Bauwelt

Friedrich Kiesler

Zwei Bücher über den Architekten, Künstler, Visionär und seine Lebenswelten

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Friedrich Kiesler

Zwei Bücher über den Architekten, Künstler, Visionär und seine Lebenswelten

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Anfang 2017 war im Berliner Martin-Gropius-Bau die erste große Übersichtschau zum Lebenswerk des austro-amerikanischen Architekten, Künstlers, Bühnenreformers und multidisziplinären Visionärs Friedrich Kiesler (1890–1965) in Deutschland zu sehen (Bauwelt 8.2017). In Österreich wurde er bereits ab den späten 1950er Jahren von jüngeren Architekten wiederentdeckt, Hans Hollein oder Raimund Abraham suchten Kiesler noch persönlich in den USA auf. Zahl­reiche Ausstellungen zu Kiesler nahmen in Österreich ihren Beginn: eine erste Personale 1988, danach in den USA und Paris, 2006 wurde seine „Raumstadt” (1925) zusammen mit Holleins „Flugzeugträger” (1964) als Österreichs Beitrag zu utopischen Stadtmodellen des 20. Jahrhunderts auf der Architekturbiennale Venedig gezeigt. Der Berliner Werkschau war im Sommer 2016 eine ebenfalls große Präsentation im Wiener Museum für angewandte Kunst vorausgegangen (Bauwelt 34.2016), so dass auch zwei aktuelle, umfangreiche Begleitpublikationen vorliegen, mit unterschiedlichem Schwerpunkt.
Zur Berliner Ausstellung erschien im Prestel Verlag ein Katalog, im besten Sinne des Wortes. Er bietet eine kurze Einführung in das Werk Kieslers, mit seinem spektakulären künstlerischen Durchbruch 1923 in Berlin. Sein elektro-mechanisches Bühnenbild im Theater am Kurfürstendamm erregte die Aufmerksamkeit der kulturellen Avantgarde der Weimarer Republik. Bühne und Theater, in dem traditionell alle Künste als Totalität in Erscheinung treten, blieben ideales Medium des Experiments und zugleich Kieslers produktivste künstlerische Disziplin, so fassen es die Autoren und Kuratoren zusammen. Gerd Zillner, in der seit 1997 in Wien etablierten österreichischen Friedrich und Lillian Kiesler Privatstiftung für die wissenschaftliche Erschließung des Nachlasses zuständig, liefert im Anschluss eine umfassende Biografie und Werkanalyse, spiegelt sie mit weltpolitischen und psychologischen Momenten. Kiesler war auch ein Meister der Selbstinszenierung, schon seine Kindheit in Czernowitz (heute Ukraine) wusste er im Nachhin­ein als rebellisch seinen künstlerischen Interessen folgend zu stilisieren. Nicht abgeschlossenen Studien an der TH und der Akademie in Wien folgten dort Hungerjahre nach dem Ersten Weltkrieg, seine Ehefrau sicherte mit der Arbeit in einem Antiquariat das Überleben. Auch nach dem finanziell ernüchternden Start 1926 in New York wird sie zum Lebensunterhalt beitragen, sich in der Public Library auf deutsche und französische Literatur spezialisieren und nach 1933, zusammen mit ihrem Mann, eine zentrale Bezugspersonfür europäische Emigranten werden. Die schillernde Karriere Friedrich Kieslers in seiner künstlerisch autonomen Praxis zwischen Bühne, Architektur, Interieur, Malerei wie Skulptur, Lehre und Publikation verflocht sich, wie schon in Europa, in den entsprechenden Szenen der USA. Peggy Guggenheim und Philip Johnson zählten zu den prominentesten Förderern und Freunden, später kamen Pioniere des Pop hinzu, so Andy Warhol oder Robert Rauschenberg: er wird mit einer Autoreifen-Performance Kieslers Beisetzung begleiten. Der kurz vor seinem Tod fertiggestellte Shrine of the Book in Jerusalem bleibt Kieslers einzige dauerhafte architektonische Realisierung. Der Katalog bietet auf über 175 weiteren Seiten den üppig dokumentierten Einblick in ein hochproduktives Leben, zu dem auch das unermüdliche Publizieren in eigener Sache gehörte.
Derartiges Basiswissen über Kiesler setzt der bei Birkhäuser erschienene Begleitband der Wiener Ausstellung voraus, elf Autoren folgen teils sehr speziellen Themenstellungen. Grund­legend deutet Dieter Bogner, auch in Berlin als Kurator mitverantwortlich, Kieslers Wirken in der Tradition des Wiener Gesamtkunstwerks, das er um die Einbeziehung humanwissenschaftlicher Erkenntnisse ab den 1930er Jahren zu seiner „correalistischen Theorie” erweiterte. Dem Menschen und seiner Umwelt galt seine ganzheitliche Betrachtung, physische, psychische, soziale, mythische wie magische Bedingtheiten sollten in einem räumlichen und geistigen Kontinuum ihre zeitgemäße Konkretisierung finden. Ganz bewusst, so Bogner, verfolgte Kiesler seine komplexe Architekturvision als Zusammenspiel al­ler Disziplinen nicht in einem urbanistischen Großprojekt wie seiner Raumstadt, sondern wählte dafür die Keimzelle menschlichen Zusammenlebens, das Wohnhaus. Als Nucleus House, Space House, später als Endless House, wird es in Skizzen, Manifesten und installativen Großmodellen formuliert. Das internationale Renommé des Endless House, das pars pro toto für Kieslers Lebenswerk gesehen werden kann, beruht stark auf der Suggestivkraft perfekt inszenierter Fotografien zweier skulpturaler Modelle. Als raumhohe Abzüge imaginierten sie 1960 in einer Ausstellung im New Yorker MoMA die amorphe Bauform, ihre rohe Materialität, vor allem aber das dramatische Innere. Gerd Zillner spürt deshalb Kieslers obsessivem Gebrauch der Fotografie nach; in der Wiener Stiftung verwaltet er 5000 derartige Archivalien – und damit mehr als Zeichnungen, Pläne oder Korrespondenzen. Mit dem Modell des Endless House präsentierte sich Kiesler aber auch gerne selber. Das legendäre Foto von Irving Penn, das den Meister bei der Arbeit zeigt, beschließt Zillners Essay und ziert das Cover des Berliner Katalogs. Und zusammen gelesen, geben beide Publikationen einen anregenden Überblick zum aktuellen Dokumentations- und Forschungsstand des schier „endlosen” Werk- und Inspirationsfundus Friedrich Kiesler.
Fakten
Autor / Herausgeber Hg. von Gerd Zillner, Peter Bogner und Dieter Bogner
Verlag Prestel Verlag, München, London, New York 2017
Zum Verlag
aus Bauwelt 23.2018
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