Save the Danchi
Mass Estates – A Project of the Future
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Save the Danchi
Mass Estates – A Project of the Future
Text: Kil, Wolfgang, Berlin
Was mag wohl eine „Holland-Platte“ sein? „Frontal auf die Fassade wird ein riesiges Windrad geschraubt – der Plattenbau mutiert zur Windmühle. Davor befindet sich ein großes rotes Tulpenfeld.“ So lautet einer von 52 Umbauvorschlägen aus dem Kunstprojekt „Die 3. Stadt“, mit dem die Kulturfabrik Hoyerswerda nach Ideen für den Umgang mit leeren Wohnhäusern suchte.
Es gab noch Partyplatte, Wutplatte, Kuschelplatte und sonst allerlei, auch „Indoor-Mushrooming“ fehlte nicht. Eine Lektüre (nicht nur) zum Schmunzeln, vor fünf Jahren zusammengetragen von Gymnasialschülern, also Laien zwischen 14 und 20 Jahren.
Jetzt tritt das japanisch-französische Architektenteam MIKAN mit einer ebensolchen Parade der Ideen an, denn auch Japan hat Probleme mit dem Massenwohnungsbau seiner Nachkriegsjahrzehnte. Was in der DDR damals P2 und WBS 70 hieß, wird auf der fernöstlichen Insel „Danchi“ genannt, und auch dort sind viele der Gebäude von Leerstand, Verfall und Abriss bedroht. Zu Unrecht, befinden die
MIKAN-Leute und bieten sogar 76 Vorschläge an, wie „überraschend einfach und generalisierbar diese
unkomplizierte Architektur sich an heutige Nutzungsbedürfnisse und ökologische Anforderungen anpas-sen ließe“ (Verlagstext).
MIKAN-Leute und bieten sogar 76 Vorschläge an, wie „überraschend einfach und generalisierbar diese
unkomplizierte Architektur sich an heutige Nutzungsbedürfnisse und ökologische Anforderungen anpas-sen ließe“ (Verlagstext).
Die in computeraffinem Minimaldesign ausgeführten Ideenskizzen sind an Schlichtheit und Realitätsferne von den Schülerträumen aus Hoyerswerda nicht zu unterscheiden – sieht man von dem krampfigen Versuch ab, die frei aus der Luft gegriffenen An- und Umbauvorschläge („Badewannen zu Dachgärten“, „Giebelwände zu Kinoleinwänden“ oder „Auf die Fassaden gemalte Augen für mehr gefühlte Sicherheit“) anhand einiger klobiger Signets zu katalogisieren und schließlich eine Website anzubieten, auf der sich Bauherren und Bewohner „beraten“ lassen können. Aber anders als das so rührende wie aufschlussreiche Lausitzer Sozialprojekt haben die cleveren Architekten aus Yokohama die Japan Foundation gewinnen können, ihrer Skizzensammlung ein Upgrade zum richtigen Buch zu spendieren.
Das drängt nun auf den deutschen Markt, wo es allerdings zum schieren Ärgernis wird. Denn die Phase der locker flockigen Unverbindlichkeit, mit der jungdynamische Kreative einen „unerschöpflichen Fundus an Ideen zur Um-, Neu- und Wiedernutzung der Massenquartiere“ (Verlagstext) zusammen- skribbelten, liegt im Deutschland der massiv geförderten Stadtumbau-Programme schon mindestens zehn Jahre zurück. Wer hierzulande die wirklich großen Debatten über das Schicksal vom demografischen Wandel betroffener Städte verfolgt, oder wer wenigstens alle zwei Jahre die bundesweit vergebenen Bauherrenpreise zur Kenntnis nimmt, unter denen stets fantasievoll verwandelte Plattenbauten zu finden sind, dem kann das zur Danchi-Rettung gebotene Sammelsurium nur ein Achselzucken abringen. Dessen Neuigkeitswert innerhalb Japans lässt sich von Berlin aus schwer beurteilen. Doch immerhin zählen japanische Studiendelegationen zu den häufigsten Gästen in Leinefelde, dem Mekka aller Um- und Rückbauplaner. Wie sehr dort in Thüringen (aber auch anderen, nicht nur ostdeutschen Städten) zum weltweiten Erfahrungsschatz in Sachen „Normalisierung der Großsiedlungen“ beigetragen wurde, scheint die MIKAN-Leute und ihren Berliner Verlag bislang nicht erreicht zu haben. Eine Nichtwahrnehmung, die das ohnehin wenig glanzvolle Geschäft des (Um-)Bauens von Sozialbaubeständen noch zusätzlich und völlig unverdient in den Schatten drängt.
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