Bauwelt

Werner Wirsing 1919-2017

Bis in sein hohes Alter hinein war er neugierig, streitbar und voller Pläne: Werner Wirsing, der nun nach langer und schwerer Krankheit am 29. Juli mit 98 Jahren in München gestorben ist.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

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    2009 hat Werner Wirsing zusammen mit bogevischs buero das in die Jahre gekommene ehemalige Frauendorf auf dem Münchner Olympiagelände noch einmal gebaut. Das Foto aus dem Jahr 2007 zeigt ein Musterhaus der neuen, kleineren Wohnwürfel neben den Altbauten.
    Foto: Jens Masmann

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    2009 hat Werner Wirsing zusammen mit bogevischs buero das in die Jahre gekommene ehemalige Frauendorf auf dem Münchner Olympiagelände noch einmal gebaut. Das Foto aus dem Jahr 2007 zeigt ein Musterhaus der neuen, kleineren Wohnwürfel neben den Altbauten.

    Foto: Jens Masmann

Werner Wirsing 1919-2017

Bis in sein hohes Alter hinein war er neugierig, streitbar und voller Pläne: Werner Wirsing, der nun nach langer und schwerer Krankheit am 29. Juli mit 98 Jahren in München gestorben ist.

Text: Stock, Wolfgang Jean, München

Seine vielen Freunde werden sich gern an ihn erinnern, vor allem an die Begegnungen im hellen Wohnraum seines bis heute faszinierend modernen Hauses aus dem Jahr 1957 im Stadtteil Forstenried, das er für Familie und Büro gebaut hatte. Ganz präzis beim Erinnern von Daten, berichtete er von seinen Prägungen: wie sehr ihn als 12-jäh­rigen Schüler die Stuttgarter Weißenhofsiedlung beeindruckt habe oder von seinem Glück, dass er während der Nazizeit keinen pädagogischen Barbaren ausgesetzt gewesen sei, oder von seinem nächsten Glück, dass er, aus dem Krieg unversehrt heimgekehrt, als „verspäteter Student“ die Architektur zu seinem Lebensthema machen konnte.
Werner Wirsing war unter den bayerischen Architekten seiner Generation die große Ausnahme: als Baumeister wie als Lehrer, als Vermittler wie als mutiger Citoyen. Bei keinem Zweiten deckten sich derart glaubwürdig Anspruch und Aktivität. Gern verwies er auf seine frühen Vorbilder, allesamt moderne Architekten der „zweiten Generation“ – auf Sep Ruf mit seinen Wohnhäusern, auf Roland Rainers verdichtete Flachbauten, auf die Hochschule für Gestaltung in Ulm von Max Bill (an die er später als Dozent für „industrielles Bauen“ berufen wurde). Noch vor seinem Diplom trat Wirsing selber mit einem Pionierentwurf hervor, mit der nach 1948 teilweise von den Bewohnern errichteten „Wohnheimsiedlung für Jungarbeiter und Studenten am Massmannplatz“ in München, die zurecht unter Denkmalschutz steht.
Bauten für studentisches Wohnen ziehen sich wie ein roter Faden durch Wirsings Werk. Dabei verfolgte er auf unterschiedliche Weise das Ziel, „notwendige Individualität und wünschenswerte Gemeinschaft“ in Einklang zu bringen. Den Höhepunkt in seinem Werk bildete das 1972 vollendete Frauendorf auf dem Münchner Olympia­gelände mit nicht weniger als 800 Exemplaren eines „Wohn-Schlaf-Studier-Würfels“, das danach als Studentendorf diente. Und 2009, immerhin schon 90 Jahre alt, verwirklichte Wirsing nach dem Abriss der altersschwachen Bauten mit den jungen Münchner Kollegen von bogevischs buero die zweite Generation dieser Würfel – etwas kleiner in der Kubatur, aber ergänzt um zusätzliche 250 Einheiten. Ein weiterer Schwerpunkt in seinem Werk waren Bauten für das Bayerische Jugendsozialwerk, darunter mehrere Lehrlingswohnheime. Dass Wirsing immer bestrebt war, Gehäuse für ein gutes Leben zu entwerfen, bezeugen auch seine sensibel eingefügten Bauten auf dem Lande, etwa das zeit­­­-los schöne Wohnhaus für eine Bildhauer-Familie auf einem Hügel östlich von München.
Deshalb nahm man es Werner Wirsing ab, wenn er von „sozialer Baukultur“ sprach. Während andere Architekten verzierte Tortenstücke kultivierten, handelte es sich bei seinen Bauten um nahrhaftes Schwarzbrot. Sie sind in schlichten Formen und mit einfachen Materialien für den Gebrauch entworfen, bis zu den Details hin so menschenfreundlich, dass sie einen eigenen Charme haben. Vielfach ausgezeichnet, unter anderem 1989 mit dem Architekturpreis der Stadt München und 2007 mit einem der ersten baye­rischen Staatspreise für Architektur, war Wirsing viele Jahre lang auch in zahlreichen Gremien im Freistaat tätig, in der Architektenkammer und im BDA wie im Werkbund. Aber er war alles andere als ein Funktionär, sondern ein Förderer und Fordernder. Seine Haltung war sozialdemokratisch – kulturell verstanden, nicht parteipolitisch. Auch in seinen Ämtern ging es ihm darum, aus Bayern den „Kulturstaat“ zu machen, wie er in der Verfassung steht.
Fakten
Architekten Wirsing, Werner (1919-2017)
aus Bauwelt 18.2017
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