Gärten, Landschaft und das Genie der Natur
Vom ökologischen Denken
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Gärten, Landschaft und das Genie der Natur
Vom ökologischen Denken
Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig
Landschaftsarchitekt, Botaniker, Hochschullehrer und Theoretiker – Gilles Clément, geboren 1943, ist durch ungewöhnliche Grünanlagen bekannt, etwa im Kontext des Pariser Musée du Quai Branly, dem Haus für außereuropäische Kunst und Kultur von Jean Nouvel. Michael Mönninger griff 2006 in der ZEIT zur leicht despektierlichen Beschreibung: ‚eine Art Rokoko-Dschungel‘ – mit ordnungsliebender Rasen- und Rabattenästhetik kommt der Kritiker bei Clément also nicht weiter.
Worum es Clément geht, war bereits damals nicht unbekannt, hatte er doch schon 2004 sein „Manifest der dritten Landschaft“ formuliert. Im Französischen schwingt im Begriff der tiers paysage ein kritischer Gestus mit, in der Französischen Revolution war der tiers état (der dritte Stand) als einzig tagfähiger Teil der Gesellschaft ausgemacht: der „alles und noch mehr“ ist, vorher „nichts“ war und erwartet, „etwas“ zu werden, so ein Pamphlet des Abbé Sieyès. Die dritte Landschaft zeichnet somit enorme Latenz aus, sie ist im Prototyp ein vergessenes Terrain, eine Brachfläche mit einsetzender Sukzessionsvegetation hoher Diversität. Ihr selbstregulierendes System hatte Clément bereits ab 1997 im universalistischen Denkmodell eines „Planetarischen Gartens“ verdichtet.
Im vorliegenden Band, seiner Antrittsvorlesung zur Gastprofessur am Collège de France 2011/12, rekapituliert Clément noch einmal seine Weltsicht. Er selbst bezeichnet sich gern als Gärtner, denn in der Tätigkeit des Gärtners liegt der Schlüssel zum Gelingen eines Gartens, einer Landschaft oder eines weltumspannenden Ökosystems. Anders als im Hochbau, der bei einer Bauabnahme fertiggestellt ist, weiß der Landschaftsarchitekt, dass mit der offiziellen Übergabe erst das Werden des Gartens beginnt, als lebendiges System wird er zudem niemals fertig: „Der Garten ist im Gärtner. Er existiert durchs Gärtnern.“
Berufspragmatisch besteht die hohe Kunst des Gärtnerns darin, dem Genie der Natur zu vertrauen und so wenig wie möglich einzugreifen. Hier folgt Clément dem Credo seines Landsmanns Bernard Lassus, der in der „Strategie des minimalen Eingriffs“ nach eingehend kulturhistorischer Analyse eines landschaftlichen Befundes den Garanten einer Umwelt voll sinnlichen Reichtums sieht. Clément besänftigt das in seinem Tatendrang dergestalt eingeschränkte Künstler-Ego des Landschaftsarchitekten, indem er ihm die Sorge und Behandlung mannigfacher Grenzen überträgt. Der glückliche Gärtner ist also ein „Grenzenkünstler“, der nicht mit Gewalt in das lebendige Ensemble eingreift, viel mehr sich der abschließenden Geste architektonischen Gestaltens enthält und mit partiellen Elementen natürliche Beziehungen unterstreicht und aufwertet: ein Sockel, eine Trennlinie, ein Höhenunterschied, vegetative Randzonen.
Nun ist der Garten immer auch Metapher für einen angestrebt ausgewogenen Idealzustand, das Paradies, ein Traum mithin politischer Dimension. Auf ein globales Modell übertragen: Kein ökonomisches System kann mehr die Endlichkeit unserer Ressourcen und unseres Territoriums verleugnen. Hier setzt Clément zu einem „Garten vom morgen“ an, ermächtigt den Citoyen, in seinem (Konsum-) Verhalten das Unnütze, Nichtangemessene von Notwendigem (auch Luxus!) scheiden zu lernen und alles als prinzipiell flüchtig, fragil und recycelbar zu erkennen. Jede Stadt, jede Architektur wäre in der Lage, zu zerfallen und erneut errichtet zu werden. Unser stabiles, gern beschworenes System des kollektiven Gedächtnisses im Artefakt würde einer Philosophie der permanenten Evolution und einer Kultur des Immateriellen weichen, die Zeit nicht mehr durch ihre effiziente Nutzung oder einen Zeitgewinn definiert. Zugegeben: schöne Zukunftsmusik! Aber ähnlich einem Samenkorn, das ein vollständiges Leben in Dormanz bereithält und so die Zeit auflöst, mag ja auch für Cléments gedankliche Saat der fruchtbare Moment gar nicht mehr so fern liegen.
0 Kommentare