelegenheit zur Eigenwerbung ungenutzt lässt, wird nach dessen Tod auf diese Zeichnung aufmerksam und verwendet sie in diversen Publikationen.
Colin Rowe In der Einzelbetreuung, jener „einzigartigen Form der Lehre in Cambridge und Oxford, wie sie sich andere Universitäten nicht leisten können“, begegnet Jumsai Colin Rowe. Dessen erste Lektion für den jungen Jumsai, der sich mehr für Jazz und Aktzeichnen als für europäische Architekturgeschichte begeistern kann, bestand darin, ihn zu ignorieren, Barockmusik aufzulegen und bei voller Lautstärke in der Küche ein Omelett für ihn zuzubereiten. Musik und Omelette bezeichnet Jumsai (mit
sicherem Instinkt für Pointen) heute als wichtigsten Moment seines Studiums.
sicherem Instinkt für Pointen) heute als wichtigsten Moment seines Studiums.
Denkmalpfleger Rowe gab ihm aber auch den Anstoß, sich mit asiatischer Architektur zu befassen; alles zu lesen, was er über die Kultur Siams finden kann. Es überrascht daher nicht, dass Jumsai mit seiner Rückkehr nach Thailand – und nachdem er zur Rückzahlung seines Stipendiums seinen Staatsdienst geleistet hatte – zu einem Vorkämpfer der Denkmalpflege wird. Ab Mitte der sechziger Jahre hatten nicht zuletzt die US-amerikanischen Investitionen im Zuge des Vietnam-Krieges einen radikalen Modernisierungsschub in Thailand verursacht, dem binnen kürzester Zeit ganze Stadtstrukturen zum Opfer fielen. Quasi im Alleingang beginnt Jumsai damit, historische Quartiere und Stadtbefestigungen zu kartieren und ini-tiiert öffentliche Kampagnen zum Schutz großer Ensemble. Und dies in einer Zeit, in der der Denkmalschutz bestenfalls für Einzelobjekte vorstellbar war und das Konzept des Ensembleschutzes, wie es heute etablierte Praxis der UNESCO ist, noch nicht existierte. 1970 veröffentlicht Jumsai „SEEN“, eine der wenigen fotografischen Dokumentationen siamesischer Stadtbefestigungen im Norden Thailands.
Industrielle Vorfertigung Mit der Rückkehr nach Bangkok beginnt Jumsai – wie viele seiner westlichen Kollegen – Bausysteme für die industrielle Vorfertigung zu entwickeln. Das Projekt eines faltbaren Hauses aus Gipswänden scheitert, ebenso ein Prototyp für Low-Cost-Housing. Eine Schule für Blinde und ein Wohnhaus in Bangkok werden hingegen mit eigens entwickelten Beton-Fertigteilen realisiert. In den Akten des thailändischen Geheimdienstes wurde Jumsai, der sich gegen den Vietnamkrieg und Missstände in Slums engagierte, in der Kategorie „pink“ geführt: Seine Sympathie für das „Rote“ Lager einerseits und die familiäre Nähe zum royalen Establishment andererseits lassen ihn als nicht systemgefährdend gelten.
Buckminster Fuller Vor Jumsais Büro befindet sich eine schreinartige Betonstele mit der Inschrift „Buckminster Fuller came to open this office on 6th June 1975“. Fuller war Patenonkel von Sumets Sohn Prisdha Jumsai. Der betreibt heute ein Architekturbüro mit dem Namen „Dymaxion“ – mit diesem Begriff bezeichnete Fuller einige seiner Erfindungen. Als Cambridge-Absolvent international gut vernetzt, war Jumsai Teil der „Bali Connection“. In der Nähe der antiken Stadt Ubud veranstaltete Fuller alle zwei Jahre ein Treffen von Wissenschaftlern, Künstlern und Querdenkern jeder Couleur, um sich ohne Agenda über zehn Tage hinweg auszutauschen. Auf Bali gewinnt Jumsai 1979 Fuller als Co-Autor für sein Projekt „Naga“. Darin soll seine in Cambridge begonnene Forschung zu Wasserstädten mit der These Fullers verbunden werden, wonach die Zivilisationsgeschichte der Menschheit in Ostasien im Kern die Geschichte einer aquatischen Kultur sei. Jumsai hat das Buch „Naga – The Cultural Origins in Siam and the West Pacific“ nach Fullers Tod 1983 allein fertiggestellt. Dessen These ließ sich mit Blick auf die seinerzeit praktisch vollständig wasserbasierte Infrastruktur der thailändischen Städte und Agrarlandschaften nachdrücklich untermauern.
Pyramide Neben dem bereits abgerissenen Wohnhaus ist heute möglicherweise ein weiteres wichtiges Werk vom Abriss bedroht: das 1969 errichtete Gebäude für die Verwaltung der Liegenschaften eines Teils der königlichen Familie. Es besteht aus einem zweigeschossigen Büroteil und einer corbusianischen Ortbeton-Pyramide, die als Tresor dient. Beide liegen in einem Seerosenteich umgegeben von einem Park, in dem auch der Palast der Schwester des Königs verborgen ist. Der angrenzende Siam Square, der sich in den letzten Jahrzehnten aus einer peripheren Lage zu einem hoch verdichteten Shopping-Quartier entwickelt hat, ist vom Park konsequent abgeschirmt; auch die Hochtrasse des Skytrain ist mit einer Sichtschutzwand versehen. Die Pläne zur Umgestaltung unterliegen der Geheimhaltung; wodurch die Pyramide ersetzt werden soll, ist nicht bekannt.
British Council Das Gebäude des ehemaligen British Council von 1970 ist eine virtuose Adaption der Formensprache Le Corbusiers, ein skulptural durchkomponierter Baukörper aus geometrischen Grundformen und einer tief gegliederten Fassade mit zylindrischen Fensterelementen und Wasserspeiern. Mit dem Auszug des British Council wurde das Gebäude vielfach unterteilt, von Werbepostern überdeckt, mit einer zusätzlichen Treppe durchschnitten und von haustechnischen Installationen überzogen. Die Umgebung zwischen dem Siam Square und dem Campus der Chulalongkorn-Universität ist noch von einer weitgehend kleinteiligen Bebauung aus den 70er Jahren geprägt, eine temporäre B-Lage in unmittelbarer Nachbarschaft zu den hochlukrativen Shopping-Centern. Hier scheint die Zukunft des Gebäudes mittelfristig gesichert; die Chulalongkorn-Universität sucht neue Mieter.
Den Roboter verdoppeln Das 20-geschossiges Gebäude der Bank of Asia von Sumet Jumsai ähnelt in seiner Gestalt einem riesenhaften Roboter. Der Sockel ist einem Raupenantrieb nachempfunden, die Fenster der Querseiten sind von geschosshohen Muttern aus Faserbeton umrahmt, die Vorstandsräume im antennenbesetzen Kopf blicken aus schläfrigen Augen auf den nahen Skytrain hinab. Das skurrile Post-sci-fi-Szenario wird noch dadurch verstärkt, dass der ursprünglich freistehende „Roboter“ mittlerweile von doppelt und dreifach höheren Gebäuden in den Maßstab eines abgenutzten Spielzeugs versetzt wurde. Der aktuelle Boom von Luxus-Appartment-Hochhäusern lässt die Bank derzeit den Abriss erwägen. Ein Gegenvorschlag von Jumsai liegt auf dem Tisch: Er sieht vor, hinter dem Robot-Gebäude einen zweiten, sehr viel größeren „Roboter“ zu bauen, um eine Art architektonische Ahnengalerie zu errichten.
Jumsai in Genf 1995 gewinnt Jumsai den 3. Preis im Wettbewerb zum Ausbau des UN-Areals am Place des Nations in Genf. Er wird innerhalb von Fuksas’ Masterplan mit dem Bau des Hochschulinstituts für internationale Studien beauftragt. Zum Ensemble sollen u.a. Einzelbauten von Perrault, Koolhaas und Eisenman gehören. Das Projekt stieß auf großen Widerstand und wurde nach einer Volksabstimmung gegen den Verlust von Parkflächen 1998 fallengelassen. In der sehr polemisch geführten öffentlichen Debatte empörte man sich nicht zuletzt über die Invasion ausländischer Architekten, noch dazu aus einem Dritte-Welt-Land. Eine Zeitung veröffentlichte eine Karikatur, die Jumsais Projekt als offene, Steuergelder verschluckende Tüte zeigt. Jumsai durfte nicht in der Schweiz bauen.
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