Bauwelt

100 Jahre Villa Massimo

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

100 Jahre Villa Massimo

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Die Deutsche Akademie Villa Massimo Rom war im Martin-Gropius-Bau Berlin zu Gast und feierte die Stipendiaten von 2009 mit ihren Arbeiten nach elfmonatigem Aufenthalt in den Ateliers im Park der Villa. Sasha Waltz, die für einige Wochen ebenfalls in Rom zu Besuch war, präsentierte in Berlin ihre an Seilen baumelnden Männer.
„Auch dieser Italiener darf nicht protestantisch bewertet werden.“ Schockstarre wäre übertrieben, doch als ich am 26. November letzten Jahres den Gastkommentar im „Tagesspiegel“ las, war ich sprachlos. Auch nach mehrmali­gem Lesen fragt man sich, ob hier Ironie, Spott oder einfach nur Resignation durchklingt: Joachim Blüher, Direktor der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo, fordert in seinem Artikel „Gerechtigkeit für Berlusconi!“. Blüher, bereits acht Jahre in seiner Position, setzt sich aufs hohe Ross und bittet um Verständnis für den großen Lenker Italiens. Den Kritikern im Norden gibt er den Rat, andere Maßstäbe anzusetzen: In Italien wäre das wirkliche Leben, und da sollte man über Kleinliches einfach hinwegsehen: „Zu einem Politiker gehört Gesundheit, zu ei­nem Mann gehört Virilität: Dafür sind die Mädchen da. Berlusconi ist reich und deswegen mit Sicherheit nicht korrumpierbar. Er hat die schönsten Frauen, er hat Villen und einen künstlichen Vulkan auf Sardinien. Sein Witz hat für uns manchmal zweifelhaften Geschmack, aber bekanntlich verstehen sich die Völker beim Humor am wenigsten. Er ist gastfreundlich und großzügig, er zelebriert Macht wie ein Caesar, so wie es nur in Ländern möglich ist, die nie unter die Kuratel der Reformation geraten sind. Im Norden Europas Kritik, Härte und Verzicht. Am Geburtsort der Gegenreformation: Applaus! Alle für einen.“ So weit Joachim Blüher. Protestanten hatten es schon immer schwer in der Stadt der Gegenreformation. Nach ihrem Ableben wurden sie damals im Dunkeln auf dem ungeweihten „Cimitero Acattolico al Testaccio“ im Schatten der Cestius-Pyramide verscharrt. Nimmt Blüher vielleicht Bezug auf diese Zeit?

Kopfüber

Am 25. Februar war der Direktor mit seiner Villa Massimo zu Gast im Martin-Gropius-Bau in Berlin. Es ist zu einer Tradition geworden, dass die staatliche Akademie mit Unterstützung des Sparkassen-Kulturfonds, der Air Dolomiti und des Hotel de Rome sich hier mit den Stipendiaten für einen Abend mit Hunderten von Gästen feiern lässt. Nach den offiziellen Reden drängte sich alles um die Tänzer der Truppe Sasha Waltz & Guests, Männer mit hautfarbenen Unterhosen, die eine halbe Stunde lang an Seilen von der Decke baumelten und sich da­bei kopfüber ein bisschen bewegten. Die Choreographin war im Martin-Gropius-Bau mit dabei, weil sie für ein paar Wochen als „Praxisstipendiatin“ auch in Rom geweilt hatte, bei einem „Pilotprojekt“ der Villa. Blüher im Glück. Die kurze Sasha-Show war der Gag der Soirée. Von den Arbeiten der zehn 11-Monatsstipendiaten des Jahres 2009 war bis auf die Komponisten Márton Illés und Charlotte Seither, ihren meterweise an die Wände gehefteten Arbeitspartituren und den sie begleitenden Musikern nicht viel zu sehen. Die Architektur war vertreten durch Sebastian Reinhardt aus Berlin. Er beschrieb sein „Refugio“-Projekt als „architektonisch-typologi­sche Neuinterpretation“ eines überkonfessionellen spirituellen Rückzugsortes. Bei der Präsentation der Arbeitsmodelle fühlte man sich unwillkürlich an Gipsformen für Gebissprothesen erinnert. Ist es möglich, in der Ewigen Stadt des Spirituellen und der spirituellen Orte ein Jahr lang nüchtern, „protestantisch“ nackte weiße Räume zu entwerfen? Daniel Widrig, London, bleibt auf einer anderen Ebene beim Formalen – und damit eher „römisch“. Denn er bietet skulpturale Formstudien mit dekorativem Flair und computergenerierte Prototypen verschiedenster Materialien an. Das Ergebnis seiner Forschun­gen zeigt sich bei einem ergonomisch interessanten Stuhl.

Aida

Noch einmal Blüher im letzten Jahr: „Bei uns ist Berlusconi der, der immer nur feiert und betrügt und missbraucht. Herrschaften, Respekt! Hier wird nicht Bach gespielt, hier ist Aida. Große Oper! Und Opernhäuser werden professionell geführt. Haben Sie wirklich vergessen, warum Sie immer nach Italien reisen wollen?“ Große Oper: Das war die alte Villa Massimo unter Elisabeth Wolken in den Jahren 1965 bis 1993. Es gab rauschende Feste mit der „Società romana“ und böse Erinnerungen über Missstände bei den Stipendiaten, nachzulesen vor allem in Rolf Dieter Brinkmanns „Rom, Blicke“, 1972. Auf die Geschichten um Dottoressa Wolken und ihre Entourage einzugehen würde diesen Rahmen sprengen, es war auch eine andere Zeit. Im Juni feiert die Akademie ihr 100-jähriges Bestehen. Herzlichen Glückwunsch! Vielleicht spricht ja Silvio Berlus­coni beim Festakt ein Grußwort vor der wunderbaren Kulisse der Villa und erklärt aus seiner Sicht, warum die Deutschen beim Blick auf die ganz großen Italiener nicht so kritisch sein sollten.

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