Intégral
Text: Hotz, Jürgen
Intégral
Text: Hotz, Jürgen
Signalgelb leuchtet der Einband mit sieben rot typografierten Verben. Antizipieren, hinterfragen, einschreiben, irritieren, ornamentieren, übersetzen, unterschieden. Sieben Gebote ohne bevormundenden Imperativ. Auf übliche Titelei verzichtet das Layout. Nach leeren gelben Seiten, nur mit römischen Ziffern paginiert, die das Buch auch beschließen, beginnt in medias res der Text. Der frankophone Schweizer Designer Ruedi Baur hat zu seiner 2002 erschienenen Werkschau Ruedi Baur Intégral + Partners eine Art Folgeband im selben handlichen Format von 17,5 x 25 cm vorgelegt.
Um Signalethik (Leit- und Orientierungssystematik im weitesten Sinne), Corporate Design, Kultur, Haltungen geht es auf 416 Seiten des zu gut vier Fünfteln mit opulenten Bildseiten gestalteten Hauptblockes. Weitere gelbe und gelbgrüne reine Textseiten teilen den Hauptblock exakt in der Mitte. Sie bilden das Forum für sieben theoretische Dialoge, welchen jeweils eines der sieben Verben thematisch vorangestellt wird. Geführt hat Baur sie mit so unterschiedlichen Gesprächspartnern wie beispielsweise einem Politologen oder einer Historikerin, Denkmalpflegerin oder einem Semiotiker.
Baur selbst nennt das Werk die „Berichtform eines sehr langen Vortrages, der zu einem visuell-verbalen Essay werden sollte“. Die Sprache ist einfach, klar und erfrischend unprätentiös. Zu sehen sind Dokumentationen seines Netzwerkes Ruedi Baur Intégral (ein „Zusammenschluss unabhängiger Persönlichkeiten“), welches in verschiedenen Ländern präsent ist und grenzüberschreitend – in mehrfacher Hinsicht – tätig ist. Seine Teams erarbeiten die Projekte interdisziplinär, was auch die Wahl seiner sieben Gesprächspartner nahelegt und worin er eine Parallele zu Architekturbüros sieht.
Bei unzähligen realisierten und nicht realisierten Projekten wie der Cité internationale universitaire de Paris, dem Flughafen Köln-Bonn oder auch der EXPO 2004 in Seine-Saint-Denis, um nur drei exemplarisch zu nennen, ermöglicht das Buch, Baur und seinen Mitarbeitern ein bisschen über die Schulter zu blicken. Immer wieder geht es um die Schnittstelle von Architektur und Design und wie Design am Ende nicht künstlich aufgepflanzt wirkt. Die Gestaltung wird bei Baur stets aus dem vorgefundenen Kontext heraus erarbeitet und nicht, wie häufig üblich, ein vorfabrizierter Stil angewandt. Grafische Elemente sind nicht bloße Dekoration, sondern Eckpfeiler des Ausdrucks. Typografie und Ar-chitektur, beides Mittel der Identifikation, gehen in seinen Projekten gleichberechtigte und ungemein reizvolle, oft verblüffende Verbindungen ein.
Baur, der das Unkonventionelle predigt, ist auf Auftraggeber angewiesen, die das auch hören wollen und keine „Sicherheitsästhetik“ einfordern. Gemeint ist die Multiplizierung der ewiggleichen Gestaltung, das Austauschbare, das Mittelmaß. Obwohl er zu seinen Klienten generell ein gutes Verhältnis hat, räumt er freimütig ein, dass einige durch autoritäres Gehabe und Mangel an Dialogbereitschaft ihm schwer zu schaffen machen und so die Grundlage für eine Zusammenarbeit entziehen.
Haltung vor allem ist es, die Baur interessiert. Denn die Haltung des Einzelnen, besonders die des Gestalters in der Gesellschaft, im Leben, in der Welt, bestimmt, wie die Welt aussieht und wahrgenommen wird. Baur hat sich immer eingemischt, hat Verantwortung für sein Tun übernommen, auch daher die Verben auf dem Umschlag.
Die Montagetechnik des Layouts erinnert an Storyboards von Filmen. Primäre Darstellungen stehen neben sekundären Kommentaren aus dem Off: Der Fließtext als Einspalter wird durch unterschiedliche Marginalspalten mit Fußnoten und Erklärungen begleitet. Heraus kommt ein gleichmäßig fließender Strom der Erzählungen, Darstellungen und Bilder ohne Unterbrechungen durch Überschriften oder Zäsurseiten. Das Schriftbild ist auch in den sehr kleinen Schriftgraden der Marginalspalten, die einen gro- ßen Teil des Textes ausmachen, sehr gut lesbar. Etwas verwirrend wirkt sich beim Layout die Anordnung der Fotos aus, die ohne Abstand zueinander Bild an Bild montiert sind. Unruhige Superzeichen bilden sich, die Wahrnehmung leidet. Hier hätte man mehr auf die vorhandene Qualität des Einzelfotos vertrauen sollen.
Hat man sich aber erst einmal an das nahtlose Neben-, Über- und Untereinander der Bilder gewöhnt und sich eine entsprechende Betrachtungsweise angeeignet, wird man plötzlich süchtig nach den Ausführungen. Die sieben Verben können als Richtschnur des Handelns für jeden gestalterischen und schöpferischen Prozess verstanden werden, egal, ob es sich um Architektur, Design oder auch um Schauspiel handelt. Diejenigen, für die Gestaltung synonym ist mit „sachlicher Reduktion“, werden sicher keine Freude an dem Buch haben. Für alle anderen gilt: Kaufen. Lesen. Inhalieren. Wundern. Denken. Widersprechen. Freuen.
Baur selbst nennt das Werk die „Berichtform eines sehr langen Vortrages, der zu einem visuell-verbalen Essay werden sollte“. Die Sprache ist einfach, klar und erfrischend unprätentiös. Zu sehen sind Dokumentationen seines Netzwerkes Ruedi Baur Intégral (ein „Zusammenschluss unabhängiger Persönlichkeiten“), welches in verschiedenen Ländern präsent ist und grenzüberschreitend – in mehrfacher Hinsicht – tätig ist. Seine Teams erarbeiten die Projekte interdisziplinär, was auch die Wahl seiner sieben Gesprächspartner nahelegt und worin er eine Parallele zu Architekturbüros sieht.
Bei unzähligen realisierten und nicht realisierten Projekten wie der Cité internationale universitaire de Paris, dem Flughafen Köln-Bonn oder auch der EXPO 2004 in Seine-Saint-Denis, um nur drei exemplarisch zu nennen, ermöglicht das Buch, Baur und seinen Mitarbeitern ein bisschen über die Schulter zu blicken. Immer wieder geht es um die Schnittstelle von Architektur und Design und wie Design am Ende nicht künstlich aufgepflanzt wirkt. Die Gestaltung wird bei Baur stets aus dem vorgefundenen Kontext heraus erarbeitet und nicht, wie häufig üblich, ein vorfabrizierter Stil angewandt. Grafische Elemente sind nicht bloße Dekoration, sondern Eckpfeiler des Ausdrucks. Typografie und Ar-chitektur, beides Mittel der Identifikation, gehen in seinen Projekten gleichberechtigte und ungemein reizvolle, oft verblüffende Verbindungen ein.
Baur, der das Unkonventionelle predigt, ist auf Auftraggeber angewiesen, die das auch hören wollen und keine „Sicherheitsästhetik“ einfordern. Gemeint ist die Multiplizierung der ewiggleichen Gestaltung, das Austauschbare, das Mittelmaß. Obwohl er zu seinen Klienten generell ein gutes Verhältnis hat, räumt er freimütig ein, dass einige durch autoritäres Gehabe und Mangel an Dialogbereitschaft ihm schwer zu schaffen machen und so die Grundlage für eine Zusammenarbeit entziehen.
Haltung vor allem ist es, die Baur interessiert. Denn die Haltung des Einzelnen, besonders die des Gestalters in der Gesellschaft, im Leben, in der Welt, bestimmt, wie die Welt aussieht und wahrgenommen wird. Baur hat sich immer eingemischt, hat Verantwortung für sein Tun übernommen, auch daher die Verben auf dem Umschlag.
Die Montagetechnik des Layouts erinnert an Storyboards von Filmen. Primäre Darstellungen stehen neben sekundären Kommentaren aus dem Off: Der Fließtext als Einspalter wird durch unterschiedliche Marginalspalten mit Fußnoten und Erklärungen begleitet. Heraus kommt ein gleichmäßig fließender Strom der Erzählungen, Darstellungen und Bilder ohne Unterbrechungen durch Überschriften oder Zäsurseiten. Das Schriftbild ist auch in den sehr kleinen Schriftgraden der Marginalspalten, die einen gro- ßen Teil des Textes ausmachen, sehr gut lesbar. Etwas verwirrend wirkt sich beim Layout die Anordnung der Fotos aus, die ohne Abstand zueinander Bild an Bild montiert sind. Unruhige Superzeichen bilden sich, die Wahrnehmung leidet. Hier hätte man mehr auf die vorhandene Qualität des Einzelfotos vertrauen sollen.
Hat man sich aber erst einmal an das nahtlose Neben-, Über- und Untereinander der Bilder gewöhnt und sich eine entsprechende Betrachtungsweise angeeignet, wird man plötzlich süchtig nach den Ausführungen. Die sieben Verben können als Richtschnur des Handelns für jeden gestalterischen und schöpferischen Prozess verstanden werden, egal, ob es sich um Architektur, Design oder auch um Schauspiel handelt. Diejenigen, für die Gestaltung synonym ist mit „sachlicher Reduktion“, werden sicher keine Freude an dem Buch haben. Für alle anderen gilt: Kaufen. Lesen. Inhalieren. Wundern. Denken. Widersprechen. Freuen.
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