Individualisten im Fertighaus?
Text: Weckherlin, Gernot, Berlin
Individualisten im Fertighaus?
Text: Weckherlin, Gernot, Berlin
Der schlechte Ruf des Eigenheims – zumal als Fertighaus – hat Tradition. Kulturkritische Wissenschaftler wie der Soziologe Pierre Bourdieu brandmarkten den bis heute dominierenden Wohntraum im preiswerten Eigenheim in erhofft erfreulicher Landschaft als „Trugbilder einer vorgeblichen individuellen Form des Wohnens“. Architekten ignorieren dieses Produkt einer blühenden Industrie, da auf diesem Markt für sie ohnehin nichts zu verdienen ist, oder sie kritisieren die fatalen städtebaulichen Konsequenzen der Landschaft zerstörenden Scheinidyllen.
Viele Argumente sind so alt wie die unzähligen entstandenen Wohnsiedlungen, die diese stets aufs Neue anprangerten. Der Untertitel des Buches deutet an, dass die Autorin sich ebenfalls innerhalb dieser kulturkritischen post-freud’schen Deutungsmuster bewegt. Die These vom Widerspruch zwischen Kultur und Trieb bietet ihr jedenfalls die passenden Stichworte zur Analyse des konstatierten Unbehagens am scheinbar individuellen „Fertighaus“ in der Gegenwart. Was das Buch lesenswert macht, ist die nüchterne Darstellung dieses Häusermarktes und seiner Akteure in empirischen Studien – etwa in Interviews mit den Herstellern –, die stets an der Erkundung der kulturellen und symbolischen Motive von Produzenten wie Käufern interessiert ist. Neben dem Überblick über die historisch-ökonomischen Rahmenbedingungen des Eigenheimmarktes in Deutschland bietet das Buch Einblick in die Strategien der Vermarktung der untersuchten Haustypen, von „Anita“ bis „Wuppertal“.
Die Studie subsumiert drei wesentliche Leitbilder bei der Vermarktung und Gestaltung von Fertighäusern, die das Eigenheim – auch als Nicht-Fertighaus – und somit die Idealvorstellungen von Käufern wesentlich prägen: Individualität, Naturnähe und Beständigkeit. Diese drei Schlagworte sind, so die Autorin, keine Erscheinung der Gegenwart. Sie gründen in der Kulturgeschichte des Eigenheims vom Landhaus bis zum Kleinhaus des 20. Jahrhunderts. Unter Verweis auf kultursoziologische Literatur versucht die Autorin dabei, den in der Gegenwart immer stärker werdenden illusionären Charakter dieser Wunschbilder herauszuarbeiten. Viele dieser Argumentationslinien sind nicht ganz neu, auch der abschließende Ansatz, mit Hilfe von Gaston Bachelards und Otto Friedrich Bollnows phänomenologischen Theorien das Unbehagen an der Fertighausarchitektur „mittelbar zu begründen und unmittelbar zu überwinden“ ist ein etwas akademischer Versuch, einer von nicht rationalen Motiven gekennzeichneten Lebenswelt qua Theorie wissenschaftliche Würde einzuhauchen. Doch sei’s drum, „... das Haus beschützt die Träumerei, das Haus umhegt den Träumer“, so dichtete der viel zitierte Bachelard. Dieser Sphäre ist vermutlich mit keiner empirischen Studie beizukommen. Ein Schwachpunkt des Buches ist, ein anschauliches Architekturthema in einem unanschaulichen Taschenbuchformat mit unzulänglichen Abbildungen zu verpacken. Dies mag Urheberrechtsproblemen geschuldet sein, bedauerlich ist es allemal, zumal das Buch eine lehrreiche Lektüre bietet, der mehr optische Anschaulichkeit nur genutzt hätte.
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