Bauwelt

Atlas of Brutalist Architecture

Text: Landes, Josepha, Berlin

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Phaidon

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Atlas of Brutalist Architecture

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Atlas of Brutalist Architecture

Text: Landes, Josepha, Berlin

Was ist Brutalismus? Der Atlas of Brutalist Architecture stellt diese Frage nicht bloß, er deckt die Nachlässigkeit auf, mit der der Begriff sowohl im all­gemeinen Sprachgebrauch als auch im fachlichen Diskurs kursiert. Brutalismus entspricht heute, nach jahre- bis jahrzehntelanger Verachtung als Grobschlächtigkeit, dem Zeitgeist. Zwar scheidet der rohe Beton noch immer die Geister, die Trennlinie zwischen Verfechtern und Verächtern jedoch droht ins Dogmatische, ins Unterscheiden zwischen Kenner und Banause, abzugleiten. Brutalismus ist Beton, ist gewaltig, ist brutal. Der Name allein macht es unmöglich, als Dachbegriff für feingliedrige, zurückhaltende, ausgefeilte Architektur stehen zu können. Dessen kann man sich sicher sein. – Kann man das?
Beim Durchblättern des Atlas kommen Zweifel an dieser Einschätzung auf. Bei den Bauten der 50er und 60er Jahre stellt sich kaum Unbehagen ein – aus rohem Beton, entweder massig oder konsequent zur Schau gestelltes Tragwerk, nicht selten mit geometrischen Wiederholungen gestaltet. Das sind jene Bauten, die, auch ob häufig experimenteller Proportionen und Formabwandlungen, den Brutalismus aus der Taufe gehoben haben und nach wie vor das Bild von ihm prägen. Der Atlas beschränkt sich aber nicht darauf, unbestritten brutalistische Gebäude wie das Londoner Barbican oder die jüngst abgerissene Leipziger Trinitatiskirche zu kartieren, an denen sich sehr schnell schon die Spreu vom Weizen trennt. Vielmehr ist es erklärtes Anliegen der Verfasser, dem Geist des Brutalismus nachzuspüren. So kommt es, dass der harsche „Je-m’en-foutisme“, den sie als Kern des Brutalismus schlechthin bezeichnen, für so allerhand Verwirrung sorgt: Je m’en fou – I don’t care – mir egal. Als radikale Haltung der Nachweltkriegswelt, forciert von revolutionären Gedanken – stets mit einem Hauch Welterneuerungs- wie Beständigkeitsanspruch gepaart –, ist diese Parole glaubhaft. In einigen anderen Projekte, die es in den Atlas geschafft haben, fällt es schwer, sie zu entdecken. Es fällt schwer, ist aber des Stirnrunzelns wert! Denn die Irritation, die unverhoffte Projekte hervorrufen, regt an, die Systematik, die wir der uns umgebenden Welt auferlegen, zu prüfen: Zaha Hadids Phaeno – Beton, klar, aber ist parametrisches Entwerfen brutalistisch? Der Hamburger Energiebunker – ist das nicht reine Funktionsarchitektur des Nationalsozialismus? Behnischs Norddeutsche Landesbank in Hannover ­– expressive Form: ja, massive Bauweise ohne Schnick-Schnack: Fehlanzeige. Oder das ehemalige Centrum-Warenhaus in der Dresdner Pragerstraße – ein moderner Bau, geometrische Elemente in der Fassade, aber doch wohl eher eine DDR-Modullösung, metabolistisch möglicherweise, aber brutalistisch?
Vermutlich findet jeder Leser den ein oder anderen Eindringling in seinen Brutalismus-Kosmos. Man mag die Zeit, man mag das Material, man mag die Ehrlichkeit, man mag die Kubatur als Schlagstock zu Hilfe nehmen um zu versuchen, diese Eindringlinge hinaus zu scheuchen. Sie werden aber bleiben, wo sie sind: eingereiht zwischen jene anderen Beispiele, die der eigenen Vorstellung vom „wahren“ Brutalismus entsprechen. Und wenn die Irritation dann im besten Fall dazu führt, einen Gedankengang darüberanzuregen, warum dieses oder jenes Gebäude doch eigentlich so unbrutalistisch sei, der subtil dazu führt, doch noch den ein oder anderen brutalistischen Charakterzug an ihm zu entdeckt, dann hat der Atlas erreicht, wozu er gemacht wurde.
Wohl dem, der den Brutalismus als architektonische Spielart begreifen kann, etwas zu wagen, als etwas Visionäres. Denn was nach der Lektürebleibt ist die Einsicht, dass Radikalität neue Maßstäbe setzen kann. Der Brutalismus ist keine akademische Stilrichtung, vielmehr eine Ausdrucksweise, die sich unbelehrt rundum die Welt in einer Zeit des Aufbruchs auf ähnliche Prinzipien verließ. Diese Prinzipien fußen auf Gedanken, die der Revolution nahestehen. Revolution, nicht nur im sozialistischen Sinne, wohl aber im Dunstkreis verschiedenartiger Weltverbesserungsideen. So gesehen verbietet es sich der Brutalismus, als Mahnmal einer vergangenen Zeit zu stehen, verlangt vielmehr, stets neu, unverhofft und schlagkräftig Gedanken zu schmieden. Denn Gedanken sind es, die die Welt verändern können. Dass diese Gedanken unterschiedliche Wege finden sich zu verwirklichen, aber dass Verdammnis ebenso wie Verehrung vergeht, auch dafür steht der Brutalismus. Seine oft solitären Bauten brechen die Wogen für Gesellschaften im Umbruch. Steht die neue Popularität des Brutalismus sinnbildlich für die Gegenwart?
Fakten
Autor / Herausgeber Publisher Phaidon Press
Verlag Phaidon Press Ltd., London 2018
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aus Bauwelt 8.2019
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