Bauwelt

Weiterbau der Fachwerkstadt

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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Foto: Burkhard Klapp

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Weiterbau der Fachwerkstadt

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Der Auftakt der Fachwerktriennale 2012 erfolgte Mitte April in Hannoversch Münden. Die Stadt am Zusammenfluss von Werra und Fulda will in diesem Jahr die Frage aufwerfen, wie sich die Zentren der Fachwerkstädte angemessen ergänzen lassen, wenn es gilt, alte Substanz zu erneuern und Lücken zu schließen. Denn vier Jahrzehnte Stadtsanierung haben eine Reihe von Beispielen hervorgebracht, die den Geist ihrer je­­wei­ligen Entstehungszeit anschaulich werden lassen.
Dass die Fachwerktriennale als Projekt der Nationalen Stadtentwicklungspolitik fortgesetzt wird, stand am Ende der ersten Veranstaltungsreihe dieser Art fest (Bauwelt 47.2009). Die Probleme, denen die rund 130 im Verein „Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte“ zusammengeschlossenen Orte – von Stade an der Elbe bis Meersburg am Bodensee – gegenüberstehen, sind in den letzten drei Jahren auch nicht geringer geworden – der Nachholbedarf sei vielmehr auf allen Ebenen groß, konstatierte Manfred Gerner, gelernter Zimmermann, Architekt, Denkmalpfleger und geschäftsführender Vorstand der Arbeitsgemeinschaft, zum Auftakt der Fachwerktriennale 2012 in Hannoversch Münden.
Die gelassene Nüchternheit des Vortragenden stand in denkbar größtem Kontrast zum Inhalt seiner Ausführungen. Gerner zeichnete eine düstere Zukunft für die historisch wertvollen Altstädte. Für einige werde allein schon der demographische Wandel in den nächsten Jahrzehnten die Überlebensfrage stellen – etwa, wenn die zu erwartende Halbierung der Einwohnerzahl mit einem immer weiter steigenden Altersdurchschnitt der Restbevölkerung zusammenfalle. Hinzu kämen die steigenden technischen Ansprüche an die gebaute Welt, die sich aus den ehrgeizigen Zielen der Klimapolitik ableiten lassen und die, so Gerner, dazu führen könnten, dass künftig nicht mehr Architekten, sondern Maschinenbauer für die Gebäudeplanung verantwortlich zeichneten. Die räumlichen und sozialen Verwerfungen, die sich aus der Globalisierung der Ökonomie ergäben, raubten darüber hinaus schon heute mancher Stadt ihre wirtschaftliche Grundlage. Deshalb sei die Zeit gekommen, die Planungspraxis und Förderpolitik in Deutschland grundsätzlich zu überprüfen: So habe sich etwa die Städtebauförderung seit den siebziger Jahren als nicht nachhaltig erwiesen und im Grunde nur neue Probleme geschaffen – die Sanierungsleistungen von vor dreißig Jahren seien oft die Problemfelder von heute.
Spaziert man durchs Zentrum von Hann. Münden, werden diese zumindest nicht auf den ersten Blick offenbar. Anders als andere Orte in der mitunter etwas randlagig wahrgenommenen Mitte Deutschlands (Heft 31.2010) wirkt die 25.000-Einwohner-Stadt am Zusammenfluss von Werra und Fulda auf den Besucher freundlich: Leerstehende Ladenlokale sind so gut wie keine zu entdecken, auch die Dichte an Imbissen, Handy- und Ein-Euro-Shops ist gering, stattdessen prägen inhabergeführte Geschäfte die Straßen. Und auch die in anderen Städten der Region vielfach anzutreffenden lieblosen Modernisierungen sind in der dicht bebauten Altstadt von Hann. Münden nur als Ausnahmefälle zu finden – die Eigentümer scheinen sich mit der historischen Substanz zu identifizieren.
Stimmungswandel in der Altstadt
Die Verantwortlichen von heute sind die Jugendlichen von gestern. Wie gering deren Neigung zur alten Stadt einst war, hat Hans-Günther Burkhardt am eigenen Leib erfahren. Als Einstimmung auf den nachmittäglichen Teil der Veranstaltung schilderte der Hamburger Architekt, der die Altstadtsanierung in Hann. Münden viele Jahre begleitet hat, wie er Ende der sechziger Jahre in die Stadt kam und staunend feststellte, dass die ihm an der Universität Hannover gestellte Diplom-Aufgabe – der Entwurf eines quartiergroßen Kirchenzentrums – mitnichten für eine Brachfläche vorgesehen war, sondern den Abriss eines ganzen Altstadtviertels vorausgesetzt hätte. Die jüngeren Bürger der Stadt hätten damit aber gar kein Problem gehabt, so Burkhardts überraschende Erfahrung. Als Ergebnis einer Befragung, an der er als junger Architekt ein paar Jahre später mitarbeitete, charakterisierten diese ihre Heimat als düster und eng, baufällig und unzeitgemäß. Die Analyse der Neuen Heimat, der zufolge im Zuge der Stadtsanierung zwei Drittel von Hann. Mündens Kern abzureißen seien, wäre mithin ohne größeren Widerstand durchführbar gewesen: Stadt­sanierung=Flächensanierung. Rund 5000 Bürger lebten damals im Zentrum, überwiegend Mieter, sozial eher schwach; wer immer es sich leisten konnte, wohnte im Eigenheim. Eine große Aufgabe sei es also gewesen, die Altstadt als Wohnort wieder für eine breitere gesellschaftliche Schicht akzeptabel zu machen, neues Interesse für die alten Häuser zu wecken, so Burkhardt. Ob das gelungen ist, lässt sich allein mit einem Rundgang durchs Zentrum nicht erkennen. Auffälligen Leerstand in den Obergeschossen der alten Gebäude gibt es nicht, die Straßen sind bevölkert von Älteren wie Jüngeren, von finanziell augenscheinlich besser wie schlechter Gestellten. Zwar hat sich die Einwohnerzahl in der Altstadt seit 1970 halbiert – aber das muss nicht zwangsläufig eine schlechte Nachricht sein: Möglich wäre es, dass die Wohnqualität in dieser Zeit mehr und mehr gestiegen ist. Die Attraktivität der Innenstadt als Wohnort wachse von Jahr zu Jahr, bestätigt Bürgermeister Burhenne den auch hier spürbaren Trend „Zurück in die Stadt“.
Die 27 Millionen Euro, die in den vier seit 1970 im Bereich der Altstadt ausgewiesenen Sanierungsgebieten investiert wurden, zeigen also Wirkung. Doch wie geht es weiter? Der bislang gangbare Weg der Sanierung scheint zu Ende, das suggerieren schon die klammen kommunalen Haushalte. Manfred Gerner sieht jedoch Handlungsbedarf. Um die Städte bewohnt zu halten, sei es unumgänglich, Blockränder aufzureißen und verbaute Höfe zu Spiel- und Erholungsflächen umzugestalten; der bislang vorwiegend passiv erduldete Tagesbesucher-Tourismus sei endlich als lohnendes Ziel der örtlichen Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur zu erkennen; Unterhaltung und Vermarktung von Fachwerkhäusern gehörten gefördert und, ja, die kommunalen Haushalte müssten so ausgestattet werden, dass die Städte zumindest wieder Lenkungs- und Sanierungsaufgaben übernehmen können.
Diese Anregungen – und noch weitere – sollen zum Ende der Triennale als „Mündener Agenda“ veröffentlicht werden (Termine: www.fachwerktriennale.de). Unter den Jüngeren scheint der Bewusstseinswandel bereits vollzogen. Wenn es heute um Neubauten in der Altstadt gehe, fragten die Heranwachsenden, so hat Hans-Günther Burkhardt festgestellt, ob sich die moderne Architektur denn nicht ein bisschen stärker anpassen könne. 

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