Bauwelt

Bauwelt-Fundamente: Denkmalpflege statt Attrappenkult

Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern – eine Anthologie

Text: Hotze, Benedikt, Berlin

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    1920 prägen noch die Turmspitzen von St. Katharinen, der Ulrichskirche und St. Jakobi (v.l. n.r.) das Stadtbild.
    Kuratorium Ulrichskirche e.V.

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    1920 prägen noch die Turmspitzen von St. Katharinen, der Ulrichskirche und St. Jakobi (v.l. n.r.) das Stadtbild.

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    Trotz starker Zerstörungen überstand die romanische Ulrichskirche 1945 die Bombenangriffe der Alliierten.
    Kuratorium Ulrichskirche e.V.

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    Trotz starker Zerstörungen überstand die romanische Ulrichskirche 1945 die Bombenangriffe der Alliierten.

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    In den 50ern wurden sozialistische Wohnungsbauten entlang der damaligen Wilhelm-Pieck-Allee errichtet.
    Kuratorium Ulrichskirche e.V.

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    In den 50ern wurden sozialistische Wohnungsbauten entlang der damaligen Wilhelm-Pieck-Allee errichtet.

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    Die erste Bauphase der Ulrichskirche wird auf den Zeitraum zwischen 993 und 1022 datiert.
    Kuratorium Ulrichskirche e.V.

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    Die erste Bauphase der Ulrichskirche wird auf den Zeitraum zwischen 993 und 1022 datiert.

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    1956 wurde die Kirche gesprengt. Heute markieren Betonstreifen den einstigen Grundriss des Sakralbaus.
    Kuratorium Ulrichskirche e.V.

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    1956 wurde die Kirche gesprengt. Heute markieren Betonstreifen den einstigen Grundriss des Sakralbaus.

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    Nach 1990 wurde die Innenstadt mit den Malls "City Carré", "Ulrichshaus" und "Allee-Center" bestückt.
    Michale Kranz, Tobias Köppe

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    Nach 1990 wurde die Innenstadt mit den Malls "City Carré", "Ulrichshaus" und "Allee-Center" bestückt.

    Michale Kranz, Tobias Köppe

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    2007 hat sich ein Verein gegründet, der sich für den Wiederaufbau der Kirche einsetzt.
    Matthias Hartmann

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    2007 hat sich ein Verein gegründet, der sich für den Wiederaufbau der Kirche einsetzt.

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    Die geschätzten Kosten in Höhe von 30 Mio. Euro sollen durch Spenden und Fördergelder aufgebracht werden.
    Matthias Hartmann

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    Die geschätzten Kosten in Höhe von 30 Mio. Euro sollen durch Spenden und Fördergelder aufgebracht werden.

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    Nach dem Zeitplan des Vereins soll die Ulrichskirche von 2014 bis 2017 wiederaufgebaut werden.
    Matthias Hartmann

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    Nach dem Zeitplan des Vereins soll die Ulrichskirche von 2014 bis 2017 wiederaufgebaut werden.

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    Im Januar beschloss der Stadtrat, am 20. März einen Bürgerentscheid über den Wiederaufbau durchzuführen.
    Matthias Hartmann

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    Im Januar beschloss der Stadtrat, am 20. März einen Bürgerentscheid über den Wiederaufbau durchzuführen.

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    Die Gegner des Wiederaufbaus werfen dem Verein mangelnde Bauplanung und Finanzierung vor.
    Kuratorium Ulrichskirche e.V.

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    Die Gegner des Wiederaufbaus werfen dem Verein mangelnde Bauplanung und Finanzierung vor.

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    Außerdem, so die Gegner, ginge eine wertvolle Grünfäche verloren; überdies sei das Nutzungskonzept zu vage.
    Kuratorium Ulrichskirche e.V.

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    Außerdem, so die Gegner, ginge eine wertvolle Grünfäche verloren; überdies sei das Nutzungskonzept zu vage.

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Bauwelt-Fundamente: Denkmalpflege statt Attrappenkult

Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern – eine Anthologie

Text: Hotze, Benedikt, Berlin

Als in den 80er Jahren die ersten Rekonstruktionsprojekte seit der Nachkriegszeit auftauchten, waren derartige Vorhaben unter Architekten (und Denkmal­pflegern sowieso) noch Exoten. Römerberg Ostzeile in Frankfurt, Knochenhaueramtshaus in Hildesheim oder Alte Waage in Braunschweig: Überall gab es einhellige Ablehnung in Fachkreisen. Man sprach von Disneyland und von Geschichtsklitterung.
Eine derartig einhellige „herrschende Meinung“ gegen Rekonstruktionen ist heute kaum mehr vorstellbar. Vielmehr ist der Wiederaufbau zerstörter Sym­bolbauten inzwischen salonfähig geworden. Ein Zusammenhang mit den Ereignissen von 1989/90 ist offenkundig. Den Anfang machte die Dresdener Frauenkirche, die allerdings immerhin mit wenigen aufra­genden Bauteilen in situ erhalten geblieben war, so dass man von einer „Anastylose“, also der Wiederaufrichtung umgefallener Bauteile, sprechen konnte.
War das populäre Projekt Frauenkirche also auch von Rekonstruktionsgegnern noch mit etwas gu­ten Willen zu tolerieren, verschlagen ihnen viele neuere Projekte geradezu den Atem. In Braunschweig wurde die Schlossfassade wieder errichtet, um mit einem modernen Einkaufszentrum eine absurde Symbiose einzugehen, in Berlin sollen drei Barockfassaden rekonstruiert werden, um mit der neorationalisti­schen Kongressbau-Architektur eines unbekannten Italieners (und eines Münchner Großbüros) verschmol­zen zu werden, und in Potsdam baut ein Architekt, dem man ein Rekonstruktionsprojekt kaum zugetraut hätte, ein Schloss in den ungefähren alten Maßen wieder auf, um mit einem zeitgenössischen Innenausbau einen Alt-Neu-Kontrast zu inszenieren, wo doch in Wirklichkeit alles neu ist. Die Autoren des vorliegenden Bauwelt-Fundamente-Bändchens geißeln solche Beispiele als „Attrappenkult“. Doch sie wissen, dass sie inzwischen in der Minderheit sind.
Kritiker mit Klagen einschüchtern

Dazu später mehr. Doch zunächst zu dem Ereignis, das Auslöser für dieses Buch gewesen sein mag: die von Winfried Nerdinger kuratierte Ausstellung „Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte“, die 2010 im Architekturmuseum der TU München gezeigt wurde. Eine große, großartige Schau, die weitgehend wohlwollendes Echo ausgelöst hat. Nerdinger nennt „Dutzende“ positive Re­zensionen, darunter auch die der Bauwelt (Bauwelt 32.2010). Doch an dieser Stelle muss über eine unschöne Eskalation berichtet werden, in deren Zentrum der Kurator steht: Nerdinger sieht offenbar jede Kritik als „Verleumdung“ und zieht es vor, den (quantitativ überschaubaren) Rest an kritischen Rezensio­nen mit Klageandrohungen aus der Welt zu schaffen. Dies tat er auch im Hinblick auf das besprochene Buch in einer E-Mail an Co-Herausgeber Adrian von Buttlar. Den Autor einer darin enthaltenen Ausstellungsrezension bedachte Nerdinger mit diesen Formu­lierungen: „exzessive Polemik“, „billige, geradezu pubertäre Verunglimpfungen“, „persönlich motivierte Abrechnung, ebenso wortreich wie pseudowissenschaftlich verbrämt“, [er] „verfälscht, lügt“ und „manipuliert sogar angebliche Zitate“ – kurzum: der Gegner sei ein „eifernder Dog­matiker und unbedarfter Geschichtsdilettant“. Diese Worte gelten Michael S. Falser, dem Nerdinger zu- dem androhte, ihn bei seinem Dienstherrn, der Uni Heidelberg, anzuschwärzen.

Zielführende Begriffsverwirrung

Worum ging es? Nerdinger nimmt immer wieder für sich in Anspruch, die streitige Frage nach Rekonstruktionen „entkrampfen“ und „versachlichen“ zu wollen. Einigen Kritikern ist aber nun aufgefallen, dass er dies mitnichten tut. Er verfolgt vielmehr erkennbar ein Ziel: Er möchte Rekonstruktionen rehabilitieren und als selbstverständliche Ausdrucksform des Baugeschehens nahezu aller Epochen darstellen. Und da bei nimmt er es mit den Begriffen nicht immer so genau.
Neben Autoren wie Falk Jaeger, der von Nerdinger schon einmal im Zusammenhang mit dem Berli­-ner Schloss der „Stürmer-Manier“ bezichtigt wurde, hatte vor allem Michael Falser eine fundierte Kritik an der Nerdinger-Ausstellung veröffentlicht – zuerst gekürzt in „Werk Bauen Wohnen“, dann ungekürzt im besprochenen Buch. Falsers zentraler Punkt arbei­tet sich dabei ebenfalls an den Begrifflichkeiten ab. Er kritisiert, dass Nerdinger „neben den Begriffen Erneuerung, Kopie, Nachahmung, Replik, Rückbau, Vollendung und Wiederaufbau“ auch „Reparatur, Restaurierung und Rekonstruktion fälschlich als ‚fließend ineinander übergehende‘ Begriffe“ ausweise, obwohl Reparatur, also eine „bestandsorientierte Ausbesserung“, und Rekonstruktion, also die „möglichst genaue Wiederherstellung eines komplett verlorenen Zustands“, völlig konträre Konzepte darstellen. „Reparatur wie auch Konservierung gehen von einem gewachsenen Bestand aus, Rekonstruktion jedoch vom Totalverlust. Diese definitorische Inkon­sequenz ist Programm. So handelt es sich bei dem Ausstellungstitel ‚Geschichte der Rekonstruktion‘ entweder um eine unbewusste Themaverfehlung oder um eine bewusste Irreführung. Es hätte ‚Geschich­te der Wiederherstellung‘ heißen müssen, da 80 Prozent aller in der Ausstellung angeführten Fallbeispiele keine Rekonstruktionen nach Totalverlust sind.“
Warum Falser so auf den Begriffen besteht, ist evident: In der Debatte um Rekonstruktionen geht es ja zumeist um solche Neubauten, die ein schon länger verlorenes Gebäude wiedererstehen lassen sollen. Falser zeigt, dass nur ein geringer Anteil von Nerdingers Beispielen überhaupt diesen „Sonderfall“ betreffen, und er unterstellt Nerdinger Absicht da­bei. Das könnte man als etwas grob empfinden, aber sicher nicht als Verleumdung. Dass sich Winfried Nerdinger, der eine der bedeutendsten Architektureinrichtungen des Landes leitet, zu derartigen ver­ba­len Ausfällen verleiten lässt, dient seiner Sache sicher nicht.
Die Rezension von Michael Falser, eigentlich „nur“ ein Appendix des Buches, ist somit zu dessen beachtetsten Text geworden. Im Hauptteil des Ban­des geben Autoren, die sich weiterhin der Originalsubstanz des Baudenkmals verpflichtet fühlen, ein wohl begründetes Statement für ihre Ablehnung von Rekonstruktionen verlorener Bauten ab. Wer sich von Nerdingers Ausstellung hat betören lassen, dem wird hier die gebündelte und schlüssige Gegenposition vorgesetzt. Und das ist nichts anderes als: sehr spannend. Und wohl auch notwendig.
Fakten
Autor / Herausgeber Adrian von Buttlar u.a.
Verlag Birkhäuser, Basel 2010
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aus Bauwelt 10.2011
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