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Architekturwissen

Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften

Text: Hebert, Saskia, Berlin

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Architekturwissen

Grundlagentexte aus den Kulturwissenschaften

Text: Hebert, Saskia, Berlin

Zu Beginn dieses Jahres ist der zweite und letzte Band der Anthologie „Architekturwissen“ erschienen. Die Herausgeber Susanne Hauser, Christa Kamleithner und Roland Meyer versammeln auf insgesamt 787 Seiten 68 Textauszüge von Autoren aus verschiedenen Disziplinen, die „mit dem Architekturdiskurs in irgend einer Form verbunden“ sind.
Sie gruppieren diese Texte in zwölf Kapitel, sechs im ersten Band, „Zur Ästhetik des sozialen Raumes“, mit Texten u.a. von Theodor Adorno, Walter Benjamin, Jacques Rancièr und Judith Butler, sechs im zweiten Band, „Zur Logistik des sozialen Raumes“, mit Texten u.a. von Michel Foucault, David Harvey, Rem Koolhaas und Saskia Sassen.
Das „Architekturwissen“ ist in zwei schlammfarbenen, asketisch bildfreien Wälzern gespeichert, die auf den ersten Blick den Verdacht wecken, es könne sich hier um einen aus der langjährigen Lehre an der Universität der Künste entwickelten „Theorie-Neufert“ handeln: Ein bibelartiges Standard-Werk, das spezifische Kenntnisse in lexikalischer Art und Weise kanonisiert. Tatsächlich kann man die beiden Bände sogar auf diese Weise benutzen: Man kann einzelne Autoren und das häufig auf wenige Seiten konzentrierte Destillat ihrer Positionen darin nachschlagen, oder ganze Kapitel lesen und dadurch verschiedene Aspekte eines Themas erfassen.
Allerdings führt der „neuferthaft“ Gebrauch der Bücher an deren eigentlichem Ziel vorbei. Die Qualität dieser Anthologie liegt nicht allein in der Auswahl, der Edition und der zum Teil erstmaligen Übersetzung der Texte, sondern vor allem in ihrer kenntnisreichen Kontextualisierung. In knappen, sach- und fachkundigen Kapiteleinleitungen betten die Herausgeber die Textauszüge in das Werk der Autoren, in ihre Zeit, ihren Raum und ihren disziplinären Kontext ein. Zudem führen die einzelnen Texte innerhalb der Kapitel unterein­ander Dialoge: Sie entsprechen, widersprechen oder ergänzen einander und fordern den Leser dadurch dazu auf, selbst zu denken. Ergänzt wird jeder Text durch kurze biografische Angaben und jedes Kapitel durch Hinweise auf weiterführende Literatur.
Während der erste Band mit den Kapiteln „Architektur als Kunst“, „Techniken der Wahrnehmung“, „Geschichte der Sinne“, „Körper, Leib und Raum“, „Lesbarkeit“ und „Praktiken und Situationen“ die Bedingungen, Positionen und Perspektiven einer erweiterten Architektur-Theorie versammelt, geht es im zweiten Band in den Kapiteln „Orte und Identitäten“, „Schwellen und Grenzen“, Anordnungen und Verteilungen“, „Wege und Kanäle“, „Märkte, Eigentum und Verwertung“ sowie „Handeln und Entwerfen“ um Werkzeuge, Methoden und Auswirkungen der architektonischen Praxis.
Die Herausgeber haben dabei als Kultur- und Kunstwissenschaftler eine besondere Perspektive – sowohl auf die Architektur, als auch auf das, was sie ihr „Wissen“ nennen. Was sie vor allem interessiert, ist das implizite, das nur mittelbar auffindbare, unausgesprochene und vielleicht für Architekten unaussprechliche Wissen der Architektur, die in Entwürfen Kenntnisse und Erfahrungen aus verschiedenen anderen Disziplinen integriert, in und mit Bauten die gesellschaftliche Bedingtheit ihrer Entstehung sichtbar macht – was hier im weiteren Sinn als „Ästhetik“ bezeichnet wird – und die neue Räume und veränderte Beziehungen, Wege und Gebrauchsweisen schafft – was die Herausgeber als „Logistik“ begrifflich zu fassen suchen. Der „soziale Raum“, der in beiden Bänden im Untertitel steht, ist der gesellschaftliche, angeeignete und gelebte Raum, der unter anderem von diesem impliziten Wissen geprägt wird – und darauf zurückwirkt.
Es geht also in dieser Anthologie weder um abfragefähiges Allgemeinwissen für Architekturanfänger, noch um einen abgehobenen und selbstreferenziellen Diskurs, mit dem auch erfahrene Praktiker nichts anfangen können. Es geht vielmehr um ein differenziertes, artikuliertes und vielstimmiges Gespräch über den komplexen Zusammenhang zwischen architektonischer Praxis und sozialer Realität – und da sollten wir Architekten ja vielleicht doch ein Wörtchen mitreden. Ganz explizit. 
Fakten
Autor / Herausgeber Susanne Hauser, Christa Kamleithner und Roland Meyern (Hrsg.)
Verlag Transcript Verlag, Bielefeld, 2011/2013
Zum Verlag
aus Bauwelt 27.2013
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