Bauwelt

Refugees Welcome

Konzepte für eine menschenwürdige Architektur

Text: Landes, Josepha, Darmstadt

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Refugees Welcome

Konzepte für eine menschenwürdige Architektur

Text: Landes, Josepha, Darmstadt

In grellem Pink: REFUGEES WELCOME. Volle Kraft voraus katapultiert dieses Buch Hintergründe und Lösungsansätze für die Unterbringung von Flüchtlingen in die Mitte der Gesellschaft. Konzepte für eine menschenwürdige Architektur schlagen die Autoren – Lehrende der Leibniz Universität Hannover sowie ein Architekt mehrerer „Übergangswohneinrichtungen“ in Bremen – darin vor. Allzu präsent sind ihrer Meinung nach Flüchtlinge, allzu wenig beachtet geflüchtete Menschen. Flüchtlinge kann man unterbringen, Menschen aber wollen leben. Und was heißt leben weniger als auch wohnen? Und was heißt wohnen?
Der erste Teil des Buches ist eine Bestandsaufnahme. Doppelseitige Fotografien gewähren Blick auf und in Flüchtlingsheime in Hannover. Das sind zum Teil Containerburgen, zum Teil Wracks der Nachkriegsmoderne, zum Teil Neubaukisten in frischem Limettengrün – allesamt gleich trostlos und fernab jeglicher Wohnqualität. Es fehlt an privatem Raum, an Außenraum, an Umgebung und an Schönheit. Nicht allein Selbstverwirklichung, auch gesellschaftliche Einbindung wird durch Verortung und Gestaltung des Eigenen erzielt. All dies verwehrt jede dieser Unterkünfte den Menschen, die dort wohnen sollen. Der Trugschluss: es handele sich um Zwischenstationen.
Sechs Artikel legen im Anschluss an den Fotoessay die Sachlage dar. Das Minenfeld des „Gutmenschentums“ umschiffen die Autoren großteils und liefern fundierte Analysen. Es geht um die Geschichte der Willkommenskultur, Gefahren der Abschottung, baurechtliche Hürden und um Schlupflöcher, Pilotprojekte und Bereicherung, um gesellschaftliche Veränderungen durch Geflüchtete, die sich seit jeher in der Architektur unserer Städte widerspiegelt. Ein Essay beschäftigt sich mit dem Hamburger Flüchtlingsprojekt „ecoFavela“ auf Kampnagel.
Im Herzen des Buches gibt es die Resultate der Seminararbeit „Refugees Welcome“ von 28 angehenden Architekten und Landschaftsarchitekten zu erkunden. Vorangestellt sind Graphiken zu Flüchtlingsströmen, ethnischen und demographischen Charakteristika und Fluchtrouten, ergänzt um eine kurze Einführung in die Rolle verschiedener europäischer Institutionen und Strukturen, wie etwa Mare Nostrum und FRONTEX, Kurzinformationen zu Fluchtgründen und eine schematische Darstellung des deutschen Asylverfahrens.
Die eigentlichen Arbeiten sind auf dem selben hochwertigen Papier wie die Fotografien zu Anfang präsentiert. Allesamt spielen sie denkbare, aber durch bürokratische Statuten schwer realisierbare Ideen durch. Es geht den Entwerfern darum, städtische Potenziale auszuschöpfen, um wohnen – nicht unterbringen – zu ermöglichen. Die Nähe zur Stadt und den Einheimischen gilt ihnen als eines der wichtigsten Kriterien für gute Wohnanlagen, gleich nach dem Recht auf und dem Bedürfnis nach angemessener Privatheit jedes Menschen. Sie erreichen dieses Ziel mit Lücken füllenden Mietshäusern, Dachgeschossaufbauten auf größeren Flachbauten wie z.B. ihrer Architekturfakultät oder auf einem Parkhaus, mit kleinen Siedlungsstrukturen, angesiedelt etwa in Schrebergartenkolonien, stillgelegten Bahnhöfen oder ungenutzten Hallen. Das eine Projekt bietet mehr, das andere weniger Breitseite für juristische, bautechnische oder finanzielle Nörgler. Das ist den Verfassern bewusst, sie bezeichnen die Sammlung selbst als Konzeptband, und doch sind ihre Impulse es unbedingt wert, Resonanz zu finden. Politiker und allgemeine Öffentlichkeit diskutieren zu spät, doch auch nörgeln darüber bringt nichts. Einzig darin liegt das Risiko des hastigen Griffs zur Kurzzeitlösung. Es wäre wünschenswert, dass stimmberechtigte Abgeordnete dieses Buch lesen, um noch besser zu verstehen, bevor sie entscheiden, worum es gehen muss – um Architektur für Menschen, die leben und zusammenleben wollen. Von den jungen Planern lässt sich lernen, als erstes Ziel zu sehen, sich darauf hin zu bewegen und Steine aus dem Weg zu räumen, anstatt sie zu markieren. In der akuten Baudebatte liegt auch Potenzial für die langfristige Gestaltung unser Städte und unserer Gesellschaft.
Fakten
Autor / Herausgeber Jörg Friedrich, Simon Takasaki, Peter Haslinger, Oliver Thiedmann und Christoph Borchers
Verlag Jovis Verlag, Berlin 2015
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aus Bauwelt 48.2015
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