Bauwelt-Fundamente: Denkmalpflege statt Attrappenkult
Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern – eine Anthologie
Text: Hotze, Benedikt, Berlin
Bauwelt-Fundamente: Denkmalpflege statt Attrappenkult
Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern – eine Anthologie
Text: Hotze, Benedikt, Berlin
Als in den 80er Jahren die ersten Rekonstruktionsprojekte seit der Nachkriegszeit auftauchten, waren derartige Vorhaben unter Architekten (und Denkmalpflegern sowieso) noch Exoten. Römerberg Ostzeile in Frankfurt, Knochenhaueramtshaus in Hildesheim oder Alte Waage in Braunschweig: Überall gab es einhellige Ablehnung in Fachkreisen. Man sprach von Disneyland und von Geschichtsklitterung.
Eine derartig einhellige „herrschende Meinung“ gegen Rekonstruktionen ist heute kaum mehr vorstellbar. Vielmehr ist der Wiederaufbau zerstörter Symbolbauten inzwischen salonfähig geworden. Ein Zusammenhang mit den Ereignissen von 1989/90 ist offenkundig. Den Anfang machte die Dresdener Frauenkirche, die allerdings immerhin mit wenigen aufragenden Bauteilen in situ erhalten geblieben war, so dass man von einer „Anastylose“, also der Wiederaufrichtung umgefallener Bauteile, sprechen konnte.
War das populäre Projekt Frauenkirche also auch von Rekonstruktionsgegnern noch mit etwas guten Willen zu tolerieren, verschlagen ihnen viele neuere Projekte geradezu den Atem. In Braunschweig wurde die Schlossfassade wieder errichtet, um mit einem modernen Einkaufszentrum eine absurde Symbiose einzugehen, in Berlin sollen drei Barockfassaden rekonstruiert werden, um mit der neorationalistischen Kongressbau-Architektur eines unbekannten Italieners (und eines Münchner Großbüros) verschmolzen zu werden, und in Potsdam baut ein Architekt, dem man ein Rekonstruktionsprojekt kaum zugetraut hätte, ein Schloss in den ungefähren alten Maßen wieder auf, um mit einem zeitgenössischen Innenausbau einen Alt-Neu-Kontrast zu inszenieren, wo doch in Wirklichkeit alles neu ist. Die Autoren des vorliegenden Bauwelt-Fundamente-Bändchens geißeln solche Beispiele als „Attrappenkult“. Doch sie wissen, dass sie inzwischen in der Minderheit sind.
Kritiker mit Klagen einschüchtern
Dazu später mehr. Doch zunächst zu dem Ereignis, das Auslöser für dieses Buch gewesen sein mag: die von Winfried Nerdinger kuratierte Ausstellung „Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte“, die 2010 im Architekturmuseum der TU München gezeigt wurde. Eine große, großartige Schau, die weitgehend wohlwollendes Echo ausgelöst hat. Nerdinger nennt „Dutzende“ positive Rezensionen, darunter auch die der Bauwelt (Bauwelt 32.2010). Doch an dieser Stelle muss über eine unschöne Eskalation berichtet werden, in deren Zentrum der Kurator steht: Nerdinger sieht offenbar jede Kritik als „Verleumdung“ und zieht es vor, den (quantitativ überschaubaren) Rest an kritischen Rezensionen mit Klageandrohungen aus der Welt zu schaffen. Dies tat er auch im Hinblick auf das besprochene Buch in einer E-Mail an Co-Herausgeber Adrian von Buttlar. Den Autor einer darin enthaltenen Ausstellungsrezension bedachte Nerdinger mit diesen Formulierungen: „exzessive Polemik“, „billige, geradezu pubertäre Verunglimpfungen“, „persönlich motivierte Abrechnung, ebenso wortreich wie pseudowissenschaftlich verbrämt“, [er] „verfälscht, lügt“ und „manipuliert sogar angebliche Zitate“ – kurzum: der Gegner sei ein „eifernder Dogmatiker und unbedarfter Geschichtsdilettant“. Diese Worte gelten Michael S. Falser, dem Nerdinger zu- dem androhte, ihn bei seinem Dienstherrn, der Uni Heidelberg, anzuschwärzen.
Zielführende Begriffsverwirrung
Worum ging es? Nerdinger nimmt immer wieder für sich in Anspruch, die streitige Frage nach Rekonstruktionen „entkrampfen“ und „versachlichen“ zu wollen. Einigen Kritikern ist aber nun aufgefallen, dass er dies mitnichten tut. Er verfolgt vielmehr erkennbar ein Ziel: Er möchte Rekonstruktionen rehabilitieren und als selbstverständliche Ausdrucksform des Baugeschehens nahezu aller Epochen darstellen. Und da bei nimmt er es mit den Begriffen nicht immer so genau.
Dazu später mehr. Doch zunächst zu dem Ereignis, das Auslöser für dieses Buch gewesen sein mag: die von Winfried Nerdinger kuratierte Ausstellung „Geschichte der Rekonstruktion – Konstruktion der Geschichte“, die 2010 im Architekturmuseum der TU München gezeigt wurde. Eine große, großartige Schau, die weitgehend wohlwollendes Echo ausgelöst hat. Nerdinger nennt „Dutzende“ positive Rezensionen, darunter auch die der Bauwelt (Bauwelt 32.2010). Doch an dieser Stelle muss über eine unschöne Eskalation berichtet werden, in deren Zentrum der Kurator steht: Nerdinger sieht offenbar jede Kritik als „Verleumdung“ und zieht es vor, den (quantitativ überschaubaren) Rest an kritischen Rezensionen mit Klageandrohungen aus der Welt zu schaffen. Dies tat er auch im Hinblick auf das besprochene Buch in einer E-Mail an Co-Herausgeber Adrian von Buttlar. Den Autor einer darin enthaltenen Ausstellungsrezension bedachte Nerdinger mit diesen Formulierungen: „exzessive Polemik“, „billige, geradezu pubertäre Verunglimpfungen“, „persönlich motivierte Abrechnung, ebenso wortreich wie pseudowissenschaftlich verbrämt“, [er] „verfälscht, lügt“ und „manipuliert sogar angebliche Zitate“ – kurzum: der Gegner sei ein „eifernder Dogmatiker und unbedarfter Geschichtsdilettant“. Diese Worte gelten Michael S. Falser, dem Nerdinger zu- dem androhte, ihn bei seinem Dienstherrn, der Uni Heidelberg, anzuschwärzen.
Zielführende Begriffsverwirrung
Worum ging es? Nerdinger nimmt immer wieder für sich in Anspruch, die streitige Frage nach Rekonstruktionen „entkrampfen“ und „versachlichen“ zu wollen. Einigen Kritikern ist aber nun aufgefallen, dass er dies mitnichten tut. Er verfolgt vielmehr erkennbar ein Ziel: Er möchte Rekonstruktionen rehabilitieren und als selbstverständliche Ausdrucksform des Baugeschehens nahezu aller Epochen darstellen. Und da bei nimmt er es mit den Begriffen nicht immer so genau.
Neben Autoren wie Falk Jaeger, der von Nerdinger schon einmal im Zusammenhang mit dem Berli-ner Schloss der „Stürmer-Manier“ bezichtigt wurde, hatte vor allem Michael Falser eine fundierte Kritik an der Nerdinger-Ausstellung veröffentlicht – zuerst gekürzt in „Werk Bauen Wohnen“, dann ungekürzt im besprochenen Buch. Falsers zentraler Punkt arbeitet sich dabei ebenfalls an den Begrifflichkeiten ab. Er kritisiert, dass Nerdinger „neben den Begriffen Erneuerung, Kopie, Nachahmung, Replik, Rückbau, Vollendung und Wiederaufbau“ auch „Reparatur, Restaurierung und Rekonstruktion fälschlich als ‚fließend ineinander übergehende‘ Begriffe“ ausweise, obwohl Reparatur, also eine „bestandsorientierte Ausbesserung“, und Rekonstruktion, also die „möglichst genaue Wiederherstellung eines komplett verlorenen Zustands“, völlig konträre Konzepte darstellen. „Reparatur wie auch Konservierung gehen von einem gewachsenen Bestand aus, Rekonstruktion jedoch vom Totalverlust. Diese definitorische Inkonsequenz ist Programm. So handelt es sich bei dem Ausstellungstitel ‚Geschichte der Rekonstruktion‘ entweder um eine unbewusste Themaverfehlung oder um eine bewusste Irreführung. Es hätte ‚Geschichte der Wiederherstellung‘ heißen müssen, da 80 Prozent aller in der Ausstellung angeführten Fallbeispiele keine Rekonstruktionen nach Totalverlust sind.“
Warum Falser so auf den Begriffen besteht, ist evident: In der Debatte um Rekonstruktionen geht es ja zumeist um solche Neubauten, die ein schon länger verlorenes Gebäude wiedererstehen lassen sollen. Falser zeigt, dass nur ein geringer Anteil von Nerdingers Beispielen überhaupt diesen „Sonderfall“ betreffen, und er unterstellt Nerdinger Absicht dabei. Das könnte man als etwas grob empfinden, aber sicher nicht als Verleumdung. Dass sich Winfried Nerdinger, der eine der bedeutendsten Architektureinrichtungen des Landes leitet, zu derartigen verbalen Ausfällen verleiten lässt, dient seiner Sache sicher nicht.
Die Rezension von Michael Falser, eigentlich „nur“ ein Appendix des Buches, ist somit zu dessen beachtetsten Text geworden. Im Hauptteil des Bandes geben Autoren, die sich weiterhin der Originalsubstanz des Baudenkmals verpflichtet fühlen, ein wohl begründetes Statement für ihre Ablehnung von Rekonstruktionen verlorener Bauten ab. Wer sich von Nerdingers Ausstellung hat betören lassen, dem wird hier die gebündelte und schlüssige Gegenposition vorgesetzt. Und das ist nichts anderes als: sehr spannend. Und wohl auch notwendig.
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