Hermann Henselmann und die Moderne
Eine Studie zur Modernerezeption in der Architektur der DDR
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Hermann Henselmann und die Moderne
Eine Studie zur Modernerezeption in der Architektur der DDR
Text: Scheffler, Tanja, Dresden
Sex und Nazi-Enthüllungen sind Themen, mit denen man sofort Aufsehen erregen kann. Auch Elmar Kossels wissenschaftlicher Versuch, „Henselmanns Leben und Wirken vor dem Leitmotiv der Modernerezeption in den historischen und architektonischen Kontext einzugliedern“, greift zu diesen Zutaten.
Der handliche Band fokussiert vor allem das frühe Schaffen des späteren DDR-Stararchitekten Hermann Henselmann (1905–1995) für ein queer-exzentrisches Bauherrenpärchen in der Schweiz sowie seine Tätigkeiten während des „Dritten Reiches“. Ergänzende Blicke in seine Personalakte offenbaren seinen „unmoralischen Lebenswandel (Alkohol und Frauen)“, seinen dekadent-bourgeoisen Lebensstil und die verschiedenen, deswegen von der Partei eingeleiteten Disziplinierungsmaßnahmen.
Auch wenn der Untertitel eine Auseinandersetzung mit den ostdeutschen Architekturdiskursen suggeriert, sind speziell daran interessierte Leser mit ihm – nicht nur wegen der häufig miserablen Bildqualität – schlecht beraten. Immer wieder driften die den aktuellen Forschungsstand zusammenfassenden Ausführungen in einen, phasenweise durchaus unterhaltsamen, Enthüllungsjournalismus ab, in dem Kossel den Architekten als notorischen Schürzenjäger und Hochstapler outet (vom bekannten Schweizer Erstlingswerk, der Villa Kenwin, hat er wahrscheinlich nur die Interieurs und den Garten entworfen) sowie als „angepassten Mitläufer“ des NS-Regimes. Seine „Verstrickung in das System“ durch den Entwurf von Mustergehöften im Warthegau sowie seine Tätigkeit im Rüstungsindustriebau ab 1943 ließe sich mit Blick auf die zahlreichen bundesdeutschen Architekten mit ähnlichen Biographien jedoch sicherlich relativieren oder aber mit Henselmanns privater Situation (von 1935 bis Kriegsende wurden sieben seiner insgesamt acht Kinder geboren) vielleicht sogar als erfolgreiche Kriegsdienst-Vermeidungsstrategie interpretieren.
Ärgerlich ist, dass der Band Henselmanns Bedeutung für die baukulturelle Entwicklung der DDR nicht gerecht wird. Seine NS-Bauten hatten keinen nennenswerten Nachhall. Sein Wirken in den fünfziger und sechziger Jahren hingegen wurde von Anfang an im In- und Ausland wahrgenommen. Er war das Aushängeschild der Deutschen Bauakademie. Henselmann stellte sein gesamtes Umfeld in den Schatten, und auch seine imposanten Bauten dominieren (wie das Leipziger Uni-Hochhaus) oft ihre Umgebung. Sein Œuvre ist überschaubar, aber einige seiner Gebäude und Ensembles sind Schlüsselwerke der ostdeutschen Baugeschichte.
Für den ersten Bauabschnitt der später in Karl-Marx-Allee umbenannten Stalinallee durfte er mit dem Strausberger Platz (1952/53) und dem Frankfurter Tor (1953–56) die städtebaulichen Höhepunkte entwerfen. Nach der unautorisierten Veröffentlichung von Entwürfen für den zweiten Bauabschnitt, die eine Abkehr von der „Architektur der nationalen Tradition“ zeigten, wurde er jedoch als Ostberliner Chef-Architekt abgesetzt. Erst in den sechziger Jahren – als sich auch die Bauakademie zur Moderne durchgerungen hatte – konnte er mit seinen Alexanderplatz-Bauten (Kongresshalle und Haus des Lehrers) den architektonischen Kurswechsel einleiten. Sein wahrscheinlich größter Clou war der Entwurf für einen „Turm der Signale“ (1959), der Ideologie-bedingt erst einmal in der Versenkung verschwand, später von einem mehrköpfigen Planungskollektiv – leicht modifiziert – als „Fernsehturm“ realisiert wurde.
Aufgrund seiner vielen Stil-Wechsel gilt Henselmann auch als Schlüsselfigur ästhetischer Kompromissbereitschaft im Zuge der kulturpolitischen Repressalien des DDR-Regimes während des Kalten Krieges. Kossel versucht, den steinigen Weg minutiös nachzuzeichnen, an dessen Ende „Henselmann künstlerisch korrumpiert, aber ideologisch gefestigt im neuen Staat angekommen“ war. Er präsentiert dabei jedoch auch einige eigenwillige Einschätzungen. So ist der Band zwar kein unverzichtbares Standardwerk. Er bietet aber genug Rohmaterial für einen abendfüllenden Biopic.
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