Bauwelt

Homeland

Zionism as Housing Regime, 1860–2011

Text: Schindler, Susanne, Princeton

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Homeland

Zionism as Housing Regime, 1860–2011

Text: Schindler, Susanne, Princeton

Mit „Homeland: Zionism as Housing Regime, 1860–2011“ gelingt Yael Allweil ein Doppelwurf. Erstens eröffnet die am Technion lehrende Architektin durch die Überlagerung von Wohnungsbau und Politik eine neue Perspektive auf einen der polari­sierendsten, scheinbar unlösbarsten geopolitischen Konflikte um ein Stück Land, Israel-Palästina. Zweitens liefert sie damit ein Beispiel für eine Art von Architekturgeschichte, in der weder der Architekt als Visionär noch der Staat als Zentralmacht als Hauptakteure erscheinen. Stattdessen analysiert Allweil Wohntypen, Konstruktionsweisen und städtebauliche Anordnungen als Resultat rechtlicher Rahmenbedingungen, finanzieller Grundlagen und nicht zuletzt der Entscheidungen zahlloser anonymer Einzelpersonen. Damit ist das Buch nicht nur von Interesse für die, die sich für Israel-Palästina interessieren, sondern ebenso für alle, die bestrebt sind, Architektur als das Ergebnis komplexer Zusammenhänge verstehen und vermitteln zu können.
Eines von Allweils Hauptanliegen ist, die jüdischen und palästinensischen Nationalprojekte als zwei sich parallel herausbildende Projekte darzustellen. Allweil zeigt, wie das, was heute Israel und Palästina heißt, zuallererst eine Vorstellung einer Gemeinschaft brauchte, die mit einem Heimatland verbunden war, um sich überhaupt zu bilden. Wie und wo diese neuen Bürger wohnen würden, war dabei zentral, und Allweil betrachtet immer zugleich die symbolische, strategische und gesellschaftsbildende Rolle von Wohnraum. Die Verfügbarkeit von adäquatem Wohnraum war essenziell nicht nur für die zionistischen Neuankömmlinge, die seit dem späten 19. Jahrhundert nach Palästina einwanderten und ab 1948 Bürger des neuen Staates Israel wurden. Sie war ebenso essenziell für die schon anwesenden Bewohner der Dörfer und Städte. Allweil wählt für jedes der acht chronologisch organisierten Kapitel eine räumliche Organisationsform als Aufhänger. Diese reichen vom Einraum-Haus, ein dörflicher Grundtyp des 19. Jahrhunderts, bis zum Kinderhaus, das ab den 1920er Jahren Standard für die vielen neuen Kibbutze wurde. Die Beispiele beinhalten aber ebenso bekannte Bauten, wie das 1959/60 von Al Mansfeld, Dora Gad und Eliyahu Traum entworfene Israel-Museum, ein Symbol für die neue Nation, widersprüchlicherweise dem Leitbild eines arabischen Dorfs nachgebildet. Oder aber von zentralen Planungsbehörden nach langem Ringen genehmig­-te Entwicklungspläne, wie diejenige für Mazraa,
ein in Israel gelegenes arabisches Dorf. Die Balance zwischen israelischen und palästinensischen Beispielen gelingt nicht ganz, und Allweil klammert (vermutlich aus pragmatischen Gründen) die Entwicklungen des Wohnungsbaus in den von Israel nach 1967 besetzten Gebieten aus; die Entwicklung bestehender Dörfer und Städte, der Flüchtlingslager, sowie israelischer Siedlungen kommen in dieser Geschichte nur ganz am Rande vor.
In dieser architektur-politischen Geschichte von Israel-Palästina ist vor allem neu, dass Allweil über die etablierten historischen Eckpunkte hinausgeht. Der Konflikt wird zeitlich meist entweder im westlichen Kolonialismus des britischen Mandats ab 1922 oder aber mit der Etablierung des israelischen Staates 1948 verankert. Allweil dagegen spannt den Bogen weiter, zurück zu den Landreformen des Osmanischen Reichs von 1858, motiviert durch die Notwendigkeit, mehr Einkommen zu generieren. Diese sogenannten Tansimat-Reformen kommodifizierten Land, Arbeit und Geld; das heißt, sie wurden voneinander getrennt, verhandelbar und veräußerbar. Zuvor war sämtlicher Boden im Besitz des Staates; wer das Land nutzen wollte, entrichtete dafür eine Steuer. Aber auch wenn Bauern die Steuer nicht bezahlten, garantierte ein kollektives Nutzungsrecht den Dorfbewohnern weiterhin den Zugang. Recht auf Boden und die Bewirtschaftung des Bodens waren somit eng miteinander verbunden. Mit den Reformen wurde es plötzlich möglich, Land an Private zu verkaufen; die Bewirtschaftung des Landes war nicht mehr ein Recht, sondern wurde per Lohn geregelt. Die Reformen also erst ermöglichten es den Zionisten, Land zu erwerben. Gleichzeitig trennte es die ansässigen arabischen Bauern von ihrem Land, und sie mussten oft in Fronarbeit auf neuen Plantagen arbeiten.
Aber Allweils Analyse reicht nicht nur in die Vergangenheit, sondern bis in die Gegenwart. Sie beginnt und endet ihre Geschichte 2011, als vor allem junge Israelis mit spontan errichteten Zeltstädten in den Stadtzentren gegen den akuten Mangel an bezahlbarem Wohnraum protestierten. Die Proteste waren Teil der weltweiten Occupy-Bewegung. Die Auswirkungen der Kommo­difizierung von Land und der oft damit zusammenhängende Auschluss politischer Teilhabe waren, und sind, noch immer zentral. Wohnungsbau und Architektur spielen dabei wesentliche Rollen. Nicht nur in Israel-Palästina.
Fakten
Autor / Herausgeber Yael Allweil
Verlag Routledge, Abingdon/New York, 2016
Zum Verlag
aus Bauwelt 4.2019
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