Nachkriegsmoderne in Deutschland | Eine Epoche weiterdenken
Text: Brandenburger, Dietmar, Hannover
Nachkriegsmoderne in Deutschland | Eine Epoche weiterdenken
Text: Brandenburger, Dietmar, Hannover
Der „Spiegel“ machte im Juni 1959 mit der Titelgeschichte auf: „Das Wunder von Hannover“. Gemeint war die Nachkriegsaufbauleistung der Stadt unter ihrem Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht. Besonders herausgestellt wurde die vorausschauende Verkehrsplanung, die zur damals weltweit einzigartigen „autogerechten Stadt“ geführt hatte.
Dass dafür andere Parameter außer Acht blieben, hat Hillebrecht selbst bereits 1957 als „verpasste Chance“ des Neubeginns eingestanden. Statt eines Teamworks verschiedener Fachdisziplinen regierte seiner Meinung nach die persönlich geprägte Einseitigkeit der Städtebauer, die aber waren überwiegend Architekten. Die vorliegende Publikation möchte das „Nachdenken über diese Defizite fördern“ und „die Öffentlichkeit für die Bauzeugnisse der 50er bis 70er Jahre interessieren“. Die kurzgefassten architektonischen und städtebaulichen Analysen dieser Nachkriegsepoche sind durchweg stimmig und treffend, wie auch der Abschnitt über den Denkmalschutz der Nachkriegsmoderne. Ein sehr persönlicher Beitrag von Christian Fahrenholtz versucht, die Aufbruchszeit zwischen „goodwill“ und erster Ernüchterung einzufangen, ein Interview mit Dieter Hoffmann-Axthelm liefert Kernaussagen zum Wiederaufbauthema: „Industrialisierung der Architektur, Dominanz der Bauwirtschaft und staatliche Konjunkturplanung“ hieß die sinistre Trias der Nachkriegsmoderne. Die Beiträge zu Hannovers Nachkriegsstadtentwicklung sind in Teilen disparat: Zwar findet man einen aktuellen Hinweis auf den drohenden Abriss des Landtags von Dieter Oesterlen, der gleichzeitige, mindestens ebenso umstrittene wie schwer erträgliche Umbau des Kröpcke-Centers zu einem innerstädtischen Gebirgsmassiv wird aber nicht erwähnt. Dafür erscheint der eher groteske Vorschlag, mitten im Rotlichtviertel eine Art (expressis verbis!) Piazza Navona zu errichten, so, als wäre die Postmoderne gestern über uns gekommen. Höchst ärgerlich dann auch der ganzseitige Fotoausschnitt des „planWerk_Hannover“ in Schwarz-Weiß, mithin in seinen Entwicklungsstadien unlesbar! Im Internet glänzt er in aller Farbigkeit. Der späte Hanns Adrian schließlich – ein bekannter, aber wenig glücklicher Hannoveraner Stadtbaurat – findet mit seiner vorausschauenden Stadtentwicklungsplanungsidee der „Patchwork-Städte“ hier unverständlicherweise kein Echo. Am Schluss finden sich Thesen, über deren Plausibilität nicht zu richten ist, weil sie sehr allgemein gehalten sind. In der letzten heißt es: „Ganzheitliche Ansprüche an die Qualitäten des Vorhan denen, ein verantwortungsvoller Umgang mit der eigenen Geschichte in all ihren Facetten sowie die Suche nach dem Neuen in Einklang mit den Ressourcen sind kein Luxus, sondern zukunftsgerichtete Selbstvergewisserung.“ Was das sein soll, hätte man dann doch zu gerne gewusst! Der Anspruch, eine Epoche weiterdenken zu wollen, bleibt mit dieser Publikation unerfüllt, man kann eben nicht zweimal in den selben Fluss steigen. Weiterdenken hieße, sich dem sich anbahnenden städtebaulichen Paradigmenwechsel zu nähern (Elektro- und Wasserstoffautos/energiesparende Bauweisen/Migrantengesellschaft etc.). Dazu erfährt man hier aber nichts!
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