Kirsten & Nather
Wohn- und Fabrikationsgebäude zweier West-Berliner Architekten
Text: Hotze, Benedikt, Berlin
Kirsten & Nather
Wohn- und Fabrikationsgebäude zweier West-Berliner Architekten
Text: Hotze, Benedikt, Berlin
Die (Wieder-)Entdeckung der Berliner Architekten Kirsten & Nather begann mit einem Missverständnis: Der damalige Landeskonservator Helmut Engel glaubte 1991, dass sich der spektakuläre Sichtbeton-Eckturm des Druckmaschinenherstellers Rotaprint in Berlin-Wedding am Werk Le Corbusiers orientierte. Was Engel nicht wusste: Der Turm war nie fertig geworden; eigentlich hätte er weiß verputzt werden sollen. Die Assoziation zu Le Corbusier hätte sich dann womöglich nicht eingestellt. Gleichwohl: Zwei der Bauten für Rotaprint „zählen zu den besten Architekturleistungen der 50er Jahre in Berlin“, schrieb Engel damals und stellte sie unter Denkmalschutz.
Sonst hätten die Bauten den Konkurs von Rotaprint im Jahr 1999 wohl nicht überlebt, und es wären auch nicht die Künstler eingezogen, die sich sofort von der auffälligen Architektur angezogen fühlten. Die beiden federführenden Akteure Daniela Brahm und Les Schließer sind längst zu Experten für die Architekten Kirsten & Nather geworden. Der vorläufige Höhepunkt ihrer Beschäftigung liegt nun als Buch vor: die erste Monographie über Klaus Kirsten (1929–1999) und Heinz Nather (*1927). Inzwischen nennt man die beiden Namen in einem Atemzug. Als in den nuller Jahren die Künstler erstmals die Öffentlichkeit für die ebenso unbekannten wie emblematischen Rotaprint-Bauten sensibilisierten, war zunächst nur von Klaus Kirsten die Rede: Aufgrund einer Beauftragung aus der Verwandtschaft war Kirsten formal der alleinige Auftragnehmer für Rotaprint. Doch alle Projekte außer ihrem jeweils eigenen Wohnhaus haben beide Architekten bis zum Tod von Klaus Kirsten zusammen im gemeinsamen Büro entworfen. Der gleichermaßen verschmitzte wie bescheidene Heinz Nather, der sichauf eine Anzeige in der Bauwelt („Wer kennt Klaus Kirsten?“) gemeldet hatte, wurde schnell zur ersten Forschungsquelle und steuerte Erinnerungen, Fotos und Pläne bei.
Kirsten und Nather gehörten nicht zur Berliner Architektur-Schickeria, nahmen kaum am Wettbewerbswesen teil, saßen auch nicht regelmäßig mit dem Bauwelt-Chefredakteur Ulrich Conrads in der Paris Bar, und ihre beiden emblematischen Einfamilienhäuser im Hansaviertel fehlen in der Interbau-Literatur. Dennoch wird ihre formal eigenwillige Architektur gelegentlich mit jener der Berliner Spät-Expressionisten Fehling und Gogel verglichen – wie diese waren auch Kirsten und Nather Scharoun-Schüler. Gebaut haben sie hauptsächlich für private Auftraggeber in Berlin, aber auch in Irland und Italien. In der Kölner Trabantenstadt Chorweiler entstanden Reihenbungalows für öffentliche Wohnungsbaugesellschaften. Einige der originellsten Bauten sind bereits zerstört, so das Bettenkaufhaus an der Berliner Bülowstraße oder ihr erstes Einfamilienhaus in Berlin-Dahlem von 1957, das jüngst einer monumentalen Villa im Retro-Stil weichen musste. Der originellste Fund in diesem Buch, das typologisch uneindeutige und innen bis zur Unbewohnbarkeit offene Doppelhaus Nather und Rebitzki in Berlin-Kohlhasenbrück, ist hingegen gut erhalten. Hier empfängt Heinz Nather seinen Besuch und erzählt einen unaufhörlichen Strom an Anekdoten über zwei seltsame Architekten in West-Berlin, die man heute wieder kennt.
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