Reflexion auf den universellen Charakter der Kirche
In diesem Jahr beteiligt sich der Heilige Stuhl zum ersten Mal an der Architekturbiennale. Auf der Insel San Giorgio Maggiore mit der Basilika von Palladio und dem Freilufttheater Teatro Verde haben zehn Büros temporäre Kapellen errichtet.
Text: Jean Stock, Wolfgang, München
Reflexion auf den universellen Charakter der Kirche
In diesem Jahr beteiligt sich der Heilige Stuhl zum ersten Mal an der Architekturbiennale. Auf der Insel San Giorgio Maggiore mit der Basilika von Palladio und dem Freilufttheater Teatro Verde haben zehn Büros temporäre Kapellen errichtet.
Text: Jean Stock, Wolfgang, München
Seit einigen Jahren verstärkt der Heilige Stuhl seine Verbindungen zur zeitgenössischen Kul-tur. So fand im Vatikan bereits ein großes internationales Künstlertreffen statt. Außerdem war der Kirchenstaat 2013 und 2015 auf den Kunstbiennalen in Venedig mit eigenen Beiträgen vertreten. In diesem Jahr gibt es wieder eine Premiere: Angeregt von Kardinal Gianfranco Ravasi, dem Präsidenten des päpstlichen Rates für Kultur, nimmt der Vatikan erstmals an der Architekturbiennale teil.
Als Kurator lud der Architekturhistoriker und langjährige Venezianer Hochschullehrer Francesco Dal Co zehn Architekturbüros aus der ganzen Welt ein, temporäre Kapellen für die gegenüber den Giardini gelegene Insel San Giorgio Maggiore zu entwerfen.
Die kleine Insel, rund 500 Meter lang und bis zu320 Meter breit, ist in Venedig ein prominenter Ort. Beherrscht wird sie von zwei monumentalen Bauten nach Plänen von Andrea Palladio. Er hat-te zunächst das Klostergebäude der Benediktiner entworfen und dann die Basilika, die allerdings erst 1610, dreißig Jahre nach seinem Tod, vollendet wurde. Die Kirche und das benachbarte Kloster, das seit 1951 als Kultur- und Forschungszentrum genutzt wird, nehmen den nordwestlichen Bereich der Insel ein. Ihre Südhälfte hingegen, in deren Mitte das Teatro Verde liegt, ist ein weitgehend offenes Gelände. Wo es bewaldet ist und auf drei Seiten vom Was-ser umgeben, befindet sich der Bauplatz der verstreut angeordneten Kapellen.
Mit teilweise bombastischen Erläuterungen hatte Kardinal Ravasi das Projekt vorgestellt. So soll sich die Zahl der kleinen Sakralbauten „symbolisch“ auf die 10 Gebote beziehen. Große Worte bemühte auch Francesco Dal Co. Den auf zehn individuelle Orte verteilten „Vatikanischen Pavillon“ mit Architekten aus vier Kontinenten und mehreren Generationen interpretiert er als Reflexion auf den universellen, eben den „katholischen“ Charakter der Kirche. Seine Auswahl der Architekten begründet er mit deren Fähigkeit zu besonderen Ausdrucksformen und konstrukti-ver Experimentierlust. So soll der Besucher in der Abfolge der zehn Stätten eine „spirituelle Wallfahrt“ erleben. Als „Fingerzeig“ für das Vorhaben hat Dal Co die 1920 errichtete Kapelle von Gun-nar Asplund auf dem großen Waldfriedhof von Stockholm gedient: als Ort der Besinnung, Begegnung und Einkehr.
Vergleicht man diesen Anspruch mit den Entwürfen für San Giorgio Maggiore, ist das Ergebnis enttäuschend. Schon der Bezug auf Asplund kann nicht einleuchten. Was dessen Kapelle, ein kleines Meisterwerk des modernen Kirchenbaus, mit dem Biennale-Projekt zu tun hat, bleibt das Geheimnis von Dal Co – dass sie ebenfalls unter Bäumen steht, ist als Begründung zu wenig. Das wird man in einem separaten, von MAP Studio gestalteten Pavillon erkennen, der Asplunds Kapelle in Originalzeichnungen und mit einem Modell vorstellt. Falsch ist vor allem die Behauptung des Kurators, die venezianischen Kapellen hätten keine Vorläufer, sie seien allesamt neue Lösungen. So erinnert beispielsweise der Entwurf des New Yorker Architekten Andrew Berman, sein nach einer Seite hin geöffneter Schutzraum, stark an die Tiroler Nachtwallfahrtskapelle von Gerold Wiederin aus dem Jahr 1996. Ganz zu schweigen von dem international wohl überschätzten Terunobu Fujimori, der einen traditionellen Holzbau geliefert hat.
Friedhelm Mennekes, Jesuitenpater und Hochschullehrer für Kunstgeschichte, ist auch ein Kenner zeitgenössischer Architektur. Bei vielen Entwürfen schüttelt er nur den Kopf. Der Bautypus Kapelle sei zwar von jeher durch eine „offene Ikonographie“ geprägt, doch müsse eine solche Baulichkeit eine besondere, eine sakrale Atmosphäre vermitteln. Eben dies lassen die meisten Entwürfe vermissen – bei ihnen drängt sich der Eindruck auf, die Architekten hätten ihre Aufgabe als Chance für formale Spielereien verstanden. Der australische Architekt Sean Godsell etwa hat ein aufragendes Gebilde geschaffen, dessen Sockel wie ein Kiosk aufgeklappt wer-den kann. Javier Corvalán Espínola aus Paraguay türmt in Schräglage eine Spirale zwischen die Bäume und die Spanier Flores & Prats steuern ein ulkiges Häuschen mit Bullaugen bei. Schon näher am Thema ist Norman Foster, dessen feingliedrige Holzkonstruktion am Ende einen schönen Blick auf die Lagune eröffnet.
Wirklich überzeugend, und zwar architektonisch wie liturgisch, sind lediglich zwei Beiträge. Die junge, brasilianische Architektin Carla Juaçaba hat einen minimalistischen Entwurf gewagt, der zunächst verwundert. Doch bei genauerer Betrachtung erkennt man die Qualität ihrer offenen Kirche im Grünraum. Die äußerst reduzierte Konstruktion setzt sich vertikal aus dem Petrus-Kreuz und horizontal aus dem römischen Kreuz zusammen. Dieses Gerüst einer Kapelle ist tatsächlich innovativ. Den klaren Kontrast dazu hat Eduardo Souto de Moura entworfen: einen von hohen Mauern umgebenen Hof, der sich zu einemüberdachten Bereich hin absenkt – der „heilige Raum“ als Erdraum. Nur gut, dass diese beiden Lösungen in unmittelbarer Nachbarschaft
stehen.
stehen.
Weshalb Francesco Dal Co gerade diese zehn Teilnehmer für den Vatikanischen Pavillon ausgewählt hat, bleibt ein Rätsel. Übergangen hat er leider mehrere europäische Architekten, die seit 2000 sowohl in Skandinavien als auch im Alpenraum markante Kapellen in Holzbauweise ausgeführt haben: zum Beispiel Anssi Lassila und Vesa Oiva in Finnland sowie Bernardo Bader und Cukrowicz Nachbaur in Vorarlberg.
Unterstützt wurde der Bau der Kapellen von der italienischen Bauindustrie. Nach Auskunft des Kurators ist momentan unklar, was nach Abschluss der Biennale mit den Bauten geschieht.
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