Mies van der Rohe. Das kunstlose Wort
Gedanken zur Baukunst. Neuauflage von Fritz Neumeyers Klassiker
Text: Kähler, Gert, Hamburg
Mies van der Rohe. Das kunstlose Wort
Gedanken zur Baukunst. Neuauflage von Fritz Neumeyers Klassiker
Text: Kähler, Gert, Hamburg
1986 ist das Buch zum ersten Mal erschienen: Fritz Neumeyers „Mies van der Rohe. Das kunstlose Wort“. Damals war es eine ziemliche Sen-sation – es war das Jahr des einhundertsten Geburtstages des Meisters (gemeint ist Mies van der Rohe), in dem Mies etwas mühselig nun vielleicht nicht aus dem Keller des Vergessens herausgeholt wurde, dem geneigten Publikum aber dennoch klar gemacht werden musste, dass es nach rund zehn Jahren postmodernen Feldgeschreis in Deutschland – zwischen Aldo Rossis Wohnblock Gallaratese in Mailand, Ralph Erskines Wohnquartier Byker in Newcastle/Tyne oder James Stirlings Staatsgalerie in Stuttgart – dass es Vorgänger gab, die einen Blick wert waren. Einen dritten Blick, nach der ersten Phase unkritischer Bewunderung und der zweiten einer ebenso unkritischen Verdammung.
Es stellte sich heraus: Dieser dritte Blick lohnte sich. Weniger mit den anderen Veröffentlichungen zum 100. Geburtstag, die ich damals in einer Sammelrezension behandelte (Bauwelt 9.1987), als vielmehr mit diesem Buch, das einen völlig neuen Ansatz fand, sich mit Mies auseinanderzusetzen – die Erklärung seines Werks aus dem Inhalt seines rund 800 Bände umfassenden Bücherschranks. Es war, es ist ein Werk der Architekturtheorie, für die Neumeyer dann ja auch viele Jahre den einschlägigen Lehrstuhl an der TU Berlin inne hatte.
Architekturtheorie ist nach meinem Eindruck eine inzwischen weitgehend aus den Lehrplänen der Bachelor- und Masterstudiengänge für Architekten verschwundene Übung. Sie ist in Archicad & Co nicht vorgesehen und ist auch deshalb mühselig, weil hauptsächlich der Kopf damit belastet wird. Aber das macht sie nicht grundsätzlich überflüssig. Deshalb ist es ebenso erfreulich wie lohnenswert, dass das Buch nach dreißig Jahren erneut aufgelegt wird – allein das macht es zu einem „Standardwerk“. Dass damit auch der Architekt wieder ins Bewusstsein gerufen und die Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis der Architektur thema-tisiert werden, ist ein erfreuliche Nebeneffekt. In Berlin, immerhin, stehen ja noch einige Bauten, an denen man das bei Neumeyer Gelesene überprüfen könnte – es würde sich lohnen. Und noch etwas lohnt sich, zum Beispiel bei der Betrachtung der Nationalgalerie am Potsdamer Platz: Überlegungen anzustellen über den Zusammenhang zwischen Erregungspotenzial und Kurzlebigkeit von Architektur: Um 1986 herum lagen die beiden Berichtsjahre der IBA in Berlin. Von deren Architektur spricht niemand mehr. Auch nicht in einhundert Jahren.
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