Form follows Freedom
Architecture for Culture in Poland 2000+
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Form follows Freedom
Architecture for Culture in Poland 2000+
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Was wissen wir vom Bauen in Polen? Allenthalben bejubelt die Philharmonie in Szczecin, bestaunt das Shakespeare-Theater in Gdańsk (Bauwelt Heft 10.2015), das Jüdische Museum in Warschau (5/2015) oder, erst kürzlich, das Kulturzentrum Jordanki in Torun (10/2016): Lauter Vorzeigestücke von der Hand ausländischer Planungsbüros. Wettbewerbssieger allesamt, und insofern europäische Normalität. Aber gehört zu der denn auch, dass man von den Produktionen polnischer Architekten in ihrem Land so gar nichts erfährt?
Was einem da entgeht, wird schlagartig klar beim Durchblättern dieses Sammelbandes über polnische Kulturbauten seit der Jahrtausendwende. Nach drei einleuchtenden Kapiteln zum Verhältnis von Architektur und (Hoch-)Kultur in Polen einst und jetzt werden 26 Projekte ausführlich, mit hervorragenden Bildstrecken und jeweils sehr kompetenten Texten vorgestellt: Von der geradezu lyrischen „Porta Poznania“ im Westen (Bauwelt 27.2014) bis zur hölzernen Aleksa-Votivkapelle, die in Tarnow, weit im Osten, eine stille Alternative zur sonst eher auftrumpfenden Kirchbaukunst bietet. Gezeigt werden gefeierte Musiktempel und spannend inszenierte Museen, elegante Bibliotheken und ambitionierte Studierstätten bis hin zum ausladenden Kongresszentrum, das sich als „architektonische Landschaft“ in das krass modernistische Zentrum von Katowice schmiegt. Es gibt pfleglichen Umgang mit Denkmalsbestand, den Bezug auf regionale Bauweisen und Typologien (eindrucksvoll: der Chopin-Park in Żelazowa Wola), aber auch Mut zur exaltierten Geste, wenn der Anlass es nahelegt – etwa beim Krakauer Museum für den Theatermagier Tadeusz Kantor (Bauwelt 8.2015) oder auf dem abgeräumten Gelände der Danziger Werft das in rostigem Stahl aufgeklüftete Europäische Solidarność-Zentrum.
Ein atemberaubendes Investitionsprogramm hat hier zu baulicher Gestalt gefunden, befeuert noch durch den Wettlauf um die Nominierung der Europäischen Kulturhauptstadt 2016, als diverse Städte versuchten, sich mit neuen Museen, Philharmonien oder Kongresszentren als respektable Kulturstandorte zu empfehlen. Am Ende gewann Wrocław die Konkurrenz. Allerdings liegt auch nahe, in dem Buch vor allem eine Art Rechenschaftsbericht zu sehen. Über eine Milliarde Euro sind nach dem EU-Beitritt 2004 in Polens Regionalförderung geflossen. Der Löwenanteil war für Denkmalpflege und den Kultursektor bestimmt, an die 80 Projekte wurden mit europäischer Kofinanzierung angeschoben. Solcher Geldsegen erklärt die beispiellose Kulturbaukampagne, die nun allerdings, nach zehn Jahren, merklich abebben dürfte. Deshalb sei den Kollegen die ehrgeizige Bestandsaufnahme gegönnt. „Form follows Freedom“: An dem Titel sollte man sich nicht stören – ministeriell initiierte Projekte neigen gern zu pathetischen Floskeln. Was an Architekturen hierfür ausgewählt wurde, ist allemal ansehenswert.
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