Urban Collage in Champigny
Text: Fischer, Ludger, Brüssel
Urban Collage in Champigny
Text: Fischer, Ludger, Brüssel
Der Architekt Edouard François hat sich der Pariser Vorstadt angenommen. Seinen großen Wohnblock setzte er aus drei verschiedenen Gebäudetypologien der dortigen Schlafquartiere zusammen. Die Stapelung wird von den Bewohnern nicht verstanden. Sie schätzen aber die Laubengänge und Terrassen auf der Rückseite. Der Bürgermeister der Gemeinde unterstützte das Projekt und ist glücklich, denn Champigny-sur-Marne wurde plötzlich zu einem Ausflugsziel.
Witzigkeit kennt kein Pardon. Jeder noch so fade Witz wird gemacht, auch wenn es ein architektonischer ist. Kann Architektur überhaupt witzig oder ironisch sein? Zuletzt versuchte sich die Postmoderne daran, mal mehr, mal weniger überzeugend. Der Effekt nutzte sich aber schnell ab. In Champigny-sur-Marne, 16 Kilometer östlich von Paris, baute der Architekt Edouard François eine „witzige“ Kombination aus ein paar Reihenhäusern, Appartementriegeln und Einfamilienhäuschen. Er stapelte dort alle dieses Haustypen scheinbar übereinander und versuchte den Eindruck zu erwecken, das sei zufällig geschehen oder sogar so „gewachsen“. Mit seiner „Urban Collage“ erntete er bei Architekturfreunden doch nur ein müdes Lächeln. Bei denen, die in diesen Häusern wohnen, nicht einmal das. Sie kriegen den Witz gar nicht mit, und das ist ihnen nicht zum Vorwurf zu machen.
Champigny-sur-Marne ist genau zwanzig RER-Minuten von Paris entfernt. Damit dürfen sich die Einwohner der näheren Umgebung der Hauptstadt zurechnen. In Frankreich trägt einem das Prestige ein. Weniger prestigeträchtig ist der Stadtteil Mordacs, der mit einem Stadtbus von Champigny-sur-Marne aus zu erreichen ist. Es gibt dort banale Häuser, hässliche Häuser und sehr hässliche Häuser. In den siebziger Jahren als Wohnstätte aus dem Boden gestampft, bemühen sich Stadt- und Provinzregierung seit 2006, den öden Flecken aufzuwerten. „Mordacs bouge“, die Trabantenstadt bewegt sich, oder besser gesagt, es soll sich etwas bewegen in den Bereichen Lebenswelt, Schulen, Sportstätten, Läden, Verkehrsanbindung, neue, bessere Wohnungen. Es scheint, als hätte man die Siedlung vierzig Jahre lang den Drogendealern überlassen, deren Kunden vom Charme des Städtchens in ihrer desperaten Lebenshaltung bestärkt wurden. Jetzt soll aber alles besser werden. Jetzt werden die Ärmel aufgekrempelt. Jetzt wird in Mordacs so gebaut, dass es viele Bewohner nur noch im Rausch ertragen können.
Architekten lernen, Ordnung zu schaffen. Unordnung ist den meisten ein Gräuel, sie bezeichnet die Abweichung vom Normalzustand. Bei der Urban Collage von Mordacs ist die Abweichung das Normale. Die Straßenfassaden der vermeintlichen Reihenhäuser sind mit Dachziegeln, mit Zink- und Kupferblech verkleidet, gerade so, als sei nach Gutdünken gebaut worden. Sie haben als drittes bzw. viertes Obergeschoss eine Pseudo-Mansarde, jeglichen Sinns entblößt, und die Fenster sind in den Fassaden so verteilt, dass man Willkür vermuten soll. Tatsächlich handelt es sich nicht um echte Reihenhäuser. Die Eingänge zu den hinter den Fassaden verborgenen Etagenwohnungen liegen nämlich nicht an der Straße. Vielmehr werden sie zusammen mit den Wohnungen der darüberliegenden Geschosse, die wie ein Appartementblock wirken sollen, über zentrale Treppenhäuser oder Laubengänge erschlossen. Die dreigeschossigen, betont horizontalen Riegel liegen leicht verrutscht über den scheinbaren Reihenhäusern. Auf den Appartementblocks wiederum stehen schlichte Einfamilienhäuschen mit flachen Satteldächern. Sie ragen jeweils mit einer ihrer Hausecken leicht über die Fassaden hinaus, als seien sie bei einem gewaltigen Unwetter durch Wassermassen dorthin befördert worden.
Man hatte Édouard François gebeten, etwas Schönheit ins Viertel zu bringen. Er lehnte dies ab. Er ist der Meinung, dass die Qualität einer Stadt nicht durch Harmonie bestimmt werde, sondern durch ihre Komplexität. Man könne und müsse deshalb große Sprünge von Baustilen und Bauhöhen in der architektonischen Sprache akzeptieren. Muss man sie aber deshalb künstlich springen lassen, die Stile, die Höhen, die Sprachen? Die aus einem Guss „gewachsene Stadt“ kann nur als Farce wirken. Edouard François, der bisher vor allem mit dem Hotel Fouquet’s Barrière, einem Projekt de luxe nahe der Champs d’Elysées für Aufsehen sorgte (Bauwelt 46.2006), hat in Bezug auf die Urban Collage in Champigny-sur-Marne Folgendes gesagt: „Ich kann nichts Schönes machen, weil es den Rest hässlich aussehen ließe. Deshalb habe ich entschieden, etwas sehr Hässliches zu machen, damit der Rest hübsch aussieht.“ Das ist der Versuch einer Rechtfertigung für jeglichen Murks und Mindersinn. Und Entsprechendes hat er entworfen.
Die Fassaden der 114 Wohnungen, die hier entstanden sind, lassen einen ratlos zurück. Ganz anders der Eindruck auf der rückwärtigen Seite. Dass dort jeder Wohnung eine große Terrasse in einer offenen Holzkonstruktion zugeordnet ist, versöhnt ein wenig mit der Collage. Die Terrassen sind durch Brücken miteinander verbunden. Teilweise erfolgt über sie die Erschließung der Wohnungen. Diese Freibereiche werden von den Bewohnern über alle Maßen geschätzt.
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