Zukunft Energiewende
Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz, die zurzeit in Paris tagt, hatten wir am 12. und 13. November zum Bauwelt-Kongress nach Berlin eingeladen. Architekten und Stadtplaner diskutierten im Kino International über den Beitrag, den sie zum Gelingen der Energiewende leisten können
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Zukunft Energiewende
Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz, die zurzeit in Paris tagt, hatten wir am 12. und 13. November zum Bauwelt-Kongress nach Berlin eingeladen. Architekten und Stadtplaner diskutierten im Kino International über den Beitrag, den sie zum Gelingen der Energiewende leisten können
Text: Friedrich, Jan, Berlin
Wer ein Dutzend Referenten zu einem eineinhalbtägigen Kongress einlädt, hat natürlich eine Dramaturgie im Sinn. Doch man kann nie wissen, ob die Vortragenden die ihnen zugedachten Standpunkte tatsächlich besetzen. Beim diesjährigen Bauwelt-Kongress, den Boris Schade-Bünsow, Chefredakteur der Bauwelt, und Kaye Geipel, stellvertretender Chefredakteur, moderierten, hat das funktioniert: Die mögliche Breite der Antworten auf unsere Frage „Wie radikal müssen Architektur und Städtebau sich ändern, damit die Energiewende erfolgreich ist?“ spannte sich bereits zwischen zwei Vorträgen des Eröffnungsabends auf.
Aus Sicht des Zukunftsforschers Matthias Horx muss sich vor allem in den Köpfen eine radikale Veränderung vollziehen. Zu sehr beschäftigten wir uns mit Problemen – statt über Lösungen nachzudenken und statt Entwicklungen, die längst eingesetzt haben, als positiv zu erkennen, zum Beispiel die fortwährende Verstädterung des Planeten. Energieverbrauch, Verkehrsströme etc. seien schließlich nur in dichten und gemischten Städten zu bewältigen. Als gescheitert betrachtet Horx die „grüne Ökologie“. Die sei geprägt von Schuldgefühlen des Menschen gegenüber der Umwelt, fuße auf der Idee der Knappheit von Ressourcen und Energie und fordere folglich den Verzicht. So kämen wir aber keinen Schritt mehr weiter. Horx propagiert eine neue „blaue Ökologie“, einen „Ökomodernismus“, der auf der Vorstellung basiert, Ressourcen und Energie seien prinzipiell unendlich, der den Menschen als Teil der Natur, nicht als deren Feind begreife und nach Möglichkeiten statt nach Hinderungsgründen suche.
Ziemlich weit weg von der Utopie einer „blauen Ökologie“ scheint jene Welt zu sein, die Liam Young, Architekt, Forscher und Dokumentarist aus London, auf die Leinwand des Berliner Kino International projizierte. In einer ungewöhnlichen, bisweilen verstörenden Mischung aus Video- und Musikperformance und Lesung führte er die rund 500 Kongressbesucher durch eine schöne neue Welt des Digitalen, in der die Virtualität die Realität längst zu überschreiben begonnen hat. Young spekuliert über die Zukunft, indem er Tendenzen, die er beobachtet, zuspitzt: eine virtuelle Insel vor der kalifornischen Küste, die nur bei Google Earth zu finden ist, jedes „Foto“ dieser Insel ist ein Rendering, jeder „Film“ eine Animation; ein Start-up in Fernost, bei dem man Goldfische bestellen kann, die aus der DNA des Kunden geklont werden. Youngs Reise durch die zukünftige Virtualität endet in der höchst realen Gegenwart: in der Inneren Mongolei, wo der Abbau Seltener Erden (unabdingbar für Smartphones, LED-Leuchten, Elektromotoren etc.) Kraterlandschaften hinterlässt, und an den gigantischen Lithiumfeldern in Bolivien (Lithium benötigt man für leistungsfähige Batterien). Die gesamte Produktionskette vor Augen, meint Liam Young, müsse man ehrlicherweise zugeben: „So etwas wie grüne Energie gibt es nicht.“
Was bedeuten diese beiden Positionen für die Arbeit von praktizierenden Architekten und Städtebauern, die das weitere Kongress-Programm bestritten? Es ist der Job von Planern, Lösungen zu entwickeln, in die „Hinderungsgründe“-Falle, die Horx als Gefahr für den Fortschritt sieht, können sie im Grunde also gar nicht tappen. Wohl aber können, ja müssen sie bei aller Lösungsorientierung die „dunkle Seite“ der Technologie, die Young beschreibt, im Kopf behalten.
Der italienische Architekt Carlo Ratti erforscht am MIT in Chicago alternative Heiz- und Kühlkonzepte und macht sich dafür Daten zu Nutze, die jeder unwillkürlich übermittelt, der mit einem Smartphone unterwegs ist. So müsste es doch möglich sein, statt einen Raum zu beheizen oder zu kühlen, gezielt die Personen, die sich im Raum befinden, mit Wärme bzw. Kälte zu „beschießen“ – nach dem Motto: „Dein eigenes Klima folgt dir.“ Experimentiert hat Ratti mit diesem Prinzip auf der letzten Architekturbiennale in Venedig. Ganz so weit konnte man beim „Aktiv-Stadthaus“, das HHS aus Kassel für die Wohnbaugesellschaft ABG in Frankfurt am Main gebaut haben, noch nicht gehen. Dort werden selbstverständlich die Räume beheizt. Allerdings erzeugen PV-Module auf dem Dach und in der Fassade den kompletten Strom, den das achtgeschossige Mietshaus benötigt. Frank Junker von der ABG und Andreas Wiege von HHS stellten das Projekt und die juristischen Fallstricke bei der Realisierung vor. Weil es in Deutschland nicht zulässig ist, einem Mieter vorzuschreiben, woher er seinen Strom bezieht, schenkt die ABG den Aktiv-Stadthaus-Mietern den selbstproduzierten Strom; er ist mit der Mietzahlung abgegolten.
Matthias Sauerbruch hat nach all den Jahren, in denen er mit Sauerbruch Hutton Architekten technisch hochgerüstete, energieeffiziente Häuser baute, ein kritisches Verhältnis zur Technik entwickelt. Sie sei ein leistungsfähiger, aber unsicherer Partner. Er plädiert für eine stark vereinfachte Klimatechnik und die Reduktion der Komfortansprüche. Die Aufgabe des Architekten sieht er darin, diese Reduktion durch größere architektonische Qualität aufzuwiegen, den „Luxus des Verzichts“ zu zelebrieren. Christoph Ingenhoven baut seit Jahren „supergrüne“ Gebäude. Eine Reduktion der Technik ist sein Anliegen nicht, vielleicht auch deshalb, weil er häufig in extremen Klimata plant und baut, etwa in Singapur. Ingenhoven stellte ein Projekt ganz im Sinne der von Horx angemahnten „blauen Ökologie“ vor: Bei seinem erstplatzierten Wettbewerbsentwurf für das neue Hauptquartier von Google wollte er versuchen, „ein Haus zu planen, das alle Probleme, die es verursacht, am Ort selbst auch wieder löst.“
Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter konnte sich für all diese klimagerechten Lösungen aus Architektenhand richtig begeistern. Aber: Es seien eben Einzellösungen, die sich leider nicht auf den Stadtmaßstab skalieren ließen; eine ganze Stadt voller Aktiv-Häuser werde es so schnell nicht geben. Auch Elisabeth Merk, Münchner Stadtbaurätin, mahnte Strategien an, mit denen man die Vielzahl erfolgreicher Pilotprojekte in die Breite tragen kann, auf die Ebene des Quartiers. Viele derartige Versuche krankten bislang daran, dass man viel zu viel auf einmal wolle und sich verzettele. „Was wir brauchen, ist mehr Prägnanz“, so Merk.
Muss der Stadtplaner, um im Sinne der Energiewende erfolgreich zu sein, also tatsächlich vorrangig alles daran setzen, dass unsere Städte dichter und gemischter werden? Der niederländische Stadtplaner Kees Christiaanse mahnte, bei allen Vorteilen der Zentren das Potenzial der Zwischenstädte nicht zu vergessen, in denen auch in Zukunft viele Menschen leben. Christiaanse präzisierte auch einen Aspekt, der in der einen oder anderen Weise in fast allen Beiträgen aufleuchtete: Dass die Arbeit des Planers heute nicht mehr erfolgreich sein kann, wenn er „nur“ einen Entwurf macht – es ist notwendig, die Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse gleich mit zu entwerfen. Kjetil Thorsen, Mitgründer des Osloer Büros Snøhetta, berichtete, dass bei ihnen am Beginn eines jeden Designprozesses ein großer Workshop mit wirklich allen Projektbeteiligten stehen würde; das seien oft 50 bis 60 Leute. Tina Saaby Madsen, die Stadtarchitektin von Kopenhagen, deren Verwaltung es gelang, die dänische Hauptstadt zu der Radfahrerstadt zu machen, versucht, die Kopenhagener mitzunehmen, indem ihre Mitarbeiter, die mit Projekten in den Quartieren betraut sind, nicht im Büro im Rathaus sitzen, sondern temporäre Büros vor Ort beziehen – als Anlaufstelle für die Anwohner. Madsen stellte auch klar, dass Planung ohne Rückendeckung der Politik wenig ausrichten kann: „Man braucht eine Vision, die größer ist als der Masterplan.“
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