Bauwelt

„Zusehen, wie nach einem Wettbewerb etwas Gutes entsteht“

Interview mit Kenneth Frampton

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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Kenneth Frampton am 14. November am KIT, im Büro von Ludwig Wappner
Foto: Kaye Geipel

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Kenneth Frampton am 14. November am KIT, im Büro von Ludwig Wappner

Foto: Kaye Geipel


„Zusehen, wie nach einem Wettbewerb etwas Gutes entsteht“

Interview mit Kenneth Frampton

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Der 82-jährige britisch-amerikanische Architekturhistoriker zur städtebaulichen Rolle der Olympischen Spiele, zu den Metamorphosen seines Standardwerks „Modern Architecture“ und zum Sinn von Architekurpreisen
Ein kalter Novembermorgen in Karlsruhe. Kenneth Frampton ist in die badische Stadt gekommen, weil er am Abend den Schelling-Preis 2012 für Architekturtheorie verliehen bekommen wird. Der 82-jährige ist nach wie vor unermüdlich unterwegs, hat in den vorangegangenen Wochen am IIT in Chicago über die Probleme der Megalopolis gestritten und in New York über die Krise der spanischen Architektur diskutiert. Am nächsten Tag wird er an der ETH Zürich einen Vortrag halten. Frampton schreibt konzentriert, indem er Gedanken wie Ellipsen nebeneinander ausbreitet. Für Studenten, so meint er, sei sein Hauptwerk „Modern Architecture“ deshalb nicht immer einfach zu verstehen: „Da ist kein Satz zu viel.“ Frampton blickt mich bei den Fragen direkt an, bei den Antworten horcht er in sich hinein. Wir sprechen zunächst über die Themen der beiden zurückliegenden Hefte der Stadtbauwelt, über die Funktion der Olympischen Spiele in London und über die Verdichtungstendenzen in Groß­städten wie München.
Kenneth Frampton | Was ich hier sehe – solche Analysen stadträumlicher Strukturen, die schöne Struktur der Studentenhäuser des Olympischen Dorfs von München – und die Diskussion der Fragen nach der Bedeutung von Verdichtung sind im amerikanischen Kontext ... wie soll ich sagen, solche Diskurse über das urbane Gewebe sind im amerikanischen Kontext nicht sehr präsent. Es mag sich seltsam anhören. Ich bin geradezu aufgeregt, wenn ich mir diese beiden Hefte der Bauwelt ansehe. Es gibt ja auch gute Städte oder Stadträume in Amerika, Pittsburgh, Boston, Cambridge, New Haven... Aber der Diskurs über die städtebauliche Entwicklung ist schwach. Es gibt bloß so eine Art lustiges Schweigen

Aber an den Universitäten gehört der Städtebau zum Pflichtprogramm? An der Columbia, an der Sie unterrichten, gibt es zum Beispiel das Urban Design Lab.

Ja, und Richard Plunz leistet dort eine außergewöhnliche Arbeit. Aber sehen Sie: Vielleicht gab es diesen Trend in Deutschland auch, der in den sechziger Jahren mit dieser tiefen Spaltung an den Hochschulen zwischen Städtebau und Stadtplanung (urban design und city planning) begann. Planung hatte immer zu tun mit Flächennutzung, Regulierun­-gen und Verkehr, war aber mehr oder weniger indifferent gegenüber der gebauten Stadt. Städtebau war näher an der Stadtwirklichkeit, bewegte sich aber eher auf einer malerisch-bildlichen Ebene. Die stärkste Traditionslinie in der ame­rikanischen Städtebautheorie geht zurück auf Jose Luis Sert in Harvard, der für Nordamerika gewissermaßen den Dis­-kurs im Städtebau begründet hat. Der Diskurs ist aber innerhalb der Gesellschaft nicht mehr lebendig.

Wie beurteilen Sie den Einfluss von Großereignissen wie den Olympischen Spielen? Was können sie im Sinne der städtebaulichen Entwicklung heute noch erreichen?

Herausragend ist der Fall von Barcelona. Das hängt mit den Bauten für die Olympischen Spiele 1992 zusammen. Dort wurde unter der Leitung von Oriol Bohigas regelrecht ein „Neues Barcelona“ geschaffen, vergleicht man es mit der Stadt der siebziger und achtziger Jahre. Mir fällt keine andere europäische Stadt ein, wo Projekte in einer so kohärenten Art und Weise die alte Stadt aufgewertet und erweitert haben. Alle anderen Austragungsorte seither haben nicht mehr zustande gebracht als eine graduelle Verbesserung der Stadtstruktur. Das ist auch bei London nicht anders, vergleicht man es mit dem, was Barcelona 20 Jahre zuvor geleistet hat.

Momentan steckt Spanien in einer tiefen Krise – maßgeblich verursacht durch die Immobilienspekulation. Man vergisst dabei leicht, dass der Anstoß, der in den neunziger Jahren von Barcelona ausging, auch auf viele kleine spanische Städte beispielhafte Wirkungen hatte.

Ja. Auch die Stadtentwicklung auf dem flachen Land, in der Provinz, war vorbildlich. Gerade in den spanischen Provinzstädten hat die Mittelklasse eine große Rolle gespielt, indem sie stark auf Qualität achtete bei der Auswahl von Architek­ten, die gewichtige Eingriffe in den Bestand der Stadtstruk­-tur vornehmen sollten. Es fällt schwer, vergleichbare Beispiele in anderen Ländern zu finden, bei denen die Mittelklasse auf dem Lande einen ähnlichen Einfluss auf die Entwicklung ihrer Städte ausgeübt hat. Diese Kultur der Städte auf dem Lande in Spanien ist wirklich beeindruckend.

In Ihrem Standardwerk „Modern Architecture“ versuchen Sie mit jeder neuen Auflage solche zurückliegenden Entwicklungen einzuordnen. Ihr Buch wächst wie kaum ein anderes in die Gegenwart hinein. Sie schreiben: „Man muss daran erinnern, dass sachkundige und verbindliche Bauherrn die absolute Essenz jeder Baukultur sind.“ Existiert dieser Bauherr heute überhaupt noch, oder ist er im Zeichen der Krise jetzt auch in Europa dabei zu verschwinden?

Es gibt ihn noch. Aber die Frage ist enorm wichtig. Denn es wird in der Tat schwerer, Bauherren zu finden, die eine verbindliche Verantwortung übernehmen. Ich suche beständig nach ihnen und merke, wie schwierig das geworden ist.

Sie haben das Beispiel Spanien bereits angesprochen, mit seiner starken Idee einer Bauherrschaft in der Nach-Franco-Zeit. Ist sie auch anderswo zu finden?

In einigen skandinavischen Ländern. Im Allgemeinen wird dort mehr Wert auf eine verantwortungsbewusste Grundhaltung gegenüber neuen Entwicklungen gelegt, als das in Großbritannien oder auch den USA der Fall ist. Vielleicht waren Helsinki, Stockholm oder Kopenhagen aber auch nie einem solchen ökonomischen Druck ausgesetzt. In diesen Städten ist die Stadtstruktur weitgehend unverletzt. Außerdem dürfte der Städtebau als akademische Disziplin in diesen Ländern ambitionierter sein – ein Umstand, der auch im Zusammenhang mit der politischen Kultur dieser Staaten zu sehen ist. Die skandinavische Spielweise der Demokratie macht sie von vornherein mehr oder weniger „nachhaltig“. In Frankreich beispielsweise muss man bis zur Ära Mitterand zurück­-gehen, um den verbindlichen Bauherrn zu finden – und das ist schon eine ganze Weile her.

Wird in Europa nachgespielt, was Amerika vorgemacht hat?

Was in den Staaten vor sich geht, muss man auf der politischen Ebene sehen, weniger auf der architektonischen. Die großen multinationalen Konzerne bestimmen die Politik – man kann schon sagen die vermeintlich demokratische Politik der USA. Die Energiekonzerne zum Beispiel beeinflus­sen die nationale Politik der USA in außergewöhnlicher – und immer in negativer – Weise. Diese multinationalen Firmen werden immer stärker und unterminieren die demokratisch gewählten Regierungen. Das macht es noch schwieriger, den verbindlichen öffentlichen Bauherrn zu finden.

In der jüngsten Auflage Ihres Buches „Modern Architecture“ führen Sie ein übergeordnetes Klassifizierungssystem ein, eine Taxonomie in sechs Kategorien: Topographie, Morphologie, Nachhaltigkeit, Material ... Warum?

Je näher man an das Heute herankommt, desto hypotheti­scher wird die Frage nach Objektivität. Aber ich denke weiterhin, dass es so etwas wie Objektivität in der Geschichte gibt. Das ist eine meiner Überzeugungen. Es wird natürlich immer schwerer, sich in einem doch relativ kurzen Kapitel der schieren Überfülle architektonischer Produktion zu nähern. Diese Taxonomie ist ein Versuch, der enormen Produktion Qualitäten gegenüberzustellen. Die Kategorien schließen sich aber nicht aus, sie sind fließend. Warum spricht man heute – gerade auch in den Architekturzeitschriften – über dieses und nicht über jenes Werk? Diese Frage wird heute zu einem wirklichen Problem. Es gab mal eine Zeit, wo man sich unter der Überschrift „Moderne Architektur“ auf Europa und die USA beschränken konnte, mit etwas Japan und La­tein­amerika. Das ist nicht mehr möglich.

... und Sie enden mit „Habitat“. Ist der Wohnbau wieder zum zentralen Anliegen der Gegenwart geworden?

Warum ich mit habitat und mit civic form geendet habe, hat auch damit zu tun, dass ich mir die Nähe der Sprache zu Nutze machen wollte, die Nähe von habitabilty und civility. Ich spreche am Schluss über habitat und civic form, weil ich glaube, dass hier die allgemeinste Grundlage des Diskurses über die gebaute Umwelt zu finden ist: beim Wohnen im Bestand der Stadt auf der einen und bei den öffentlichen Gebäude auf der anderen Seite. Ich wollte darüber schreiben, was das Gewebe des Wohnens und was die öffentlichen Bauten in der Stadt heute sein können. Das war die Herausfor­derung.

Eines der Kernelemente von „Modern Architecture“ ist die In­tensität, mit der Sie auf die lokale Gebundenheit des Entwerfens hinweisen, die erst die Konstruktion von richtigen Orten möglich macht. Welche planerischen Voraussetzungen sind nötig, um solche Orte heute zu erschaffen?

Es sind die Möglichkeiten für eine Intervention in den Stadtkörper, die mich stark interessieren. In diesem Sinne bin ich vom späten Manuel de Solà-Morales beeinflusst, dem Stadtplaner und Städtebauer in Barcelona, der unlängst verstorben ist und der das Wort von der städtebaulichen Akupunktur geprägt hat. Es geht ihm um einen katalytischen Eingriff. Die Wirkungen sind vielleicht nicht in Gänze vorhersehbar. Aber sie können wieder neue Energie und eine Identität in ein Stück bestehender Stadt bringen. Solche „Interventionen“ halte ich für einfacher umzusetzen und für realistischer, als es die immer noch sogenannten „Masterpläne“ sind. Masterpläne sind sinnvoll auf der Ebene der Infrastruktur. Aber sie sind wenig sinnvoll, wenn es um das Weiterweben der Stadtstruktur geht. Und zwar wegen der Volatilität der Gesellschaft: Jemand hat zu einem bestimmten Zeitpunkt das Geld für Investitionen, aber der Moment kann vorübergehen,
das Geld kann sich verflüchtigen, und das Bauen steht still.

Abschließend die Frage zur Rolle von Architekturpreisen: Welche Funktion haben diese? Helfen sie den Architekten?

Bestimmte Architekten ziehen einen unmittelbaren Nutzen aus der Preisverleihung, und wenn ich der Preisverleihung sage, dann meine ich natürlich den Pritzker Preis. Ich stehe in einem Briefwechsel mit Wang Shu, dem letzten Pritzker-Preisträger. Er schrieb mir gerade zurück, ich hätte so viele Fragen, die müsse er leider zurückweisen. Er fände keinen angemessenen Weg, sie zu beantworten, er hätte zurzeit einfach zu viel zu arbeiten. Dies zeigt vielleicht auch, dass ein Pritzker Preis mehr Verpflichtungen mit sich bringt, als man sich vorstellt. Ich würde allerdings über Ihre Frage hinausgehen – ich halte das Wettbewerbswesen für wichtiger als das Preiswesen.

Vielleicht spielt das Preiswesen deswegen eine immer größere Rolle, weil das Wettbewerbssystem nicht mehr gewährleistet, dass auch junge Architekten zu Aufträgen kommen?

Ja, so ist es leider. In Frankreich etwa, in der Ära Mitterand, landeten die jungen Architekten, die in einen großen Wettbewerb gekommen waren, auf einem fünften oder sechsten Platz. Das brachte ihnen Aufmerksamkeit und staatliche Aufträge ein. Kleine Aufträge, aber immerhin. Das ging etwa ein Jahrzehnt lang so, dann war es zu Ende mit der Offenheit. Und ich bekenne gerne: Eine meiner wirklichen Freuden ist seit jeher gewesen, Mitglied in einem Preisgericht zu sein und dazu beizutragen, ein in meinen Augen gutes Ergebnis durchzusetzen. Und dann etwas später zu sehen, wie es gebaut wird. Das war mir immer eine Freude. 

Transkription und Übersetzung: Michael Goj
Fakten
Architekten Frampton, Kenneth, New York
aus Bauwelt 1-2.2013
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