Wie entwirft man einen Architekten?
Von Aalto bis Zumthor
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Wie entwirft man einen Architekten?
Von Aalto bis Zumthor
Text: Stock, Wolfgang Jean, München
Was Julius Posener für Deutschland war, ist Friedrich Achleitner für Österreich: der Doyen der Architekturkritik. Allerdings, und darin liegt der große Unterschied, fiel Achleitner diese Rolle schon in relativ jungen Jahren zu. Warum? Weil es im Österreich der Nachkriegszeit noch weniger eine wirkliche Architekturkritik gab als damals in Deutschland. Weit über eintausend Texte hat Achleitner seit den 1950er Jahren zum Planen und Bauen verfasst, zunächst in Zeitungen und Zeitschriften, später auch in Fachbüchern, Ausstellungskatalogen und Festschriften. Nicht zu unterschätzen ist, dass er auf dem Gebiet der Kritik auch ein Förderer junger Talente war, etwa von Otto Kapfinger und Arno Ritter, die sich in Österreich längst einen eigenen Namen gemacht haben. Schließlich hat Achleitner, 1930 geboren, neben der Tagesarbeit über Jahrzehnte hinweg intensiv geforscht: Sein Opus magnum, die fünfbändige Dokumentation zur österreichischen Architektur im 20. Jahrhundert, wird ein Meilenstein bleiben.
Österreich steht denn auch im Mittelpunkt dieses Sammelbandes, der in enger Abstimmung mit dem Autor von Eva Guttmann, Gabriele Kaiser und Claudia Mazanek herausgegeben und von ihnen mit einem substanziellen biografischen Nachwort versehen wurde. Die 86 Porträts von Architektinnen und Architekten geben einen typischen Ausschnitt aus Achleitners engagierter publizistischer Arbeit wieder. Buchstäblich von A bis Z, von Alvar Aalto bis Peter Zumthor, umfasst die Auswahl unterschiedlich lange Texte aus einem halben Jahrhundert: Zeitungsartikel, Vorworte, Laudationes, Grabreden. So gilt dem Atelier 5 eine Skizze, während sich Achleitner mit Rob Krier ausführlich auseinandersetzt. Diese beiden Namen deuten auch die große inhaltliche Spannweite an. Der älteste Beitrag (über Arne Jacobsen) stammt aus dem Jahr 1963, der jüngste ist die Grabrede auf Ottokar Uhl aus dem Jahr 2011. Zum Teil sind die Texte sehr entlegen, teilweise gar nicht erschienen, etwa der Nachruf auf den Architekten und Publizisten Walter Zschokke.
Es ist vor allem die mitteleuropäische und skandinavische Moderne in allen ihren Verästelungen, die Achleitner lebenslang beschäftigt hat, vom frühen Einzelgänger Jože Plečnik bis hin zum jüngeren Wiener Duo Christian Jabornegg und András Palffy. Neben großer Sachkenntnis warten die Texte mit einer speziellen Sprache auf, mit einem fast literarischen Ton. Hier spürt man, dass Achleitner seit Jahrzehnten auch freier Schriftsteller ist. Seine eigene Art, über Architektur zu schreiben, kommt besonders beim Beitrag „Boris Podrecca – Wie entwirft man einen Architekten?“ zum Ausdruck. Auf die Feststellung, dass Architektur mit Sprache nur unzulänglich vermittelt werden kann, folgt die spöttische Äußerung: „Trotzdem werden Einführungen zu Monografien bestellt, und, was noch schlimmer ist, sie werden auch geschrieben, obwohl außerdem eine fast hundertprozentige Garantie besteht, dass sie nicht einmal von einem Prozent der Buchdurchblätterer gelesen werden.“ Am Ende dieses Textes wechselt die Ironie in Selbstironie: „Man soll keinen Architekten entwerfen. Die ersten Striche scheitern schon an der Entwurfsmethode. An der Entwurfsmethode des Architekten? Nein, der eigenen, natürlich.“
Julius Posener und Friedrich Achleitner verbindet noch etwas. Der eine war, der andere ist kein Germanist, Kunsthistoriker oder Soziologe, sondern diplomierter Architekt. Und beide haben gezeigt, dass Architekten anschaulicher und vergnüglicher schreiben können als dies in Jurytexten gewöhnlich der Fall ist. So markiert es denn einen schönen Bogen, dass auch Posener in diesem Buch gewürdigt wird. Achleitners letzter Satz aus dem Jahr 1981 lautet: „Die bundesdeutsche Architekturszene wäre ohne Julius Posener um vieles ärmer, ihre Geschichte und Theorie der Architektur nicht vorstellbar.“
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