Versagen in Saarbrücken
Erweiterungsbau für die Galerie der Gegenwart
Text: Schellin, Dietmar, Saarbrücken
Versagen in Saarbrücken
Erweiterungsbau für die Galerie der Gegenwart
Text: Schellin, Dietmar, Saarbrücken
Man reibt sich die Augen, wenn man aus dem Rohbau des so genannten Vierten Pavillons tritt. Dieser Klotz soll einmal die neue „Galerie der Gegenwart“ beherbergen, mit der die Stiftung Saarländischer Kulturbesitz ihre Neuordnung der saarländischen Museumslandschaft krönen wollte?
Nicht wegen des Betonstaubs reibt man sich die Augen. So viel Dilettantismus auf einer einzigen Baustelle, so viele kalkulierte Rechtsverstöße! Die wichtigste Kulturinstitution im Saarland hat sich den Namen ramponiert. Wie ein zur Reparatur aufgeschraubtes Gerät liegt die politische Kultur des Saarlandes offen.
345 Büros hatten sich am Wettbewerb um den Erweiterungsbau der Modernen Galerie beteiligt. Das Baufeld: ein knappes Rasenstück vor der elegant in die Saaraue gestaffelten Reihe von in edlen, hellen Nagelfluh gekleideten Kuben. Viel zu knapp in Relation zum geforderten Volumen, fanden viele Teilnehmer, und fragten nach, ob dieses Baufeld zwingend einzuhalten sei. Es sei „zwingend einzuhalten“, antwortete damals der Auslober, Vorstand und Bauherr Ralph Melcher. Den ersten Preis gewann ein Entwurf, der das Baufeld kühn überschritt (Bauwelt 13.2008). Die Vergabekammer hat ihn später „wegen schwerer Verfahrensfehler“ kassiert. Statt des ersten kam der fünfte Preis zur Ausführung, der Entwurf der Kölner twoo Architekten.
Hauptsach, gudd gess?
Schwere Verfahrensfehler, das ist der reißfeste Faden der sich durch diese Geschichte zieht. Melcher ist inzwischen beurlaubt. Nachdem der Rechnungshof die Stiftung geprüft hatte, erhob der Staatsanwalt Anklage. Spesenrechnungen aus der Edelgastronomie ließen die causa zunächst wie einen Fall Melcher aussehen. Bis klar wurde, dass das Ausgabeverhalten symptomatisch für das corporate behavior der Stiftung war, und das trägt neo-absolutistische Züge. An das auch für die Landeskulturstiftung geltende Landesreisekostengesetz fühlte der Vorstand sich nicht gebunden. Dem Rechnungshof attestierte Melcher mathematische und kulturelle Inkompetenz: „Ein Museum ist kein Wirtschaftsbetrieb.“ Freilich nicht. Aber muss der Steuerzahler für die Flasche Wein à 150 Euro und an die 80 „Arbeitsessen“ mit dem „Projektsteuerer“ aufkommen?
Die Stiftung, nein, hier muss man genau sein, der langjährige Kultusminister und Kurator Jürgen Schreier (CDU) hat für die Bauaufgaben zur Neuordnung der Museen einen „Projektsteuerer“ bestellt. Gerd Marx, Innenarchitekt, nicht museums-erfahren, dafür aber weit über marktüblichen Sätzen bezahlt. Nun hat aber beim Vierten Pavillon offenbar jahrelang niemand die Kosten im Griff gehabt, niemand Verträge und Termine wirksam kontrolliert und dokumentiert, niemand die Pflichten eines Projektsteuerers wahrgenommen. Marx gilt als alter Spezl von Schreier, der die Honorare durchgesetzt, das Kuratorium besetzt und an straffer Leine in den Augiasstall geführt hat. Jürgen Schreier ist der Pate. Schwerer Verfahrensfehler hier: ein Verstoß gegen das Vergaberecht der Europäischen Union.
Was sich jetzt hinter dem Bauzaun auftürmt, entspricht dem, wovor Architekten und Bürger gewarnt hatten: ein gesichtsloser monströser Kubus, der das vorzügliche Sechziger-Jahre-Ensemble zum Hinterhaus degradiert. Mit Händen zu greifen, dass die Landeshauptstadt Saarbrücken hier ihre Planungshoheit nicht wahrgenommen hat. Und der Denkmalschutz? Der Leiter des Landesdenkmalamtes Josef Baulig war Mitglied der Jury, statt sie als Träger öffentlicher Belange lediglich zu beraten und das Denkmal zu verteidigen, wie sein Amt es erfordert hätte. Alles auf Linie.
Der Rundgang durch den Rohbau mit Meinrad Maria Grewenig gerät zum Schock. Der Generaldirektor der Alten Völklinger Hütte, jetzt Retter in der Not, inszeniert seine Auftritte gern. Hier muss er nur zeigen und aufzählen. Für Hochwasser ist ein Dammbalkensystem vorgesehen, aber kein Ort, es zu lagern, keine Pumpen für eine Leckage: dringender Handlungsbedarf. Brandschutz: wasserführende Leitungen in den Wänden widersprechen der Museumsnutzung. Räumlichkeiten für die Energieerzeugung: ungeklärt. Kunstanlieferung, Besucherführung, Ticketing, Aufzug für Gehandicapte – die Liste ist sieben Seiten lang. Die hinzugezogenen Controller von WPW Ingenieure sehen „umfangreichen Überarbeitungs- und Änderungsbedarf“. Besonders bei der Fassade: „Die ursprünglich vorgesehene Glasfassade wurde vollständig geändert. Die jetzt bemusterte Fassade entspricht nicht den Anmutungen einer Museumsfassade. Das Erscheinungsbild muss nachhaltig verbessert werden.“ Die Kosten waren anfangs mit 9,5 Millionen Euro veranschlagt. Jetzt ist von über 30 Millionen die Rede. Die Architekten zogen sich bereits im Februar zurück.
Ein Wettbewerb für eine Million Euro, in den Sand gesetzt. Ein überbezahlter, als Bauherr fehlbesetzter Vorstand. Ein Projektsteuerer, der gar keiner ist. Ein Entwurf, der kein Museum des 21. Jahrhunderts verspricht. Ein Kurator Karl Rauber, Chef der Staatskanzlei, der den Rechnungshof abkanzelt, demontiert, persönliche Angriffe inklusive. Die politische Kultur der Regierung Peter Müller liegt offen zu Tage. Spezlwirtschaft? Neoabsolutismus? Beteiligte benutzen das Wort „Mafia“. Tote gab es keine, aber die Missachtung von Recht und Gesetz, von erprobten und vorgeschriebenen Verfahren lässt sich nicht von der Hand weisen. Warnende Stimmen auch aus dem Landesdenkmalrat wie aus dem Beirat des Kuratoriums wurden überhört oder verhöhnt. Das Kuratorium hat in straff geführten Sitzungen die Vorlagen von Kurator und Minister brav abgenickt. Fragen, Diskussionen, Meinungen: unerwünscht.
„Umfangreicher Überarbeitungs- und Änderungsbedarf“ besteht also nicht nur am Bau, sondern dringender noch bei der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz. Stephan Toscani, Minister für Inneres, Europa und jetzt auch Kultur im Kabinett Kramp-Karrenbauer, weiß, was er vor sich hat. Eine umfassende Neuaufstellung der Stiftung und des Kuratoriums. Eine Kommission sucht derzeit Fehler und Fehlerquellen. Nicht mehr gegen, sondern mit dem Landesrechnungshof. Ein neues Stiftungsgesetz ist in Arbeit.
0 Kommentare